Wibke Brems: „Wir wollen frische Luft, Lebensqualität und eine abgasfreie Zukunft.“

Unterrichtung der Landesregierung zur Weltklimakonferenz 2017 in Bonn

Portrait Wibke Brems 5-23

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Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im November – das haben wir eben gehört – ist die Welt zu Gast in Nordrhein-Westfalen. Die Welt schaut dann auf Nordrhein-Westfalen und fragt: Was passiert in Sachen Klimaschutz? – Ich hoffe, wir können dann nicht nur auf unsere nordrhein-westfälischen Bemühungen bezogen sagen: Es passiert viel, und viele packen an, dass es auch wirklich gelingt.
(Die Rednerin hält ein Blatt mit zwei Fotos hoch.)
– Das hier sind Chinma George und A. G. Saño. Sie waren in der vergangenen Woche hier im Landtag. Sie sind so etwas wie Vorboten für die Klimakonferenz gewesen. Leider sind sie auch so etwas wie Vorboten für die Klimakatastrophe. Denn für Millionen von Menschen auf der Erde ist die Klimakatastrophe nicht düstere Zukunft, sondern schon heute bittere Realität.
Chinma George kommt aus Nigeria. Der Norden Nigerias ist mit der Region des Tschadsees schon heute vom Klimawandel sehr stark betroffen. Der Tschadsee war 1960 so groß wie Nordrhein-Westfalen, heute ist er noch so groß wie Berlin. Das Klima sorgt für immer weniger Niederschläge, eine Ausbreitung der Sahara und dafür, dass der See immer kleiner wird. 20 Millionen Menschen in der Region sind direkt oder indirekt von diesem See abhängig.
Ein Grund für das Erstarken der Terrororganisation Boko Haram ist das Verschwinden des Sees. Wer keine Perspektive hat, flüchtet sich in Extreme. 2,7 Millionen Menschen in der Tschadseeregion sind auf der Flucht vor Boko Haram. In Nigeria brauchen wir also nicht nur in die ferne Zukunft zu blicken; dort gibt es indirekt schon heute Klimaflüchtlinge, und es werden mehr erwartet. Denn die 14-Millionen-Megacity Lagos liegt eingekreist von Meer und Lagune. Der steigende Meeresspiegel hat hier also direkten Einfluss auf Millionen von Menschen.
A. G. Saño kommt von den Philippinen. Er hat den Taifun Haiyan erlebt. Dieser Taifun überstieg alles, was bis dahin bekannt war, alle bekannten Windgeschwindigkeiten. Er sorgte für Millionen von Obdachlosen und Zehntausende Tote. A. G. Saño überlebte den Taifun, verlor aber viele Freunde und Familienmitglieder. Seitdem es diesen Taifun gab, gibt es immer mehr und immer heftigere Taifune.
Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, hatte jede Fraktion die Chance, die beiden Klimaaktivisten zu treffen. Aber außer uns und den Piraten hatte niemand ein Interesse, den dringenden Appell der beiden zu hören, den sie an uns gerichtet haben: Wir brauchen euch im Parlament. Wenn ihr nicht für den Kohleausstieg kämpft – wer ist dann noch für uns da?
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ich das gern als Kompliment allein für uns Grüne werten würde, muss ich sagen: Dieser Appell richtete sich an uns alle. Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen gemeinsam den begonnenen Weg weitergehen. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten und für die streiten, die unsere Unterstützung am nötigsten brauchen.
Auch Chinma George und A. G. Saño wissen, dass Nordrhein-Westfalen das Klima nicht alleine retten kann. Aber sie sind darauf angewiesen, dass Industrienationen, die die beiden ganz klar als Hauptverantwortliche ihrer eigenen Misere sehen, handeln und ihrer Verantwortung gerecht werden.
Wir sind nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern von Nordrhein-Westfalen verpflichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben auch als Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Verantwortung; denn wir gestalten mit unseren Gesetzen, mit unseren Anträgen und mit unseren Wünschen an die Regierung unsere Art zu leben, unsere Art zu wirtschaften, mit.
