Wibke Brems: „Mit dieser Leitentscheidung zerstören Sie viel mehr als Kirchen: Sie zerstören Heimat“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur Braunkohle-Leitentscheidung 2021

Portrait Wibke Brems 5-23

Der Entschließungsantrag der GRÜNEN im Landtag

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die St. Lambertus Kirche war fast 130 Jahre alt, bevor sie im Januar 2018 dem Erdboden gleichgemacht wurde, von RWE.

(Dietmar Brockes [FDP]: Leitentscheidung 2016!)

Der Immerather Dom, wie St. Lambertus von den Menschen genannt wurde, ist die letzte Kirche, die dem Tagebau Garzweiler zum Opfer fiel. Wenn es nach RWE geht, wären als nächstes die Heilig Kreuz Kirche in Keyenberg, die Herz Jesu Kirche in Kuckum und St. Josef in Berverath dran.

Kirchen sind Orte der Stille, der Einkehr, der Freude und der Trauer, der Hoffnung und der Zuversicht. Kirchen sind Orte der Gemeinschaft. Sie begleiten ganze Familien über Generationen. Kirchen sind für viele ein Inbegriff von Heimat. Sie geben Halt, und sie geben Orientierung. Deshalb liegt vielen Menschen daran, sie zu bewahren.

Es ist ausgerechnet ein Christdemokrat, ein Katholik, der das Schicksal der letzten Kirchen

(Dietmar Brockes [FDP]: Leitentscheidung 2016!)

im Tagebau Garzweiler besiegelt –

(Henning Rehbaum [CDU]: 2016 haben Sie das entschieden!)

und das, obwohl Herr Laschet die Chance hätte,

(Zurufe von der CDU – Glocke der Präsidentin)

der Retter zu sein.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Es ist mit Ihre Verantwortung!)

Mit dieser Leitentscheidung zerstören Sie viel mehr als Kirchen. Sie zerstören Heimat.

(Zuruf von der CDU: Das war doch Ihre Entscheidung!)

Sie lassen zu, dass die Profitinteressen von RWE über dem Wohl von Menschen stehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Eigentlich würde ich gerne den Ministerpräsidenten hier fragen, ob er findet, dass das seinem Amt als Ministerpräsidenten wirklich gerecht wird. Herr Laschet hat bestimmt

(Zurufe von Petra Vogt [CDU] und Josef Hovenjürgen [CDU] – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

sehr viele große Baustellen von Berlin bis hierhin. Die hat er zugegebenermaßen. Aber das hier ist eine so wichtige Entscheidung für so viele Menschen für die nächsten Jahre, dass er hier anwesend sein und sich dieser Diskussion hier stellen sollte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn wir sind der Meinung, er müsse für alle da sein und nicht nur für einen Konzern.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich! – Henning Rehbaum [CDU]: Alternative Fakten!)

– Das scheint Sie ja zu treffen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben die Entscheidung getroffen 2016, Frau Brems! Sie haben selbst die Hand gehoben, Frau Brems! Was Sie hier machen, ist unanständig! – Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Auch an dieser Stelle gilt, dass Frau Kollegin Brems jetzt das Wort hat.

Wibke Brems (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Tausende Menschen

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

haben bereits in den vergangenen Jahrzehnten ihre Heimat für die Stromversorgung aus Braunkohle verloren. Hunderte Menschen, deren Zuhause das Revier zum Teil bereits seit Generationen ist, die seit dem Kohlekompromiss um ihr Zuhause bangen, haben ihre Hoffnung und ihr Vertrauen in Sie gesetzt, in den Ministerpräsidenten und in diese Landesregierung. Aber Sie haben die Chance vertan, die Kirchen und die Heimat dieser Menschen zu retten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben es sich stattdessen wirklich einfach gemacht und sich die energiepolitische Notwendigkeit von der Bundesregierung bestätigen lassen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das sind doch Nebelkerzen!)

