Wibke Brems: „So sehr klaffen bei CDU und FDP Ankündigungen, Realität und Notwendigkeiten auseinander“

Zum Entwurf der Landesregierung für eine Novelle des Baugesetzbuches - zweite Lesung

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Stunde zwei nach Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen – und CDU und FDP breiten den Schleier des Vergessens aus.

(Lachen von der FDP)

Vergessen sind die großen Ankündigungen zur Erreichung von Klimaschutzzielen; vergessen sind die Beteuerungen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig ist.

Das sollte als Fassade wohl reichen, denkt man sich. Die eigene PR-Maschine wird es schon richten.

Ich mache jetzt eine Weissagung: An irgendeiner Stelle gleich in meiner Rede werden Sie dazwischenbrüllen, werden emotional und sagen: Nordrhein-Westfalen war 2020 Nummer eins beim Windenergiezubau, die anderen Bundesländer sind so schlecht, Baden-Württemberg, blablablablabla.

Ich sage Ihnen auch, warum Sie das machen, weil ich gleich nicht mehr durch Ihr Geschrei hindurchdringe: Sie machen das alles, weil Sie vertuschen wollen, dass Sie Ihre eigenen Ziele reißen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich rechne Ihnen das ganz sachlich vor: Die Landesregierung möchte die Windenergieleistung bis 2030 auf 10.500 MW erhöhen. Um das zu erreichen, müssten in den Jahren 2018 bis 2029 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 430 MW pro Jahr zugebaut werden. Das haben Sie bisher in keinem einzigen Jahr erreicht – noch nicht einmal annähernd.

Diese Lücke der vergangenen Jahre, die immer größer wird, müsste in den kommenden Jahren ausgeglichen werden, um Ihre eigenen unzureichenden Ziele

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

nicht weiter in große Ferne rücken zu lassen.

Dann haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, was eigentlich geschehen müsste. Um das Paris-Ziel zu erreichen, zu dem Sie sich hier bekennen und das Sie im Klimaschutzgesetz selber beschlossen haben, müsste die Stromversorgung bis 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Das würde einen jährlichen Zuwachs von 1.000 MW bedeuten – dreimal so viel wie in Ihrem hochgelobten Jahr 2020.

So sehr klaffen bei CDU und FDP Ankündigungen, Realität und Notwendigkeiten auseinander.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein solch beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien geht nur mit mehr Bürgerbeteiligung und mehr Akzeptanz. Dafür müssen Sie jetzt die Weichen stellen, statt zu verhindern.

Das ginge zum Beispiel mit einem Siegel für Bürgerwindprojekte oder einem Bürgerenergiefonds wie in Schleswig-Holstein, wo die Projekte mit Risikokapital unterstützt werden.

Aber CDU und FDP führen lieber ihren Feldzug gegen die Windenergie fort. Dabei wäre es Ihre Aufgabe, den Bürger*innen Beteiligung zu ermöglichen, den Kommunen zu mehr Einnahmen zu verhelfen

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

und damit auch das Vertrauen in die Demokratie zu stärken. All das verhindern Sie aber ganz bewusst.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Brems, entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Brockes.

Wibke Brems (GRÜNE): Ja, das machen wir doch gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Wenn das so ist, hat jetzt Herr Kollege Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin Brems, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Meine Frage ist, ob Sie die hessische Abstandsregelung kennen. In Hessen ist ein Abstand von mindestens 1.000 m vom Standort eines Rotors bis zur nächsten Wohnsiedlung vorgeschrieben. Allerdings kann bei einer kleinen Ansiedlung wie Weihern mit weniger Wohngebäuden dieser Abstand unterschritten werden. Diese Regelung ist also etwas restriktiver als die, die wir heute beschließen werden.

Kennen Sie dazu auch die Aussage Ihres grünen Wirtschaftsministers, der gesagt hat, dass sich diese Regelung bewährt hat? Und wie würden Sie es beurteilen, wenn wir nun eine Regelung für Nordrhein-Westfalen erließen, die nicht so weit geht wie die Ihrer grünen Regierung in Hessen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, das war jetzt aber mehr als eine Zwischenfrage. Ich habe deutlich mehrere Fragezeichen gehört. Insofern empfehle ich noch einmal die Lektüre der Geschäftsordnung.

Dietmar Brockes (FDP): Ich dachte, ein paar mehr wären besser.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Aber ich denke, Frau Kollegin Brems wird damit umgehen können. – Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Wibke Brems (GRÜNE): Ganz herzlichen Dank. – Ich kannte die Aussage bisher in der Form nicht. Aber herzlichen Dank dafür, dass Sie sie einfach einmal darstellen.

Ich möchte Ihnen aber eines noch einmal ganz klar sagen – ich habe das auch schon an unterschiedlichen Stellen gesagt; ich weiß nicht, ob es für Sie neu ist –: Wir sind in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt worden. Wir sind hier verantwortlich. Und Sie sind verantwortlich für das, was Sie hier erreichen oder eben nicht erreichen.

Alle diese Sachen – auch das, was Sie gerade gemacht haben – können nicht davon ablenken, dass Sie zwar immer davon sprechen, etwas für Windenergie tun zu wollen, dass aber das, was Sie tun, nicht ausreicht und auch nicht zu Ihren Klimazielen passt.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Was macht denn Herr Kretschmann?)

