Bewohnerinnen und Bewohner von kommunalen Gemeinschaftsunterkünften vor der Corona-Pandemie schützen – dezentrale Unterbringung stärken

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Berivan Aymaz 2021

I. Aktuelles Infektionsrisiko in Gemeinschaftsunterkünften

In Gemeinschaftsunterkünften sind Menschen ganz besonders gefährdet, sich mit dem Coronavirus anzustecken, weil sie auf engem Raum zusammenleben müssen und die Abstandsregeln nur schwer eingehalten werden können. Das gilt auf Landesebene genauso wie in den Kommunen. Davon sind zum Beispiel Obdachlose in Kommunen betroffen, die Einrichtungen für Wohnungslose bzw. Obdachlose aufsuchen oder Geflüchtete, die sowohl auf Kommunal- als auch auf Landesebene in Gemeinschaftsunterkünften wohnen müssen.

Die neuen Varianten des Coronavirus, die sich deutlich schneller verbreiten, zwingen uns weiterhin Kontakte zu minimieren. Ziel aller Schutzmaßahmen ist die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19. Grundlage ist der Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Die Unterbringung in Räumen, in denen die üblichen Abstands- und Hygieneregeln aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und mit gemeinschaftlicher Verpflegung nur schwer einzuhalten sind, stellen nachweislich ein besonders hohes Infektionsrisiko dar und werden deshalb auch regelmäßig in den Coronaschutzverordnungen des Landes für andere Bereiche untersagt. Auch die gemeinschaftliche Nutzung von Sanitärräumen stellen die Träger vor zusätzliche große Herausforderungen.

Das RKI schätzt das Übertragungsrisiko virusbedingter Erkrankungen der Atemwege in Aufnahmeeinrichtungen (AE) und Gemeinschaftsunterkünften (GU) als „besonders hoch“ ein (Empfehlungen für Gesundheitsämter zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Schutzsuchende (im Sinne von §§ 44, 53 AsylG)). Die frühzeitige Identifikation und Information aller Risikopersonen und deren separate Unterbringung, in der die medizinische Versorgung sichergestellt ist, ist Aufgabe der kommunalen Gesundheitsämter. Eine Quarantäne der gesamten Einrichtung oder größerer Gruppen sind laut RKI zu vermeiden. Die Bekämpfung der Pandemie ist aber gesamtstaatliche Aufgabe. Das Land muss nicht nur zum Schutz der gesamten Bevölkerung ein enormes Interesse an der Vermeidung größerer Ausbrüche haben, sondern auch angesichts der Größe der Aufgabe unmittelbare fachliche und finanzielle Unterstützung leisten.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut verweist auf zahlreiche Berichte über Ausbrüche in US-amerikanischen Unterkünften, „bei denen sowohl BewohnerInnen als auch Personal mit teilweise sehr hohen Erkrankungsraten (bis 36%) betroffen waren“ (Epidemiologisches Bulletin vom 04.02.21).

Auch die Studie der Universität Bielefeld verweist auf das deutlich erhöhte Infektionsrisiko in Aufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete und empfiehlt eine möglichst dezentrale Unterbringung (https://pub.uni-bielefeld.de/download/2943665/2943668/FactSheet_PHNetwork-Covid19_Aufnahmeeinrichtungen_v1_inkl_ANN EX.pdf). Dennoch kommt es immer wieder zu umfangreichen Ausbrüchen, infolgedessen die örtlichen Gesundheitsämter Teil- oder Vollquarantäne verhängen. Diese massiven Einschränkungen sind aufgrund normativ-rechtlicher und gesundheitlicher Aspekte hoch problematisch und betreffen teilweise nicht Infizierte in großem Maße.

Nachdem es in einer Notunterkunft für Geflüchtete in der Herkulesstraße in Köln aufgrund einzelner positiv getesteter Fälle mehrfach zu wochenlangen Quarantäneanordnungen gekommen war, hat es dort anschließend einen großen Virus-Ausbruch gegeben. In Düsseldorf war im Februar bei einem Mann in einer Notschlafstelle für Obdachlose eine Infektion mit der britischen Virus-Mutation nachgewiesen worden. Weitere Kontaktpersonen wurden positiv getestet.

Diese Vorfälle erhöhen natürlich die ohnehin berechtigte Befürchtung bei Bewohnerinnen und Bewohnern sowie dem Betreuungspersonal, sich in Gemeinschaftsunterkünften mit dem Coronavirus anzustecken. Geflüchtete haben keine Wahl. Obdachlose hingegen meiden Gemeinschaftsunterkünfte – auch bei widrigsten Bedingungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe zählte diesen Winter bundesweit bereits 22 obdachlose Menschen (vier davon in NRW), die den Kältetod gestorben sind. Das sind so viele wie seit 1996/97 nicht mehr. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Neben diesen tragischen Fällen kommt es auch zu einer Vielzahl weiterer vermeidbarer Kontakte, die bei dezentraler und kontinuierlicher Unterbringung in möglichst homogenen Gruppen vermeidbar wären.