Wir müssen uns dabei im Klaren sein, dass Entscheidungen, die wir treffen, eben nicht nur die Wirtschaft und das Leben in Nordrhein-Westfalen beeinflussen. Sie beeinflussen auch Menschen, Länder, Tiere und Pflanzen in anderen Teilen der Welt. Es ist unsere Aufgabe, daran zu denken. Es ist unsere Aufgabe, nicht auf andere Länder zu zeigen, wie Herr Hovenjürgen, und zu warten, bis die anfangen. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur an uns, sondern auch andere zu denken.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ja, es gibt Länder, die mehr CO2 ausstoßen als wir, aber abgesehen von einem großen Land im Westen findet in vielen Ländern ein Umdenken statt, anders als Sie, lieber Herr Hovenjürgen und Herr Höne, das uns weismachen wollen.
Ich nehme nur einmal China als ein Beispiel. Die chinesische Regierung fährt gigantische Regierungsprogramme zum Umstieg auf erneuerbare Energien an. Die Ziele für Windenergie und Solar für das Jahr 2020 wurden in der Zwischenzeit verzehnfacht. China hat Anfang des Jahres Kohlekraftwerksplanungen für 30 Kohlekraftwerke zurückgenommen und weitere 300 Gigawatt in 600 Blöcken komplett auf Eis gelegt. Das nur einmal als Relation! Bei uns schreit die Opposition sofort die Deindustrialisierung aus, nur weil ein Kraftwerk eventuell vor Gericht scheitert.
Herr Höne, weil Sie eben gefragt haben, wie sollen uns andere Länder das nachmachen, das sei alles viel zu teuer, ziehe ich noch einmal das Beispiel Indien heran. Indien baut in den nächsten zehn Jahren 57 % des Energieverbrauchs aus nichtfossilen Quellen. Sie sagen ganz klar – ich habe ein Zitat eines Regierungsmitarbeiters –: Rechnet man die Kosten der Kraftwerke mit ein, ist Ökostrom in Indien inzwischen günstiger als konventioneller Strom. – Das ist das, was wir den Inderinnen und Indern und allen vormachen. So muss es eben auch gehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ja, in den USA ist leider gerade alles anders. Da kassiert der egomanische Präsident zentrale Bestimmungen zum Klimaschutz per Dekret. Da wird mit einem Klimaleugner als Chef der Umweltbehörde der Bock zum Gärtner gemacht. Während wir hier in Nordrhein-Westfalen Fracking einen Riegel vorschieben, wird in den USA ein Exxon-Chef Außenminister.
Einmal ganz abgesehen davon, dass es auch hier im Haus Kollegen gibt, für die – so hat sich das an einigen Stellen eben hier angehört – der Klimaschutz irgendwie Beiwerk ist, gibt es Menschen, die in dieses Parlament einziehen wollen, die in genau dieselbe Kerbe schlagen wie Trump – Menschen, die nicht anerkennen können, was 99 % aller Forscherinnen und Forscher sagen; die noch immer nicht anerkennen können, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, mit dem wir uns alle gefährden. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese Leute hier im Parlament nichts zu sagen bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Während wir im Landtag an dieser Stelle Ende 2015 den Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen verabschiedet haben, hat sich die Staatengemeinschaft in Paris darauf verständigt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad begrenzt werden soll, am besten sogar auf unter 1,5 Grad. Doch leider auch an dieser Stelle schlechte Nachrichten: Die bisher angemeldeten Reduktionsziele der Weltgemeinschaft werden dafür leider nicht ausreichen.
Im November will sich dann die Staatengemeinschaft hier in Deutschland, hier in Nordrhein-Westfalen, treffen. In Bonn wird darüber diskutiert werden, wie die Ziele von Paris erreicht werden sollen, welche Staaten vorangehen und welche noch Unterstützung benötigen.
Wir in Nordrhein-Westfalen hatten mit dem Klimaschutzgesetz und dem Klimaschutzplan gezeigt, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen. Deutschland hingegen wird sein Ziel einer 40-prozentigen Treibhausgasreduktion für 2020 krachend verfehlen, wenn es so weitergeht.
