Wibke Brems: „Jetzt steht der Strukturwandel an, jetzt muss die Zukunft für die Menschen geschaffen werden“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Thema Braunkohleabbau

Portrait Wibke Brems 5-23

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist Freitag, und während das für viele hier im Saal die Vorfreude auf das verlängerte Wochenende bedeutet, ist es für alle, die sich im Klimaschutz engagieren, die Erinnerung: Heute ist wieder ein „Friday for Future“.
Im Landtag geht es heute um die Entscheidung, ob es bei puren Lippenbekenntnissen bleibt, weil diese Landesregierung mal wieder Geschäftsinteressen eines Energiekonzern vor die Interessen der Betroffenen in den Dörfern und uns allen als Betroffene der Klimakrise stellt, oder ob diese Landesregierung tatsächlich bereit ist, Klimaschutz im Einklang mit den völkerrechtlich verbindlichen Klimazielen von Paris zu betreiben.
(Beifall von den GRÜNEN)
In der vergangen Woche veröffentlichte Greenpeace eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Prüfung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II, denn genau diese energiewirtschaftliche Notwendigkeit hat sich Ministerpräsident Laschet ins Kohlegesetz der Bundesregierung schreiben lassen, damit er hier zu Hause fein raus ist und sein Mantra wiederholen kann, dass er sich schließlich an Bundesgesetze halten müsse und er daran gar nichts ändern könne.
Das DIW-Gutachten stellt aber fest: In den Tagebauen Hambach und Garzweiler II dürfen noch maximal 280 Millionen Tonnen Kohle verstromt werden, damit das nationale CO2-Budget nicht überstiegen wird.
In diesem Raum gibt es leider genügend Menschen, die die Notwendigkeit des raschen Kohleausstiegs verneinen; aber auch für diejenigen hat das Gutachten eine ganz klare Botschaft:
Ließe man die klimapolitischen Notwendigkeiten außer Acht, wäre auch ohne weitere Umsiedlung von Dörfern im Tagebau Garzweiler II und bei Erhalt des Hambacher Waldes eine deutlich größere Menge Braunkohle als diese 280 Millionen Tonnen zu gewinnen.
Die weiteren Zerstörungen von Dörfern im Rheinischen Revier sind also klimapolitisch nicht vertretbar und energiewirtschaftlich völlig unnötig; sie gehören beendet.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist ein Skandal, Herr Ministerpräsident, dass Sie weiter im Interesse von RWE handeln und nicht im Interesse der Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Rechtzeitig vor der heutigen Debatten hat RWE noch schnell ein Gegengutachten veröffentlicht: Die Gutachter von Frontier Economics kommen auf einen Mehrbedarf für die Braunkohleverstromung von 120 bis 150 Millionen Tonnen.
Das zeigt, dass der Ansatz und das Ziel dieser Studie gänzlich andere sind. Hier wurde nicht wie bei der DIW-Studie betrachtet, wie viel Kohle maximal noch verbrannt werden kann, damit Deutschland die Klimaziele erreicht. Nein, es wurde aus Sicht von RWE betrachtet, wie viel Kohle RWE bis 2038 maximal noch verbrennen kann.
Es ist doch kein Wunder, dass bei unterschiedlichen Studien unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Einige Annahmen der Studie sind bereits auf den ersten Blick deutlich zu hinterfragen.
Dr. Pao•Yu Oei vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kommt danach zu dem Ergebnis, dass einige Aspekte in der RWE-Studie unberücksichtigt bleiben.
Ein Beispiel ist die Sicherheitsbereitschaft, in der sich einige Blöcke im Rheinischen Revier befinden. Sie entpuppt sich als genau das, was wir seit Beginn dieser Idee schon kritisiert haben: eine vergoldete Rente für nicht laufende Kraftwerke. Die Experten von Frontier planen trotzdem eine Kohlereserve für Kraftwerke ein, die nie laufen.
Die Gutachter nehmen auch eine noch nie da gewesene Auslastung der Kraftwerke an; sie soll in den kommenden Jahren bei über 80 % liegen.
Wo lag sie in den vergangenen Jahren? – Im Jahr 2019 lag sie bei 65 %, in diesem Jahr liegt sie bei 40 % – und das, obwohl ein altes RWE-Dokument ganz klar zeigt: Eigentlich hat man mit sinkenden Auslastungen in den 20er-Jahren gerechnet.
Hinzu kommt der Coronaeffekt, weshalb die Kraftwerke in den letzten Monaten noch weiter heruntergefahren wurden. All das bleibt aber unberücksichtigt.
Das RWE-Gutachten ist daher eine Fortschreibung alter Zahlen und berücksichtigt nicht die aktuellen Entwicklungen.