Sie bleiben es also schuldig, zu sagen, wie Sie Ihre eigenen Klimaschutzziele erreichen wollen. Was machen Sie stattdessen? Sie beschließen einen 1.000‑m-Abstand von Windenergieanlagen zu Wohnbebauungen. Und nicht nur das: Sie beschließen komplizierte Sonderregelungen, bei denen die Landesregierung noch nicht einmal weiß, welche Auswirkungen die Änderungen überhaupt haben werden.

Ich habe die Landesregierung in einer Kleinen Anfrage gefragt, in wie vielen Kommunen die schon genannten Außenbereichssatzungen bereits vorhanden sind und welche Auswirkungen das auf das Potenzial hat. Die Antwort der Landesregierung lautet: Wir haben keine Zahlen dafür. – Diese Art der Politik ist einfach nur verantwortungslos.

Das war aber noch nicht alles. In der Anhörung hat der Gesetzentwurf von allen Seiten – von der bäuerlichen Landwirtschaft bis hin zu den Kommunen – ausschließlich negative Kommentare erhalten. Alle kritisieren Sie für Ihr Vorhaben.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Die Konsequenz, die CDU und FDP daraus ziehen, ist: keine einzige Änderung am Gesetzentwurf; noch nicht einmal bei Kleinigkeiten, die gefordert wurden, wie Übergangsfristen oder Entgegenkommen bei Kleinwindanlagen, geschweige denn beim Repowering.

Sie machen das alles ohne Änderung, weil Sie eigentlich wissen, dass der ganze Entwurf Murks ist. Er verhindert, statt zu ermöglichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nicht auf Wissenschaftler*innen und Expert*innen zu hören, bewusst den Feldzug gegen die Windenergie fortzuführen

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

und gleichzeitig echten und gerechten Klimaschutz zu verhindern: Das ist grob fahrlässig, und das ist die Politik von CDU und FDP.

Wir lehnen diese Art von Politik ab – genauso wie Ihren Gesetzentwurf. Denn wir arbeiten daran, dass die vorhandenen Potenziale unseres Landes genutzt werden.

(Zuruf Bodo Löttgen [CDU]: Vor allen Dingen in Baden-Württemberg!)

Wir stehen für eine Politik, die Menschen einbezieht und ihnen Chancen und eine gute Zukunft gibt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und Frank Sundermann [SPD] – Zurufe von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Ihnen ist angezeigt worden, dass eine Kurzintervention von der Fraktion der FDP für Herrn Abgeordneten Höne angemeldet wurde. Es steht Ihnen natürlich frei, diese an Ihrem Platz entgegenzunehmen und zu erwidern. – Jetzt hat Herr Abgeordneter Höne 90 Sekunden lang das Wort für eine Kurzintervention.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Brems, wir können nach dem bisherigen Debattenverlauf festhalten: Sie glauben nicht, dass mehr Abstand zu mehr Akzeptanz für die Windenergie führt. Wir glauben das.

Das ist ein politischer Unterschied. Meine Erfahrung ist in diesem Zusammenhang eine andere als Ihre. Darauf will ich mich aber gar nicht mehr konzentrieren, sondern einmal kurz auf die Behauptung von Ihnen und vom Kollegen Hübner eingehen,

(Michael Hübner [SPD]: Da müssen Sie mich fragen!)

die in die Richtung ging, NRW sei das einzige Land, das so vorgehe; es sei das strengste; wir würden hier am meisten – Ausbauzahlen usw. – verhindern.

(Michael Hübner [SPD]: Da hast du aber nicht richtig zugehört!)

Ich gebe Ihnen einmal ein Zitat mit, das Ihre Behauptungen in diese Richtung widerlegt. Das hessische Beispiel ist vorhin schon genannt worden. Dieses zitiere ich also nicht. Zitat:

„Die Koalition setzt sich zum Ziel, die Akzeptanz der Windkraft zu erhöhen, und legt fest, dass Repowering und Ausbau nur außerhalb eines Radius von 1.000 Metern zur Wohnbebauung stattfinden darf. … In diesem Rahmen ist eine Vergrößerung der Abstandsempfehlung zu besonders belasteten Siedlungen auf 1.500 Meter zu prüfen.“

Ich habe ab Zeile 3471 aus einem Koalitionsvertrag vorgelesen. Dieser Vertrag wurde zwischen CDU, SPD und Grünen im Landesverband Brandenburg, dem Landesverband von Frau Baerbock, vereinbart und stammt aus dem Jahr 2019. Ihre Unwahrheiten sind damit mindestens ein weiteres Mal entlarvt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Wie viele Länder haben denn die Ausnahmeregelung jetzt in Anspruch genommen? Nenne einmal ein Bundesland!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Höne. – Frau Kollegin Brems, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Zunächst einmal gibt es keinerlei wissenschaftliche Beweise dafür, dass größere oder feste Abstände von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung für mehr Akzeptanz sorgen. Die gibt es einfach nicht, Herr Höne. Das hat an dieser Stelle nichts mit Glauben zu tun.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Darauf sollte man schon achten. Es gibt für Ihre Behauptung keine wissenschaftlichen Beweise.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Zu den Ablenkungen in andere Richtungen sage ich Ihnen ganz klar: Sie sind hier in der Verantwortung dafür, dass die Klimaschutzziele eingehalten werden und dass Sie Ihre Ausbauziele erreichen. Das tun Sie einfach nicht. Das habe ich Ihnen soeben dargestellt. Ich verzichte darauf, das noch einmal zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN)