Wibke Brems: „Es war ein Fehler, sich bei Kohle, Öl und Gas immer mehr in die Abhängigkeit von Putin zu begeben“

Portrait Wibke Brems 5-23

Der Antrag

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, so hat Bundesaußenministerin Baerbock am 24. Februar unser aller Erschütterung beschrieben. Wir sind erschüttert über die schrecklichen Bilder und das unvorstellbare Leid der Menschen in der Ukraine, das nun schon einen ganzen Monat anhält. Damit einher geht hier vor Ort die Frage, welche Konsequenzen für uns – unser Leben, unsere Versorgung, unsere Politik – daraus erwachsen.

Darauf gibt es keine einfachen Antworten, da sind nicht alle Lösungen bequem. Denn aktuell müssen wir die Versäumnisse in der Energie- und Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte aufarbeiten.

Es war beispielsweise ein Fehler, die erneuerbaren Energien so auszubremsen, wie es die vergangenen Bundesregierungen getan haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es war ein Fehler, sich bei Kohle, Öl und Gas immer mehr in die Abhängigkeit von Putin zu begeben. Es war ein Fehler, Nord Stream 2 selbst dann noch voranzutreiben, als mit der Annexion der Krim und der Beteiligung am Syrien-Krieg die Gefahr, die von Putin ausgeht, für die ganze Welt offensichtlich war.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kann den Impuls verstehen, der jetzt kommt, nämlich zu fordern, kein Gas mehr aus Russland zu kaufen. Ich wünschte, wir könnten diesem Impuls einfach so nachgeben. Aber in der jetzigen Situation ist es enorm wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, und nicht seinem allerersten Impuls zu folgen.

Denn was würde passieren, wenn im kommenden Winter einfach kein Gas mehr aus Russland kommt? – Es gäbe einen massiven Einbruch der Wirtschaftskraft, steigende Arbeitslosigkeit, und in der Folge stünde im schlimmsten Fall sogar der soziale Frieden auf dem Spiel. Das gilt es zu verhindern.

Dass ausgerechnet Friedrich Merz, ein selbsternannter Wirtschaftsexperte, fordert, den Gashahn sofort abzudrehen, empfinde ich schon als Treppenwitz.

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, die Versäumnisse der Vergangenheit nicht in wenigen Wochen ungeschehen machen. Aber wir müssen jetzt Verantwortung übernehmen, auch wenn uns manche Entscheidungen schwerfallen.

Wir sehen das beispielsweise bei Wirtschaftsminister Habeck, der im Moment viel über seinen eigenen Schatten springt. Genau das bedeutet es, Verantwortung in einer Krise zu übernehmen. In der aktuellen Situation müssen nun mal alle Optionen auf den Tisch.

Es war richtig, zu überprüfen, ob die Atomkraftwerke im kommenden Winter zur Versorgungssicherheit hätten beitragen können. Ergebnis: können sie nicht. – Damit ist das Thema auch erledigt und sollte von Ihnen, Herr Pinkwart, nicht immer wieder aus der Mottenkiste geholt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Natürlich muss jetzt auch geschaut werden, ob einzelne Kohlekraftwerksblöcke kurzfristig in die Sicherheitsbereitschaft gehen können, statt stillgelegt zu werden. Das hat wiederum keine Auswirkungen auf den Kohleausstieg 2030; der ist weiterhin möglich und auch dringend nötig.

Es ist außerdem folgerichtig, dass sich die Bundesregierung neben den technischen Fragen auch mit den finanziellen Folgen der Krise beschäftigt. Das heute beschlossene Entlastungspaket ist ein guter Kompromiss, der sowohl kurzfristige Entlastung ermöglicht, gleichzeitig aber auch die notwendigen Veränderungen anstößt.

Während sich die Bundesregierung darum kümmern muss, dass die Energieversorgung sichergestellt wird und wir bei den Gasimporten nicht zu abhängig von einem Land sind, trägt bei anderen Fragen die Landesregierung die Verantwortung. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Landesregierung auch über ihren eigenen Schatten springt und endlich handelt. Seit einem Monat herrscht Krieg in der Ukraine, und alles, was diese Landesregierung bisher geschafft hat, ist, einen Energiegipfel zu veranstalten und anzukündigen, die Energieversorgungsstrategie zu überarbeiten.