(Beifall von den GRÜNEN)
In den folgenden Redebeiträgen werden wir sicherlich hören, an welchen Stellen die Annahmen der DIW-Studie nicht passen sollen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir es an einer Stelle immer mit einer großen Schwierigkeit zu tun haben:
Die öffentlich verfügbaren Daten sind nicht vollständig, weil sie RWE gehören. RWE ist nicht transparent und gibt die Daten nicht heraus. Diese Landesregierung verlässt sich aber einfach auf die Zahlen und Aussagen von RWE.
Deswegen erheben wir heute erneut die Forderung, dass diese Landesregierung endlich ihrer Pflicht nachkommen muss, eine unabhängige Überprüfung der Annahme von technischen Gegebenheiten vorzunehmen.
Dabei geht es beispielsweise darum, wie steil der notwendige Böschungswinkel wirklich ist. Es geht um die wirklich verfügbaren Kohlemengen und die absehbaren Entwicklungen des Strommarktes – und zwar nicht so, wie RWE sich das denkt, sondern wie sie realistisch sind.
Diese Überprüfung muss dann die Grundlage für die Leitentscheidung sein, an der Sie gerade arbeiten, und nicht die Wünsche von RWE.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn ich Sie jetzt immer noch nicht überzeugt haben sollte, richte ich einen Appell an Sie: Sie sehen hier vielleicht zwei widersprüchliche Gutachten. Erinnern Sie sich aber daran, wann in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten als absolut sicher deklarierte Voraussagen eben nicht eingetreten sind.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Anfang der 90er-Jahre wurde fest behauptet, mehr als 4 % erneuerbare Energien im Strommix wären technisch überhaupt nicht möglich. Heute stehen wir an einer ganz anderen Stelle.
Man könnte zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um ein klassisches Expertendilemma handelt – zwei Experten, zwei Meinungen. Was folgt daraus? Was müssten Sie jetzt machen?
– Es muss politisch entschieden werden.
Wie kann man Menschen zur Umsiedlung zwingen, wenn unklar ist, ob das überhaupt notwendig ist? Als Minimalkonsens muss gelten, dass die Planungen nachjustiert werden können. Bei Abweichungen zu Prognosen muss nachgesteuert werden können. Wie soll aber nachgesteuert werden, wenn Dörfer bereits abgebaggert und Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden?
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker zu entscheiden, wohin der Weg gehen soll. Es ist die Entscheidung der Regierung und der sie tragenden Fraktionen, ob der Weg des Klimaschutzes eingeschlagen wird oder ob Sie RWE blind folgen, weitermachen wie bis- her und dann den mühsam ausgehandelten Kompromiss der Kohlekommission weiter mit Füßen treten.
Es ist Ihre Aufgabe, Herr Ministerpräsident, die internationalen und deutschen Klimaziele ernst zu nehmen. Es ist Ihre Aufgabe, den Menschen in den Garzweilerdörfern zu ermöglichen, ihr Zuhause zu erhalten. Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass RWE endlich aufhört, Fakten zu schaffen und Infrastruktur zu zerstören. Machen Sie Ihre Hausaufgaben, Herr Ministerpräsident.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, da haben wir jetzt mal wieder die ganz große Kohlekoalition hier gehört. Ich möchte noch einmal auf ein paar Aspekte eingehen.
Ich fand es bezeichnend, von der SPD zu hören, dass anscheinend Klimaziele jetzt doch irgendwie nachrangig seien. Schön, dass Sie es jetzt noch einmal gesagt haben. An anderen Stellen hören wir es von Ihnen immer anders. Aber Sie haben es hier eben deutlich so gesagt.
Dann möchte ich ganz kurz auf die Ausführungen von Minister Pinkwart eingehen. Sie haben ja gesagt, beide Studien, die hier zur Debatte stehen, seien unrealistisch. Ich nehme nur mal zwei Aspekte kurz heraus.
Erstens. Sie haben gesagt, das, was in der DIW-Studie angenommen wird, seien ambitioniertere Ziele als die von Paris. Aber in der DIW-Studie wird angenommen, dass eine maximale durchschnittliche Erderwärmung von 1,75 Grad erreicht wird. Das ist ein Kompromiss zwischen beiden Zahlen, die in Paris genannt werden. Da geht es nämlich darum, die Erderwärmung möglichst unter 2 Grad, aber besser noch unter 1,5 Grad zu halten. Dann sind 1,75 Grad nicht radikaler als Paris, sondern ein Kompromiss. Das genau steht in der Studie.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zweitens. Es gibt genügend Darstellungen in der Studie, nach denen klar ist, dass auch ohne weitere Umsiedlungen und bei Erhalt des Hambacher Waldes wirklich genügend Kohle abgebaut werden könnte. Man müsste sich diese Sachen genau angucken.
Wenn Sie sagen, Herr Minister, dass beide Studien nicht hundertprozentig stimmen, dann ist doch die Konsequenz genau die, die wir seit Jahren fordern: dass Sie nämlich hier endlich ein eigenes unabhängiges Gutachten liefern, das dann wirklich unsere Diskussionsgrundlage ist, damit wir nicht in ein paar Monaten einfach nur die Leitentscheidung vor den Latz kriegen und dann auf der Basis diskutieren und dann eigentlich nichts mehr geändert werden kann. So funktioniert es nämlich nicht.
