Berivan Aymaz: „Der Antrag ist Ausdruck einer Geisteshaltung, die Humanität und Solidarität per se ablehnt“

Antrag der "AfD"-Fraktion zur Neuansiedlung von Schutzsuchenden

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ist die einzige Rechtsnorm, die es Bundesländern erlaubt, Menschen in Not aus humanitären Gründen aufzunehmen.

Im Jahr 2013 legten fast alle Bundesländer – darunter auch NRW – auf Grundlage dieses Paragrafen Aufnahmeprogramme auf und ermöglichten damit erst die Aufnahme von Menschen aus Syrien, die dort wegen des Krieges einer humanitären Katastrophe ausgesetzt waren. Nur so konnten Menschen legal und sicher nach Deutschland einreisen. Im Rahmen der Landesaufnahmeanordnung NRW sind damals fast 2.600 Visa erteilt worden.

Baden-Württemberg hat im Jahr 2014 beispielsweise Gebrauch von dieser Norm gemacht und für 1.000 traumatisierte jesidische Frauen, die Gewalt und Gefangenschaft des sogenannten IS entkommen konnten, Schutz‑ und Therapiemaßnahmen ermöglicht.

Durch dieses Pilotprojekt, das auf Initiative von Ministerpräsident Kretschmann bundesweit voranging, konnten sich viele Frauen und Kinder aus Kurdistan und dem Irak hier erst wieder ein neues Leben in Sicherheit aufbauen. Eine dieser Frauen ist die heutige UN-Botschafterin und Nobelpreisträgerin Nadia Murad.

Dass die AfD mit dem vorliegenden Antrag genau diese Rechtsnorm, mit der Bundesländer humanitäre Verantwortung übernehmen können, zunichtemachen will, verwundert mich, ehrlich gesagt, nicht, denn der Antrag ist Ausdruck einer Geisteshaltung, die Humanität und Solidarität per se ablehnt.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Dass die AfD diesen Antrag nun zu einer Zeit vorlegt, in der zahlreiche Kommunen und die Zivilgesellschaft mit ihren Beschlüssen und Initiativen ihre Stimme immer lauter gegen eine Abschottungspolitik erheben, wie sie auf europäischer Ebene betrieben wird, zeigt auch, wie sehr die AfD diese solidarische Gesellschaft und diese Politik von unten fürchtet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Über 200 Kommunen bundesweit, darunter fast 50 in NRW, haben sich zum Netzwerk „Sichere Häfen“ zusammengefunden und wollen das Leid der schutzsuchenden Menschen in den griechischen Camps oder aber auch vor der europäischen Grenze in Bosnien nicht länger hinnehmen. Die Bundesländer Thüringen und Berlin haben auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG Aufnahmeprogramme für diese Menschen in Not beschlossen, werden aber durch die Blockadehaltung von Bundesinnenminister Seehofer an der Umsetzung gehindert.

Die dramatische Situation auf Lesbos und im bosnischen Lipa haben wir hier immer wieder eingebracht und thematisiert. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen: Sie sind das Ergebnis einer langjährigen Abschottungspolitik der EU und stellen einen Bruch mit europäischen Werten und Menschenrechten dar. Wir haben immer wieder, auch mit unseren Anträgen hier im Landtag klar gemacht, dass wir diese Situation in Griechenland, aber auch vor den Toren Europas nicht länger hinnehmen wollen.

Daher braucht es eine humanitäre Aufnahmepolitik, bei der Bund, Länder und Kommunen kooperativ zusammenarbeiten und vor allen Dingen die Aufnahmebereitschaft der Kommunen nicht mehr länger ignoriert wird. Länder und Kommunen müssen mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, wenn es um die Aufnahme von Menschen in Not geht. Das bedeutet, dass § 23 Abs. 1 AufenthG nicht, wie von der AfD gefordert, zunichtegemacht wird, nein, sondern noch mehr als ein wirksames Instrument gestärkt werden muss.

Mit einer Änderung der Zustimmungsregel zwischen dem Bundesinnenministerium und den Ländern vom Einvernehmen im Benehmen wollen auch wir Grüne klarstellen, dass sich die Bundesländer künftig über den Königsteiner Schlüssel hinaus selbstständig und frei für humanitäre Verantwortungsübernahme und Aufnahme entscheiden können, damit zukünftig eine Blockade, wie sie derzeit von Seehofer ausgeübt wird, einer breiten gesellschaftlichen Forderung nach humanitärer Verantwortungsübernahme nicht länger im Weg stehen kann.

Die zahlreichen Beschlüsse der solidarischen Kommunen, die Landesaufnahmepläne von Thüringen und Berlin, die von Seehofer verhindert werden, und die Abschottungspolitik auf europäischer Ebene zeigen doch, dass es jetzt erst recht an der Zeit ist, nicht nur den Flüchtlingsschutz zu stärken, sondern auch den demokratischen Staatsaufbau von unten. Und genau das will die AfD mit dem vorliegenden Antrag verhindern. Wir lehnen ihn entschieden ab. – Vielen Dank.

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