Berivan Aymaz: „Die Kommunen entwickeln sich immer mehr zu zentralen Akteuren der Außen- und internationalen Politik von unten“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu Städtepartnerschaften mit türkischen Kommunen

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Der Antrag nimmt das Potenzial internationaler Partnerschaften von Kommunen in den Blick, was mich vor allen Dingen als Kölnerin, einer Stadt mit 22 internationalen Partnerschaften – bundesweit führend –, besonders freut.

Die Kommunen entwickeln sich immer mehr zu zentralen Akteuren der Außen- und internationalen Politik von unten, sei es als Shelter Citys für den Schutz von Menschenrechten oder in ihrer Schlüsselrolle zum Beispiel bei der Vernetzung für eine solidarische und humanitäre Flüchtlingspolitik innerhalb der EU.

Bilaterale Beziehungen von Kommunen über Städtepartnerschaften hingegen haben eine andere Historie. Sie sind vor allen Dingen nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeichen der Versöhnung innerhalb Europas entstanden und konzentrierten sich daher sehr stark auf Austauschprogramme.

Heute umspannen kommunale Netzwerke den gesamten Globus. Die Kommunen verfolgen vielfältige politische Interessen, zum Beispiel den Schutz des Klimas durch reine Klimapartnerschaften.

Die Städtepartnerschaften mit türkischen Kommunen dagegen sind vor dem Hintergrund der großen türkeistämmigen Community in NRW entstanden und haben, wie in dem Antrag richtig dargestellt, einen migrations- und auch einen integrationspolitischen Aspekt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen aber gerade beim Blick auf die Partnerschaften mit Kommunen in der Türkei nicht ausblenden, dass diese unsere Städte, wie schon von meinen Vorrednern erwähnt, immer wieder vor enorme politische Herausforderungen gestellt haben. Vor allen Dingen die zunehmende Abkehr von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei belastet die kommunalen Beziehungen enorm. Nicht wenige Partnerschaften wurden aus diesem Grund auch in NRW auf Eis gelegt.

So konnten etwa die brutalen Niederschlagungen – erinnern wir uns an die Gezi-Proteste in Istanbul, in Kölns Partnerstadt –, das massive polizeiliche Vorgehen gegen LGBTIs, das Verbot der Istanbul Pride sowie die Inhaftierung von Frauenrechtsaktivistinnen und Oppositionspolitikerinnen in unserer Partnerstadt Istanbul in Köln nicht folgenlos bleiben. Ich bin stolz darauf, dass meine Heimatstadt ein wegweisendes Konzept zur Förderung der Menschen- und Minderheitenrechte für ihre Städtepartnerschaften entwickelt hat.

Natürlich müssen wir uns außerdem die Frage stellen, wie sich kommunale Partnerschaften mit türkischen Städten überhaupt gut entfalten können, und zwar nicht nur unter den Umständen, dass die Zivilgesellschaft immer mehr Repressionen und Bedrohungen ausgesetzt ist, sondern weil sich Städte der Türkei auch weiterhin vehement gegen die Einhaltung und Ratifizierung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung stellen.

Seit den Kommunalwahlen 2019 sind mindestens 48 Kommunen – das sind übrigens überwiegend kurdische Kommunen – von Ankara unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Über 72 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befinden sich auch heute noch in Haft, darunter die gewählten Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der Millionenmetropole Diyarbakır, Gülten Kışanak und Selçuk Mızraklı – Kommunen, mit denen es sich übrigens wirklich lohnen würde, Partnerschaften einzugehen.

Schauen wir das an: Interessanterweise gibt es nicht eine kurdische oder christlich geprägte Stadt in der Türkei, mit der NRW eine Partnerschaft hat.

Ja, nicht wenige kommunale Exilpolitikerinnen leben heute in NRW, die sicherlich wichtige Ansprechpartner wären, zum Beispiel die Bürgermeisterin von Cizre, Leyla Îmret.

Ich finde, auf all diese Missstände braucht es Antworten. Da kann es eben nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir sagen: Wir mischen uns in die inneren Angelegenheiten nicht ein.

Deshalb finde ich es schade, dass der Antrag in die direkte Abstimmung geht. Denn in der Form können wir das nicht mittragen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir vielleicht auch noch mal in einer Runde mit Expertinnen und Experten genau diese Probleme und Fragen aufgegriffen hätten.

Aber es gibt auch Forderungen, die wir und ich persönlich gerne unterstützen würden, und zwar die Fortführung der Parlamentariergruppe NRW-Türkei. Natürlich obliegt es den Abgeordneten der nächsten Legislatur, darüber zu entscheiden. Aber ich persönlich würde es mir auch sehr, sehr wünschen, liebe Carina. Denn die Parlamentariergruppe hat sich nicht zuletzt durch dein besonderes Engagement als ein Ort des Austausches und Dialoges auf Augenhöhe gestaltet, und das übrigens, liebe Carina, auch in Zeiten schwieriger außenpolitischer Beziehungen zur Türkei, die immer wieder Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen hier in NRW hatten.

Das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl, Offenheit, aber auch Klarheit in der Haltung und in den Werten. Du hast mich stets mit deinem besonderen Geschick für die hohe Kunst der Diplomatie beeindruckt. Gleichzeitig hast du dich immer wieder mit aller Klarheit für die Einhaltung von Menschenrechten und vor allen Dingen auch für bedrohte Menschen eingesetzt, und das nicht immer im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Das weiß auch ich ganz persönlich sehr zu schätzen. Dafür, liebe Carina, meinen herzlichen Dank. Teşekkürler … kendine iyi bak!

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)