Wibke Brems: „Diese Energieversorgungsstrategie ist eine Strategie der verpassten Chancen“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur "Energieversorgungsstrategie 2.0"

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wir haben alle Chancen.“ Eigentlich müsste jetzt tosender Applaus, Jubel von CDU und FDP kommen, denn „Wir haben alle Chancen“ ist so etwas wie das neue Mantra von Ministerpräsident Wüst.

Diese Energieversorgungsstrategie ist aber eine Strategie der verpassten Chancen. Statt Chancen wird auf den ersten Seiten die Notwendigkeit der Nachschärfung Ihrer eigenen Energieversorgungsstrategie von 2019 hergeleitet.

Zu nennen sind beispielsweise die Einführung des Bundesklimaschutzgesetzes im Dezember 2019, der Europäische Green Deal und die folgenden Zielverschärfungen der Klimagesetzgebung, in diesem Jahr der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April und schließlich die Überarbeitung des Bundesklimaschutzgesetzes.

Das alles sind sehr wichtige Entwicklungen, die es zweifelsohne notwendig machen, dass die schon bei der Verabschiedung im Jahr 2019 überholte Energieversorgungsstrategie überarbeitet wird. Das ist doch schön. Es freut mich, dass Sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind.

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Mich auch!)

Sie hätten aber natürlich auch in den letzten Jahren das Schreien bei meinen Reden zu diesen Themen lassen und unsere Forderungen einfach mal ernst nehmen können. Na ja! Welche Erwartungen habe ich?

(Beifall von den GRÜNEN)

Mein Eindruck hier: Sie sehen keine Chancen in diesen Veränderungen, Sie sehen nur die Notwendigkeiten. Sie verändern Ihre Strategie nicht vorausschauend, sondern erst dann, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.

(Beifall von den GRÜNEN)

„Wir haben alle Chancen.“ Dazu kann man ja gar nicht Nein sagen. Natürlich gilt das auch bei der Energieversorgungsstrategie im Energieland Nordrhein-Westfalen. Damit aber Chancen zur Realität werden, müssen sie erst mal erkannt und dann auch wirklich genutzt werden.

Der Realitätscheck holt die Energieversorgungsstrategie und diese Landesregierung mit ihrem Ministerpräsidenten ganz schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. So geht die Energieversorgungsstrategie weiterhin von einem Kohleausstieg bis 2038 aus. Kurz die Augen gerieben: Ja, genau das steht an vielen Stellen in der Energieversorgungsstrategie. Der Kohleausstieg nach 2030 passt aber nicht mit den Klimaschutzzielen zusammen, die Sie an anderen Stellen betonen. Dieser Logikfehler stört die Landesregierung anscheinend nicht.

Ministerpräsident Wüst sagte in seiner Regierungserklärung, er wolle alles für einen Kohleausstieg bis 2030 tun. Und dann legt die Landesregierung eine Energieversorgungsstrategie vor, die weiterhin von einem Kohleausstieg bis 2038 ausgeht? Sie haben sich damit, finde ich, selbst entlarvt und verspielen wirklich jede Chance.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es würde heute den Rahmen sprengen, wenn ich im Faktencheck auf jeden Aspekt der 20 Seiten Selbstlob, was Sie alles angeblich so umgesetzt haben, eingehen würde. Deswegen lasse ich das erst mal so stehen. Wir haben vielleicht an anderer Stelle noch die Gelegenheit dazu.

Dann möchte ich gern zugeben, dass ich auch Lichtblicke in der Energieversorgungsstrategie sehe.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ui!)

– Na ja, es sind vielleicht Lichtblitze. Ich will es nicht übertreiben.

(Heiterkeit von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Lichtblitz Nummer eins: Gaskraftwerke sollen als Ersatz für Kohle schnell gebaut werden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Bitte langsam zum Mitschreiben!)

– Herr Minister ist eben darauf eingegangen. Keine Frage, wir brauchen das, damit wir wirklich schnell aus der Kohle aussteigen können. Aber Sie verlieren kein einziges Wort darüber, wie genau Sie die Planung, die Genehmigung und den Bau wirklich beschleunigen wollen. Komplette Fehlanzeige an der Stelle!

Lichtblitz Nummer zwei: Die Strategie adressiert richtige Forderungen in Richtung Bund und EU, zum Beispiel die Beschleunigung des Netzausbaus oder die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Keine Frage, alles richtig.

Aber Sie machen es sich zu leicht mit den einzigen Forderungen immer in Richtung Bund und EU. Sie müssen hier Ihrer Verantwortung gerecht werden und können nicht immer nur auf den Bund zeigen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Da nutzen Sie Ihre Chancen für die Energiewende in NRW nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin noch gar nicht fertig mit dem Loben.

Lichtblitz Nummer drei: Photovoltaikfreiflächen werden auch auf landwirtschaftlichen Flächen ermöglicht. Das ist auch wunderbar. Aber dann lesen wir, es sollten nur beispielhafte Projekte initiiert werden, um den Markthochlauf zu stärken.

Da habe ich mich wirklich gefragt: Haben Sie in der letzten Zeit irgendwas nicht mitbekommen? Freiflächenanlagen muss man nicht mehr beispielhaft initiieren, man muss sie endlich umsetzen. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Landesregierung klarstellen würde, dass diese Anlagen auf den heute schon möglichen Flächen wirklich genehmigt werden sollen. Da liegt nämlich das große Problem.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann kommen wir zum Lieblingsaufregerthema in diesem Haus, der Windenergie. Gut, Sie regen sich noch nicht auf. Ich fange auch hier kurz mit einem Lob an, ich bin heute freundlich gestimmt.