II. Maßnahmen des Landes NRW zur Eindämmung des Infektionsrisikos in Gemeinschaftsunterkünften

Neben der Einhaltung der Abstandsregeln und Hygienevorschriften wird von Experten dringend empfohlen, Risikogruppen präventiv möglichst für die Dauer der gesamten Pandemie separat unterzubringen. Für die Landesunterbringungseinrichtungen für Geflüchtete hat das Land befristet Ausweichunterkünfte wie Jugendherbergen angemietet, sodass die Belegung reduziert werden konnte. Hier wurden insbesondere Menschen aus Risikogruppen untergebracht. Allerdings laufen auch hier die Mietverträge der entsprechend angemieteten Unterkünfte aus, sodass unklar ist, ob die von Landesseite verfügbaren Platzkapazitäten ausreichen, um Risikopersonen in Zukunft angemessen unterbringen zu können (vgl. 17/4493).

Des Weiteren entwickelte ein Beratungsstab, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern mehrerer Expertinnen und Experten, den Bezirksregierungen, der Landschaftsverbände und des Landeszentrums für Gesundheit in Zusammenarbeit mit dem MKFFI und dem MAGS ein sogenanntes „Rahmenkonzept zur Vermeidung des Ausbruchs und der Ausbreitung von COVID-19 in den Landeseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen“ (Vorl. 17/4133). Die dort zu bildenden sogenannten „Satellitenteams“ sollen Maßnahmen sowohl für die Prävention als auch im Falle eines Infektionsausbruchs entwickeln und die Kommunikation unter den Bewohnerinnen und Bewohnern als auch zu den relevanten Institutionen gewährleisten (ebd.).

Die Lage in den Kommunen ist hingegen unterschiedlich. Die Landesregierung hat offenbar nur unzureichende Informationen darüber, inwieweit Obdachlose und Geflüchtete, die zu Risikogruppen gehören und in Gemeinschaftsunterkünften leben, vor einer Infektion geschützt sind. Sie begründet dies damit, dass etwa die Erarbeitung einer Impfstrategie, bzw. die Entscheidung, an wen FFP2-Masken verteilt werden, eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Kommunen seien (17/4706, 17/4715). Doch gerade in Zeiten von Corona zeigt sich, dass landesweite Absprachen und koordiniertes Handeln von besonderer Wichtigkeit sind. So entwickeln alle Kommunen unterschiedliche Konzepte, das kein gemeinsames Vorgehen erkennbar macht. Hier sind zumindest genaue Standards seitens des Landes zu formulieren.

Nur einige setzen bisher auf dezentrale Unterbringung bei Geflüchteten oder Obdachlosen. Als Vorbild werden von der BAG Wohnungslosenhilfe Kommunen (wie z.B. Düsseldorf) genannt, die leerstehende Hotels oder Ferienwohnungen anmieten, um Obdachlose besser – also mit mehr Abstand und mit Einzel- statt Gemeinschaftsbädern – unterbringen zu können.

Auch in Köln erkannte die Stadt nach dem Ausbruchsfall in der Gemeinschaftsunterkunft Herkulesstraße, dass eine dezentrale Unterbringung die Rechte und Gesundheit der Betroffenen – aber letztlich auch der umliegenden Bevölkerung – besser schützt. Dementsprechend plant die Stadt schrittweise, sämtliche Geflüchtete dezentral unterzubringen (https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=804002&type=do&).

III. Impfsituation in Gemeinschaftsunterkünften

Zur Verhinderung von Transmission sowie Schutz in Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und in solchen mit hohem Ausbruchspotenzial sollen laut RKI (Epidemiologisches Bulletin vom 4.2.21) Bewohnerinnen und Bewohner sowie das Personal in Gemeinschaftsunterkünften (z.B. für Kinder und Jugendliche, Asylsuchende, Obdachlose, Frauenhäuser) frühzeitig geimpft werden. Damit gehören sie neben Menschen im Alter von 70 bis 75 Jahren und Vorerkrankten mit erhöhtem Risiko zur dritten Gruppe in der empfohlenen Impfreihenfolge. In der Corona-Impfverordnung des Landes NRW entspricht dies der Gruppe 2.