Zwei Sektoren sind ganz entscheidend dafür, ob wir in Deutschland unsere Klimaziele erreichen, nämlich die Energiewirtschaft und der Verkehrssektor. Denn während die Industrie seit Anfang der 1990er-Jahre ihre Emissionen um 27 % reduziert hat, haben Teile der Energiewirtschaft und der Verkehrssektor bisher noch nichts zur Treibhausgasreduktion beigetragen oder sie sogar erhöht.
Ja, sehr geehrte Damen und Herren, die Energiewende – ehrlich gesagt, eigentlich müsste ich „Stromwende“ sagen –, die wir in Deutschland schon erreicht haben, hat schon zu verringerten Emissionen beigetragen. Mit dem Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen, der Fotovoltaik, mit Biomasse und Wasserkraft haben wir begonnen, die Stromversorgung zu ändern.
Schauen wir aber einmal in einen anderen Bereich von Nordrhein-Westfalen, zu den Kohlekraftwerken im rheinischen Revier. Die haben seit 1990 mit keiner einzigen Tonne zur CO2-Reduktion beigetragen. Alle Berechnungen zeigen: Ohne einen Kohleausstieg erreicht Deutschland die selbstgesteckten Klimaschutzziele niemals.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann beobachte ich hier und heute bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine Irrationalität, die ich mir manchmal wirklich schwer vorstellen kann. Einige von Ihnen haben Angst vor Dingen, vor denen sie keine Angst haben müssten. Ich verstehe die Angst auch wirklich nicht.
(Henning Höne [FDP]: Angst haben wir nicht!)
Sie haben Angst – ja, auch Sie, Herr Höne – vor einer Veränderung. Sie haben Angst vor Innovation. Sie haben Angst davor, tatsächlich mit neuen Ideen Arbeitsplätze zu schaffen. Sie haben Angst davor, den Leuten durch frühes Handeln, durch frühe Entscheidungen, eine Perspektive zu geben. Sie schüren sogar Ängste und sagen, hier fallen mal eben von heute auf morgen Arbeitsplätze weg. Das ist wirklich nicht das, worum es hier geht, sondern hier geht es darum, den Menschen eine Perspektive aufzuzeigen und zu zeigen,
(Henning Höne [FDP]: Das steht in Ihren Programmen!)
dass man genau das verhindert, dass man eben nicht von heute auf morgen hier ein Problem hat, sondern dass man den Wandel gestalten kann.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, überwinden Sie ihre Angst, planen Sie jetzt, steigen Sie mit uns aus der Kohle aus! Dann, und nur dann, müssen die Leute vor Ort nämlich keine Angst um ihre Zukunft haben. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, brauchen wir Mut.
Ehrlich gesagt, Industrie, Wirtschaft und Handwerk haben teilweise viel mehr Mut als Sie und auch als Sie es sich überhaupt vorstellen können.
(Henning Höne [FDP]: Energetische Sanierung!)
Dort gibt es Konzepte für Klimaschutz. Dort gibt es Konzepte für die Arbeit mit erneuerbaren Energien.
(Zuruf von Hennig Höne [FDP])
Dort gibt es Konzepte zur Effizienzsteigerung und zum Energiesparen.
Auch noch an Sie ein Wort gerichtet, Herr Hovenjürgen: Ihre Ausführungen zur Stahlindustrie und Chemieindustrie haben gezeigt, dass Sie gerade nicht wissen, was vor Ort los ist. Die Stahl- und die Chemieindustrie arbeiten beim Thema „CO2-Nutzung“ zusammen, sodass eben die CO2-Emissionen, die bei der Stahlindustrie stattfinden, genutzt werden.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Genau das sind Projekte, die Mut machen, bei denen die Industrie vorangeht, aber Sie machen einfach nur Angst.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Hans-Willi Körfges [SPD]: Recht hat sie!)
Um die letzten Ängstlichen auf die richtige Bahn zu bringen, braucht es Lotsen, die sie nicht nur beschützen, sondern sie auch in die richtige Richtung drängen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Schade, nicht zugehört!)