Erleichterungen für Windenergieanlagen in Gewerbe- und Industriegebieten finde ich eine richtige Forderung. Es ist super, dass das gemacht wird. Das muss dann aber auch schnell kommen.

Nächster Punkt. Sie wollen endlich angehen, dass Windenergie auch auf bestimmten Forstflächen möglich ist. Hier sind Sie über Ihren Schatten gesprungen – das erkenne ich an – und haben eine falsche Position korrigiert. Das verdient Respekt.

Jetzt kommt das riesengroße Aber. Sie bleiben eiskalt bei dem Mindestabstand von 1.000 m und machen damit jegliche Flächenentwicklung kaputt. So wird das einfach nichts. Sie müssen auch hier eine Kurskorrektur vornehmen. Lassen Sie die Chancen der Windenergie nicht mehr länger liegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Damit der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kohleausstieg bis 2030 gelingen, braucht es dringend die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Auch das hören wir an unterschiedlichen Stellen. Die Energieversorgungsstrategie geht darauf folgendermaßen ein – ich zitiere –:

Die Landesregierung wird sich weiterhin mit den relevanten Akteuren im Hinblick auf den aktuell geltenden Gesetzesrahmen für die Planung und Genehmigung von Energieinfrastrukturen und die weiteren Beschleunigungsmöglichkeiten, insbesondere angesichts der nun ambitionierteren Klimaschutzziele, austauschen.

Sie wollen sich austauschen? Ehrlich gesagt wäre es endlich mal Zeit, das umzusetzen. Das ist Ihre Aufgabe und nicht ein weiterer Austausch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bleibe bei der Windenergie. Gerade da zeigt sich ganz klar, dass es konkrete Handlungsansätze gibt. Ich greife nur zwei heraus:

Sie könnten beispielsweise mobile Teams einführen, die dafür sorgen, dass da, wo in den Kommunen gerade eine hohe Belastung durch Planungs- und Genehmigungsanfragen sowie eine geringe Personalausstattung herrscht, Planungs- und Genehmigungsvorhaben schneller durchgeführt werden. Diese Idee könnten Sie einfach umsetzen, da brauchen Sie nicht auf den Bund und die EU zu warten.

Der nächste Punkt ist, dass Sie die Standards für Genehmigungsabläufe klarer machen könnten. Das würde bedeuten, dass die Beschleunigung vorangetrieben wird und gleichzeitig Artenschutz und Bürgerbeteiligung eben nicht geschleift werden, sondern klare Leitlinien für den Artenschutz vorhanden wären. So könnte die Rechtssicherheit erhöht werden.

All diese Punkte, auf die die Kommunen und viele andere warten, könnten Sie jetzt umsetzen. Dabei muss man nicht auf den Bund und die EU warten, sondern Sie müssten einfach nur mal wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bleibe noch kurz bei der Umsetzung. Damit wenigstens die Dinge, die ich gelobt habe und die aus unserer Sicht noch nicht ausreichen, auf den Weg kommen, wäre es jetzt wichtig, dass Sie die LEP-Änderung im Windenergieerlass wenigstens mit den Forstflächen und auch die Länderöffnungsklausel für Photovoltaikfreiflächen direkt im nächsten Jahr starten. Sonst sind es wieder nur große Ankündigungen und verpasste Chancen.

„Wir haben alle Chancen.“ Wir haben in NRW die Potenziale für 100 % Versorgung mit erneuerbarem Strom, allerdings nur dann, wenn Sie endlich die Fesseln lösen, die Sie der Windenergie angelegt haben.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen mehr als 350 Unternehmen allein in der Windbranche aus allen Wertschöpfungsstufen. Zusammen erwirtschaften diese Unternehmen mehr als 7 Milliarden Euro und geben 36.000 Menschen Arbeit. Sie alle würden gerne neue Projekte umsetzen und damit helfen, dass NRW seinen Beitrag zu einer gelingenden Energiewende leistet. Geben Sie diesen Menschen die Chance, die sie verdienen.

Es reicht eben nicht, nur von Chancen zu reden, Sie müssen sie auch nutzen. Diese Energieversorgungsstrategie wäre die erste Chance des Ministerpräsidenten gewesen, zu zeigen, was er aus den Chancen machen will. Doch es ist leider so: Ja, Bemühungen sind sichtbar, aber halbherzig und nicht zu Ende gedacht. An den Stellen, an denen die Energieversorgungsstrategie substanziell weiterentwickelt wurde, bleibt der Beigeschmack: Man musste die Landesregierung zum Jagen tragen.

Mir scheint, es sind immer noch viele unbequeme Wahrheiten, die diese Landesregierung nicht wahrhaben will. Dazu gehört: Die Zeit drängt. Damit der Klimaschutz gelingt, muss der Kohleausstieg 2030 angegangen werden. Damit das klappt, brauchen wir mehr und schneller erneuerbare Energien. Die Instrumente dafür sind da – darauf bin ich eingegangen –, sie müssten nur genutzt werden.

Geben Sie sich also einen Ruck! Erkennen Sie die unbequemen Wahrheiten an, erkennen Sie die Chancen, und nutzen Sie die Chancen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

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