Doch in NRW sind die kommunalen Gesundheitsämter seit Monaten an der Belastungsgrenze. Die Impfkampagne des Landes geht nur schleppend voran. Auch bei den Gemeinschaftsunterkünften muss noch geklärt werden, wie die Umsetzung erfolgen kann. Werden die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam in Bussen zu den Impfzentren gefahren oder kann hier vor Ort geimpft werden? Wie werden mehrsprachige Aufklärungs- und Informationsmaterialien zur Impfung bereitgestellt und das Patientengespräch in der jeweiligen Herkunftssprache gewährleistet? Nachfragen zur Impfstrategie des Landes in den NRW-Flüchtlingsunterkünften konnten bisher zu diesen Fragen keine Klarheit liefern (vgl. Vorl. 17/4715 sowie Ausführungen der Landesregierung im Integrationsausschuss am 24.02.).

Darüber hinaus sind in den Einrichtungen auch ausreichende Informationen über das Virus und die Maßnahmen zur Eindämmung sicherzustellen. Das durch den oben genannten Beratungsstab entwickelte Infektionsschutzkonzept für Landesunterkünfte für Geflüchtete sieht präventiv und im Ausbruchsfall entsprechende Maßnahmen vor. Die „Satellitenteams“ beziehen dabei die BewohnerInnen ein, insbesondere wenn es um die Kommunikation und Information geht. Kommunen sollten diesem Beispiel folgen. Für die Bewohnerinnen und Bewohner ist es auch wichtig, unmittelbar Zugang zum Internet zu haben. Nur so können sie sich kontinuierlich und aktuell selbst informieren und ggf. Beratungsleistungen in Anspruch nehmen.

Die Landesregierung hat im Jahr 2020 ein Notfallpaket zur Soforthilfe in Höhe von 500.000 Euro zur Versorgung von obdachlosen Menschen während der Corona-Krise bereitgestellt und 340.000 Euro für Schutzmaßnahmen zur Verhinderung gesundheitlicher und coronabedingter Beeinträchtigungen in der kalten Jahreszeit zur Verfügung gestellt. Doch vor Ort werden Kommunen, Bewohnerinnen und Bewohner sowie das Personal bei der Organisation im Stich gelassen.

IV. Der Landtag stellt fest:

  • Das Risiko einer Ansteckung für Menschen in Gemeinschaftsunterkünften ist höher als bei dezentraler Unterbringung.
  • Verantwortungsvolles Handeln setzt umfassende und mehrsprachige Information und Kommunikation in Bezug auf Abstand, Hygiene und Impfungen voraus.
  • Der Gefahr einer durch Mutationen beschleunigten dritten Welle in NRW muss mit einer umfassenden Strategie des Landes für den Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie des Personals in Gemeinschaftsunterkünften begegnet werden. Nur so können diese Menschen möglichst geschützt und damit auch eine Dynamisierung des Infektionsgeschehens für die gesamte – zumindest umliegende – Bevölkerung eingedämmt werden.
  • Die Kommunen können nicht die alleinige organisatorische, finanzielle und fachliche Verantwortung für die pandemiebedingten Herausforderungen für staatlich finanzierte Unterkünfte tragen.

V. Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird aufgefordert, eine Strategie für Gemeinschaftsunterkünfte zu erarbeiten, die folgende Eckpunkte enthält:

  1. Kommunen werden bei der Organisation von dezentralen Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete und Wohnungslose von Seiten des Landes finanziell und organisatorisch unterstützt.
  2. Das Land erarbeitet gemeinsam mit den Kommunen Strategien, die es ermöglichen, dass gerade Obdachlose auch wieder sichere Unterkünfte erreichen können. Hierzu sind neben fachlichen auch finanzielle Unterstützungsleistungen bereit zu stellen, die ständig wechselnde Kontakte der Betroffenen reduzieren.
  3. Rahmenkonzepte und stetig aktualisierte Richtlinien, die für Landesunterkünfte entwickelt werden, sollen den Kommunen in Form von Empfehlungen und Leitlinien zur Verfügung gestellt werden.
  4. Barrierefreie Informationen und Kommunikationsangebote für alle Bewohnerinnen und Bewohner, insbesondere zu Abstandsregeln, Hygienevorschriften und Impfmöglichkeiten sollen in den jeweiligen Herkunftssprachen zur Verfügung gestellt werden.
  5. Bewohnerinnen und Bewohner aus Risikogruppen (Definition gemäß RKI) erhalten werden ggf. mit ihren Familienangehörigen in separaten und den Bedürfnissen entsprechenden Unterkünften untergebracht.
  6. Impfwillige Personen in den Kommunen erhalten gemäß der Empfehlungen der STIKO baldmöglichst Zugang zu Impfungen und der Transport der Menschen zu den Impfzentren wird gefahrlos sichergestellt oder durch alternative Angebote (z.B. aufsuchende Impfungen) ersetzt.
  7. Ferner stellt das Land sicher, dass Hygiene- und Abstandsregeln dauerhaft und möglichst umfassend eingehalten werden können.