Berivan Aymaz: „Die Massenunterbringung von Geflüchteten in den Landesunterkünften hat sich als fatal erwiesen“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Unterbringung Geflüchteter

Portrait Berivan Aymaz 2021

Der Antrag

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Obwohl wir dieser Tage wieder ein Stück raus aus der Pandemie und zurück in die Normalität finden, haben wir die Coronapandemie nach fast anderthalb Jahren noch nicht hinter uns gelassen. Die Auswirkungen dieser so schwierigen Zeit werden uns daher auch in nächster Zeit sowohl persönlich als auch gesamtgesellschaftlich beschäftigen.

Es muss jetzt darum gehen, die richtigen Lehren aus der Pandemie zu ziehen und strukturelle Missstände, die aufgedeckt wurden, mutig anzugehen. Die Coronapandemie hat die Problemlagen, mit denen Geflüchtete in NRW konfrontiert sind, nicht nur sichtbarer gemacht, sondern sie noch weiter verschärft. Im Laufe der Coronakrise ist deutlich zu Tage getreten, dass die Strategie der Landesregierung untragbar ist, im Rahmen des Asylstufenplans teilweise bis zu 1.000 Menschen in einer Gemeinschaftsunterkunft über mehrere Jahre hinweg unterzubringen; denn das zentralisierte System versagt genau in den Bereichen, in denen während der Pandemie besondere Sorgfalt geboten ist.

Erinnern wir uns an die Coronaausbrüche im letzten Jahr in den Unterkünften Euskirchen, Bonn, Bielefeld, Marl und in der ZUE Sankt Augustin mit über 250 Infizierten. Das ist die traurige Bilanz einer Flüchtlingspolitik, die auf Massenunterbringung und drangvolle Enge gesetzt hat. Gerade diese Fälle haben uns gezeigt, dass diese Form der Unterbringung die Kommunen nicht entlastet und die örtlichen Gesundheitsstrukturen an ihre Belastungsgrenzen bringen kann. Das mussten wir leider in sehr, sehr vielen Fällen erleben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch Forscher der Universität Bielefeld haben sehr früh davor gewarnt, dass die Unterbringung von Menschen in Sammelunterkünften zahlreiche gesundheitliche Risiken und weitere Gefahren birgt und immer wieder darauf hingewiesen, dass das nicht die richtige Form der Unterbringung ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern in unserem aktuellen Antrag erneut, Geflüchtete möglichst schnell den Kommunen zuzuweisen und dezentral unterzubringen.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, und Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, sprechen miteinander.)

– Ich fände es gut, wenn sich der zuständige Herr Minister Stamp dem hier widmen würde.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration entschuldigt sich.)

– Danke. – Herr Minister Stamp, Sie kennen unsere Forderung. Dennoch möchte ich an dieser Stelle noch einmal festhalten: Es ist wichtig, Geflüchtete möglichst schnell den Kommunen zuzuweisen und dezentral unterzubringen. Davor können Sie sich auch nicht länger mit dem Hinweis wegducken, dass diese Form der Unterbringung eigentlich wichtig wäre, um die Kommunen zu entlasten, weil sie absolut keine Entlastung darstellt.

Außerdem gilt es, die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten zu verbessern. Dafür ist es wichtig, den Gesundheitszustand von Geflüchteten und ihre Bedarfe von Anfang an und nachvollziehbar im Blick zu haben.

Gerade am Anfang der Pandemie war es fatal, dass es zum Beispiel keinerlei Informationen darüber gab, wie viele Menschen in den Landeseinrichtungen untergebracht sind, die eventuell zur Risikogruppe zählen und somit einer besonderen Gefahr ausgesetzt waren. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, dass meine Frage: „Wer ist denn jetzt dort, und welche Vorerkrankungen haben diese Menschen eventuell?“ erst nach sieben Wochen – und da hat man sich schon sehr viel Mühe gegeben – beantwortet werden konnte.

Die Landesregierung kann bis heute nicht erläutern, ob es ein standardisiertes Verfahren gibt, um gesundheitliche Daten von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern kontinuierlich zu erfassen. Darüber könnten jedoch eventuelle Unverträglichkeiten früh erkannt werden; wir wissen beispielsweise bei der Wahl des Impfstoffes, dass die gesundheitliche Verfassung der Menschen eine große Rolle spielt.

Meine Damen und Herren, nicht zuletzt muss es jetzt auch darum gehen, die Teilhabe- und Integrationsstruktur wieder neu aufzunehmen. Das liegt an vielen Stellen pandemiebedingt immer noch brach, und ich bin deshalb froh zu hören, dass die Maßnahmen hier und da wieder neu gestartet werden können. Zudem muss es gerade jetzt darum gehen, verstärkt Integrations- und Teilhabestrukturen anzubieten, um diese Lücke, die pandemiebedingt entstanden ist, zu füllen und diese Defizite schnell aufzuarbeiten.

Die Massenunterbringung von Geflüchteten in den Landesunterkünften hat sich als fatal erwiesen. Sie war vorher vor der Pandemie nicht akzeptabel, aber mit der Pandemie ist sie vollständig an ihre Grenzen gestoßen.

Herr Minister Stamp, diese Realität sollten auch Sie jetzt endlich anerkennen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratung, Erörterung im Ausschuss und hoffe, dass wir Sie dafür gewinnen können, hier mutig grundlegende Schritte einzuleiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Lux [SPD])

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