Apropos Bahn: Wenn wir über Klimaschutz reden, müssen wir auch über Verkehr reden; denn der Verkehr ist der Bereich, in dem die Emissionen in den letzten Jahren angestiegen sind. Die Bundesregierung erscheint da machtlos, sorgte vor Jahren nur für eine Biokraftstoffquote, rief ein Ziel für Elektromobilität aus, schrieb einen Bundesverkehrswegeplan, der nur auf das Auto setzt, und lehnt sich dann wieder im Sessel zurück, dreht Däumchen und schaut den Betrügereien der Dieselindustrie tatenlos zu.
Stattdessen ist es doch längst höchste Zeit, endlich auch in Deutschland alternative Antriebe und moderne Verkehrskonzepte zu entwickeln. Seit Jahren erklären wir, dass die deutsche Autobranche auf alternative Antriebe setzen soll. Da kann man doch glatt den Eindruck bekommen, dass uns Grünen mehr an der Rettung der deutschen Automobilindustrie liegt als allen andern. Das hätte man sich doch nie vorstellen können.
(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Karlheinz Busen [FDP])
Und auch vonseiten der FDP ist Angst vor Veränderung spürbar.
(Karlheinz Busen [FDP]: „Angst vor Veränderung“ – das müssen mir die Grünen nicht erzählen!)
Das Einzige, was der aktuellen Bundesregierung und auch den Kolleginnen und Kollegen von der FDP zu den Herausforderungen der zukünftigen Mobilität einfällt, ist „freie Fahrt für freie Bürger“.
Herrn Hovenjürgen ist zum Thema „Klimaschutz und Verkehr“ nur das Problem „Stau“ eingefallen und dass man dies durch Bauen, Bauen, Bauen löst. Sie sind, ehrlich gesagt, ein trauriger Haufen angstgetriebener Bleifüße, der Angst um seine Privilegien hat. Das ist doch nicht mehr feierlich!
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Eine Verkehrswende bedeutet mehr, als den Verbrennungsmotor durch den Elektromotor zu ersetzen.
(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
Eine wirkliche Verkehrswende bedeutet eine neue Art der Mobilität.
(Karlheinz Busen [FDP]: Jawoll!)
Die Menschen wollen in den Städten Lebensqualität. Wir müssen das Radfahren, die Busse und die Bahnen attraktiver machen.
(Zuruf von der CDU: Womit sollen die Busse denn fahren?)
Wir brauchen mehr Investitionen in den Radverkehr. Der Radschnellweg im Ruhrgebiet ist hier ein erster guter Schritt. Wir brauchen Investitionen in die Schiene statt immer mehr und größere Straßen.
(Zuruf von Stefan Fricke [PIRATEN])
Wir brauchen mehr Güterverkehr auf Schiene und Wasser und einen Personenverkehr mit Bus, Bahn, Pedelec und Fahrrad.
(Karlheinz Busen [FDP]: Ja, dann macht das doch!)
Wir brauchen attraktive Angebote für Pendlerrinnen und Pendler und für Reisende.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)
Und auch deshalb setzen wir uns für ein Ticket ein, mit dem Menschen für 2 € pro Tag durch ganz NRW fahren können; denn dann lassen Menschen für eine Fahrt von Kleve nach Siegburg, von Aachen nach Düsseldorf, von Gütersloh nach Hamm und von Dortmund nach Siegen auch immer öfter ihr Auto stehen und nutzen Bus und Bahn.
(Zuruf von Stefan Fricke [PIRATEN])
Die Leute wollen auch im ländlichen Raum mit öffentlichen Verkehrsmitteln überall hinkommen, und die Leute wollen durch ihre Fortbewegung etwas fürs Klima tun. Das geht mit dem vernünftigen Ausbau mutiger neuer Verkehrskonzepte, aber nicht mit den Konzepten der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Das geht nur mit grünen Ideen für nachhaltige Verkehrspolitik.
(Beifall von den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Riesenbeifall!)
Sehr geehrte Damen und Herren, für all diese Veränderungen braucht es Mut – Mut, um Neues durchzusetzen, Mut, um gute Konzepte umzusetzen, Mut, um unsere Welt zukunftsgerecht zu gestalten. Wir haben diesen Mut, wir stellen uns dem Wandel. Und wir wollen frische Luft, Lebensqualität und eine abgasfreie Zukunft. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN) 

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