Mehrdad Mostofizadeh: „Die Mittel in der Städtebauförderung wurden nicht auf Inklusion fokussiert“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zu lebenswerten Quartieren

Mehrdad Mostofizadeh

Der Antrag

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Quartier – was ist das? Was stellen wir uns darunter vor?

Wir glauben, dass sich ein Quartier dadurch auszeichnet bzw. viele Menschen sich das wünschen, dass dort funktionierende Nachbarschaften unterwegs sind, dass man aufeinander achtet, dass man bereit ist, füreinander einzustehen, dass man die Umwelt schützt, dass man es weiterentwickeln will, dass sich die Oma mit dem Rollator oder das Kleinkind dort frei bewegen, dass man die Umwelt nur insofern unsicher machen kann, als man eine Gefahr für Fußgänger sein könnte, dass wir uns in diesen Quartieren selbstbestimmt bewegen können, dass sich Menschen mit Behinderung dort wie selbstverständlich auf der Straße bewegen können, dass sie Zugang zu ihren Wohnungen haben, dass es eine gute Versorgung gibt, dass es dort Geschäfte gibt, in denen man den täglichen Bedarf befriedigen kann, dass man sich dort gleichzeitig fortbilden kann, dass man als Mensch mit Behinderung gepflegt und unterstützt werden kann.

Wer würde diese Vision nicht teilen wollen? Ich glaube, in Sonntagsreden sind wir uns da oft einig.

Aber wie ist die Entwicklung hier in Nordrhein-Westfalen? Bewegen wir uns näher auf dieses Ziel zu oder doch wieder ein Stück weg? Bleiben wir stehen, oder kommen wir voran?

Ich kann nur sagen: Die finanzielle Entwicklung im Landeshaushalt ist eine andere. Die Pflege im Alter, die Konzepte für eine kommunale Bedarfsplanung wurden eher eingefroren, die Mittel in der Städtebauförderung wurden nicht auf Inklusion fokussiert, sondern eher auf Ausbau. Die Qualität spielt nicht immer eine Rolle.

Aber trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, FDP, SPD und meiner Fraktion der Grünen: Wir wollen doch ein anderes Quartier. Wir wollen doch diese leistungsfähigen Strukturen. Sonst würde doch die Städtebauministerin nicht alles tun oder glauben, alles zu tun, um auch Innenstädte zu fördern.

(Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sie macht schon alles!)

Aber warum ist dann in der Landesbauordnung das Thema „barrierefreie Zugänge“ verschlechtert worden? Warum wird in den Ausschüssen nach wie vor behauptet, dass es nicht möglich sei, den Bedarf an behindertengerechten Wohnungen und Zugängen zu ermitteln?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Wir sollten einen Schulterschluss zwischen den Kommunen, dem Land und natürlich dem Bund machen. Aber wir sind hier in erster Linie für die Kommunen und das Land zuständig.

Dabei sollte die Beteiligung der betroffenen Menschen im Vordergrund stehen. Die Konzepte in den Kommunen sollten wieder ernst genommen werden. Das ehrenamtliche Engagement vor Ort für die Gemeinschaft sollte gefördert werden. Beteiligungsprozesse sollten nicht heißen, man nimmt die Leute für ein übergreifendes Konzept der Stadt mit, sondern man befördert das, was im Quartier entwickelt wird, damit die lebenswerte Zukunft auch tatsächlich lebenswert vor Ort gestaltet werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu machen wir hier einige Vorschläge. Wir wollen die Beteiligungsstruktur stärken. Wir wollen auch finanziell andere Schwerpunkte oder erweiterte Schwerpunkte setzen. Wir wollen die Städtebauförderung so umgestalten, dass sie wieder in solche Quartiersstrukturen fließt. Wir wollen die Heimat-Schecks so erweitern, dass Teilhabe nicht Vergangenheit, sondern vielleicht Zukunft finanziert, neue Ideen finanziert, dass Barrierefreiheit nicht heißt, im ÖPNV wird mal ein Aufzug mal repariert, sondern dass die Teilhabe von Anfang an Prozess- und Gestaltungsmaxime in diesen Prozessen ist.

Denn die Wahrheit ist: 63 % des öffentlichen Nahverkehrs sind nicht barrierefrei. Mehr als 50 % der Quartiere sind nicht inklusiv. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann uns nicht gedankenlos zurücklassen.

Ich weiß nicht, wer gestern noch beteiligt war, aber die Stiftung Wohlfahrtspflege hat gestern eine sehr gute Veranstaltung gemacht. Kernaussage dieser Veranstaltung war – Herr Kollege Preuß hat sie moderiert –: Die Menschen wollen in ihrer angestammten Heimat wohnen. Sie wollen nicht in Sondereinrichtungen wohnen. Auch Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Menschen mit sonstigen Einschränkungen wollen in einem selbstgestalteten, selbstbestimmten Lebensumfeld leben. Deswegen ist dieser Antrag wichtig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darum bitte ich auch die Kolleginnen und Kollegen, jetzt nicht zu erzählen, was alles schon in dem einen Förderprogramm oder dem anderen Förderprogramm steht. Dieser Antrag stellt darauf ab, dass wir systematisch in eine Netzwerkzukunft gehen, die diese Mechanismen von Anfang an beschreibt und zum Zukunftskonzept für Nordrhein-Westfalen ausgestaltet.

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir – bei aller Unterschiedlichkeit – in den Ausschüssen noch einmal sehr systematisch überlegen würden, wie es besser werden kann, und nicht, warum alles, was wir jetzt schon getan haben – das wird die Ministerin ja wahrscheinlich gleich ausführen –, so großartig und toll ist.

Dieser Antrag ist eine herzliche Einladung, das Quartier, die Nachbarschaft, das Veedel, den Stadtteil zum Ausgangspunkt von starker, inklusiver und menschengerechter Politik zu machen. Ich bitte um Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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