Meine Güte! Es ist Krieg in Europa. Jetzt ist nicht die Zeit, alte Strategiepapiere zu überarbeiten. Es ist Zeit, endlich zu handeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie könnten zum Beispiel endlich mit aller Kraft die erneuerbaren Energien ausbauen. Es war ein Fehler, dass Sie gestern unserem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Mindestabstände bei Windenergieanlagen nicht zugestimmt haben. Sie haben keine Alternativen, wie Sie kurzfristig Impulse bei den erneuerbaren Energien setzen wollen.

Sie könnten ganz schnell vorhandene Förderprogramme wie progres.nrw ergänzen und dafür sorgen, dass Gasheizungen schneller auf Wärmepumpen umgeschaltet werden können.

Sie könnten dafür sorgen, dass Beratungsangebote, beispielsweise von der Verbraucherzentrale, ausgebaut werden und den Menschen so beim Energie- und Geldsparen geholfen wird.

Aber stattdessen träumt dieser Wirtschaftsminister lieber von der Atomkraft. Ich sage Ihnen klar, Herr Minister Pinkwart: Wachen Sie aus Ihren Tagträumereien auf, und kommen Sie ins Tun! Sorgen Sie umgehend für mehr erneuerbare Energien, mehr Unterstützung für Energieeffizienz und Energieeinsparungen und für eine echte Unabhängigkeit! Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht, damit wir uns endlich aus der Geiselhaft des Diktators Putin und der fossilen Energien befreien können!

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte hat ja jetzt doch noch mal an Fahrt aufgenommen, und ich greife gern das Stichwort auf, was Minister Pinkwart gerade angesprochen hat, und zwar, wie rational denn das Ganze ist.

Da fange ich gerne beim Thema „Atomkraft“ an. Ehrlich gesagt ist das, was Sie hier fordern, wenn Sie sagen, man müsse jetzt noch mal über die Atomkraft ab Mitte der 20er-Jahre bis Ende der 20er-Jahre nachdenken, wirklich alles andere als rational. Es ist brandgefährlich. Es ist nämlich klar: Die alten Atomkraftwerke nach einer Revision nach einem Jahr noch mal wieder ans Netz zu nehmen, ist einfach gefährlich. Die Unternehmen haben ja selber gesagt, dass sie daran überhaupt gar kein Interesse haben. Das ist einfach nur Ihre Träumerei.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Sie sind da wirklich ganz alleine auf weiter Flur, auch was alle Wirtschafts- und Energieminister*innen in Deutschland angeht.

Der zweite Aspekt ist das Thema „Kohle“, weil ja eben auch angesprochen wurde, dass damit doch der Kohleausstieg 2030 gefährdet sei. Herr Brockes ist eben darauf eingegangen. – Ich sage Ihnen ganz klar: Mit dem heutigen Beschluss der Bundesregierung wird an dem Kohleausstieg 2030 festgehalten.

Wie wir im nächsten Winter klarkommen, ist eine Herausforderung. Das ist keine Frage. Darüber haben wir ja auch schon gesprochen. Dafür müssen wir eine Lösung finden, und daran wird ja gearbeitet. Aber dann muss man schon klar sagen: Das bedeutet dann nicht, dass die einfach nur weiterlaufen und durchlaufen, sondern das bedeutet eben, dass wir im Übergang massiv daran arbeiten müssen, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden.

Wenn wir das täten und das nicht einfach immer nur ankündigen würden – wie das hier der Minister macht –, dann kriegen wir das auch hin, dass die Energieversorgung bis 2030 auf erneuerbare Energien umgesattelt werden kann, und dann kann das auch weiterhin funktionieren mit dem Kohleausstieg 2030. Man muss es nur eben auch wollen.

Ich komme dann zu der Frage, die ich Ihnen eigentlich stellen wollte, Herr Minister Pinkwart. Ich mache das jetzt einfach als Statement. Sie haben eben kritisiert, wer wieder andere Sachen nicht macht, und dargestellt, was Sie von der Bundesregierung erwarten. Aber wir stehen ja jetzt nun mal hier. Deswegen die Frage: Was haben Sie denn wirklich gemacht, außer in den letzten Wochen einen Energiegipfel einzuberufen und zu sagen, dass Sie an einer Energieversorgungsstrategie gearbeitet haben?

(Jens-Peter Nettekoven [CDU]: Redezeit!)

Wir brauchen doch jetzt eine Lösung. Wir müssen jetzt die erneuerbaren Energien ausbauen. Und Sie arbeiten überhaupt nicht im Ansatz daran, dass das beschleunigt wird.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist nicht wahr!)

Das wäre Ihre Aufgabe und Ihre Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN)

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