Die hat nur gar kein Recht dazu, was jetzt auch ein Rechtsgutachten festgestellt hat. Aber Sie tun sich ja sowieso schwer, Gutachten anzuerkennen.

(Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU] und Jörn Freynick [FDP])

Das über ein Jahr zurückgehaltene Gutachten von Wirtschaftsminister Altmaier hat klar attestiert: Wäre der Kohlekompromiss umgesetzt worden, könnten der Hambacher Wald und die Dörfer in Garzweiler erhalten bleiben. Das Gleiche gilt für Ihre angebliche META-Studie.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Sie gucken sich zwar alles an, aber nehmen hinterher doch nur das, was Ihnen in den Kram passt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es müsste nicht bis 2026 gewartet werden. Wir wissen jetzt schon, dass es vollkommen unnötig ist, die Dörfer abzubaggern.

(Jörn Freynick [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Sie könnten es auch wissen, wenn Sie denn Ihre Augen öffnen würden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Distanzieren Sie sich erst mal vom Rechtsbruch, Frau Kollegin!)

Seitdem die Leitentscheidung am Dienstag vorgestellt wurde, lassen Sie so etwas wie ein Twitterfeuerwerk zünden, mit dem Sie sich selber abfeiern. Aber auch diese schönen Grafiken und markigen Sprüche können nicht übertünchen, dass die Dörfer weiterhin von Zerstörung bedroht sind.

(Zurufe von Henning Rehbaum [CDU] und Jörn Freynick [FDP])

Sie nehmen den Menschen in den Dörfern ihre Perspektive. Ihre Leitentscheidung und Ihre Inszenierung sind Ausdruck Ihrer Mutlosigkeit. Ihnen fehlt der Mut, dem großen Kohlekonzern Paroli zu bieten.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sagen Sie, die 2016 die Hand gehoben hat! Das ist peinlich, Frau Brems!)

Jetzt hat der Ministerpräsident noch nicht einmal den Mumm, sich hier selbst hinzustellen und den Menschen ehrlich zu sagen, dass er sie im Stich gelassen hat. Stattdessen schwurbelt der Minister Pinkwart hier von Optionen und dass man 2026 noch mal schauen müsse, wie die Lage ist.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben gar keine Perspektive gelassen! Sie sind unanständig!)

Aber Sie bringen einfach nur fünf Jahre Unsicherheit für die Menschen und wollen das auch noch als Erfolg verkaufen. Sie haben nicht nur die Menschen im Rheinischen Revier damit bitter enttäuscht.

(Jörn Freynick [FDP]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Sie sorgen mit diesem unsäglichen Verhalten auch noch dafür, dass die Menschen das Vertrauen in Politik insgesamt verlieren. Und das ist Ihre Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Romina Plonsker [CDU])

Sie werden mit dieser Leitentscheidung Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Da können Sie noch so sehr brüllen oder dagegen sein und uns etwas vorwerfen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was war denn dann Ihre Zustimmung zu Ihrer Leitentscheidung? Unanständig!)

Es ist klar: Es wird eine neue Leitentscheidung geben, eine Leitentscheidung, die die Menschen und das Klima im Fokus hat und nicht einen Konzern.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung, Frau Kollegin!)

Sie hätten die Chance gehabt, die letzte Leitentscheidung für das Revier zu machen, etwas Historisches. Sie haben das verpasst.

(Zuruf von Thomas Schnelle [CDU])

Es wäre eine Leitentscheidung möglich gewesen, die über Wahlen hinaus Bestand hat. Sie hätten damit für Sicherheit sorgen können, für Perspektiven und für sozialen Frieden. Sie hätten beispielsweise auf uns zugehen und gucken können, was man machen kann. Sie hätten auf die Menschen in der Region zugehen können.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Das haben Sie noch nicht einmal versucht.

(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Das sind doch alternative Fakten, was Sie da vortragen!)

Ich bewundere Menschen wie David Dresen, der in Kuckum bleiben will, der Heimat seiner Familie seit Generationen. Er lässt sich nicht entmutigen. Er tut sich mit Nachbar*innen zusammen und nimmt den juristischen Kampf gegen RWE auf sich. Denn mit dieser Leitentscheidung ist auch klar, dass die Auseinandersetzung vor Gericht weitergehen wird.

(Zuruf von der CDU)

Sie wollen ja in der Zeit bis 2026 – so hört sich das manchmal ein bisschen an – den Menschen in den Dörfern irgendwie Ruhe gönnen. Aber was ist das denn für ein Leben, wenn um einen herum alles einfach zu Schutt und Asche wird?

Es wäre Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass RWE dort nicht weiter Häuser abreißt, Bäume fällt oder Straßen entfernt. So ein Moratorium wäre endlich notwendig. Anders als Sie es hier behaupten, bietet diese Leitentscheidung

(Zuruf von Romina Plonsker [CDU])

genau diese Sicherheit nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Heute Nachmittag bringt die Landesregierung noch ein Klimaschutzgesetz ein, mit dem sie sich zu Paris bekennt. Aber Konsequenzen daraus ziehen Sie überhaupt nicht. Denn wenn Deutschland das Pariser Klimaziel

(Zuruf von Romina Plonsker [CDU])

und die EU-Ziele einhalten soll, kann Deutschland nicht erst 2038 aus der Kohle aussteigen. Das lässt sich ganz einfach nachrechnen.

Oder man macht es nach der Methode „Laschet“:

(Zuruf von Romina Plonsker [CDU])

ankündigen, sich feiern lassen und dann nichts mehr tun.

Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Herr Laschet muss nach dem handeln, was er ankündigt. Nehmen Sie den Klimaschutz ernst.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist doch alles Show, was Sie hier machen! Eine ganz billige Show!)

Zementieren Sie nicht den Kohleausstieg 2038. Es wäre Ihre Aufgabe als Ministerpräsident und auch CDU-Vorsitzender, dann zu sagen: Machen Sie den Kohleausstieg 2030 möglich! – Das ist das, was anliegt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Dann entschuldigen Sie sich jetzt für Ihre Leitentscheidung, wenn Sie das ernst meinen! Sagen Sie, das war falsch! Dann erklären Sie das! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Brems, Sie haben das Wort.

Wibke Brems (GRÜNE): Danke schön. – Noch viel älter als die Kirchen und die Dörfer ist der Hambacher Wald. Auch er ist mehr als ein Symbol. Er ist ein Refugium für seltene Tiere und ein einzigartiger Naturraum. Es reicht einfach nicht, wenn sich der Ministerpräsident den Erhalt wünscht, er muss auch etwas dafür tun.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Er könnte ganz einfach den Hambacher Wald in öffentlichen Besitz überführen und ihn bei der EU als FFH-Gebiet nachmelden. Das muss endlich getan werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bevor ich hier hingefahren bin, hat mir jemand aus dem Rheinischen Revier etwas mitgegeben:

(Zurufe von der CDU: Oh!)

diese Fliese aus dem Immerather Dom.

(Die Abgeordnete hält ein Päckchen hoch.)

Sie mahnt: …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Wibke Brems (GRÜNE): … Der Immerather Dom sollte für immer die letzte Kirche sein, die den Tagebauen zum Opfer fällt.

(Henning Rehbaum [CDU]: Den Abriss haben die Grünen beschlossen!)

Wir werden alles dafür tun, dass die Menschen im Rheinischen Revier wieder Vertrauen in ihre Zukunft haben können.

(Rainer Deppe [CDU]: Das ist ja nur noch peinlich!)

Denn das ist das, was Sie mit Ihrer Leitentscheidung mutwillig zerstören.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Dann entschuldigen Sie sich für Ihre Leitentscheidung!)

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