 (Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte einmal kurz zurückschauen. Es gibt ein Gutachten von 1990 – das ist nicht grün geschrieben; das ist damit ziemlich klar – zur Sozialverträglichkeit von Umsiedlungen im rheinischen Braunkohlerevier. Das stammt hier aus Nordrhein-Westfalen. Schon in diesem Gutachten steht: Grundannahmen bei der langfristigen Braunkohlenplanung werden deshalb periodisch oder auf qualifizierten Antrag zum Beispiel der Umsiedler eines betroffenen Ortes in offener Diskussion überprüft. Damit ist auch noch zu Beginn der Umsiedlung durch zeitnahen Nachweis sichergestellt, dass die Umsiedlungen tatsächlich unvermeidlich sind.
Damals hat man natürlich aus einer anderen Perspektive geschrieben. Aber genau die Sachen sollten doch heute gelten, dass nämlich noch einmal kurzfristig vorher geguckt werden muss: Ist diese Umsiedlung wirklich überhaupt notwendig?
Sie behaupten hier immer, das habe man nun einmal vor Jahren entschieden, und jetzt werde das einfach so gemacht.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Aber auch schon 1990 stand fest, dass man sich das jedes Mal neu genau angucken muss. Genau das gilt eben auch hier.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Schnelle und Frau Plonsker, Sie werfen uns vor, wir würden nicht für die Region sprechen. Ich habe soeben während Ihrer Reden SMS bekommen, die ganz klar besagt haben, dass Sie jedenfalls nicht für alle Menschen in den Dörfern sprechen, sondern dass es dort genügend Menschen gibt, die dort bleiben und ihre Heimat erhalten wollen. Und für diese sprechen Sie eben nicht, wenn Sie sich hier so aufspielen.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Ich komme gerne auf den Punkt zurück, den Sie angesprochen haben, den Kohlekompromiss. Sie sagen, wir müssten das alles endlich eins zu eins umsetzen. Entschuldigung, aber das ist ein Märchen. Wir haben schon so oft darüber gesprochen, dass das, was auf Bundesebene mit den Gesetzen, mit dem Kohleausstiegsgesetz gerade passiert, eben nicht eine Einzu-eins-Umsetzung des Kohlekompromisses ist.
Am Montag war eine Anhörung dazu im Bundestag. Felix Matthes, auch Mitglied der Kohlekommission, hat dort gesagt: Einem Kommissionsergebnis, das so ausgesehen hätte wie der jetzige Gesetzentwurf, hätte die Mehrheit der Kommission nicht zugestimmt. – Ich kann noch weiter gehen: Antje Grothus, die auch Mitglied der Kohlekommission war und dem Kohlekompromiss zugestimmt hat
(Dietmar Brockes [FDP]: Das war die SMS eben!)
– nein, die hat mir dazu keine SMS geschrieben, nein! –, hat ganz klar gesagt:
„Das Kohlegesetz ist eine Mogelpackung und bildet nicht den gesellschaftlichen Minimalkompromiss zum Kohleausstieg ab, für den wir mit den Empfehlungen der Kohlekommission die Grundlage gelegt haben. Der Entwurf ist streckenweise das Gegenteil von dem, was die Kommission empfohlen hat, und geht insbesondere zu Lasten des Klimaschutzes und der Menschen in den bedrohten Dörfern. In Teilen liest sich der Gesetzentwurf wie der Wunschzettel des Kohlekonzerns RWE.“
Sie hat noch weiter ausgeführt:
„Die Beförderung einer unmodifizierten Weiterführung des Tagebaus Garzweiler II ist energiepolitisch nicht nachvollziehbar, klimapolitisch falsch und entspricht explizit nicht den Empfehlungen der Kohlekommission.“
Das bedeutet ganz klar: Nicht wir haben den Kompromiss aufgekündigt, sondern das haben die Bundesregierung und diese Landesregierung getan. Sie haben den Kompromiss, den Konsens verlassen. Sie hier haben das gemacht!
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)
Nicht wir machen die Region platt, Herr Kämmerling, sondern das sind die Bagger. Und die haben nicht wir bestellt,
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Doch!)
sondern die sind seit den 70er-, 80er-, 90er-Jahren unterwegs. Wir haben 2016 das erste Mal einen bestehenden Tagebau verkleinert. Das hat niemand von Ihnen geschafft.
(Thomas Schnelle [CDU]: Mit uns hätte es Garzweiler II nie gegeben!) Das waren wir!
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe – Glocke)
– Ganz ruhig.
(Lachen von der FDP)
Und jetzt muss doch mit dem Tagebau …
(Dietmar Brockes [FDP]: Sie haben das zu sich selbst gesagt!)
– Nein, Sie sind sehr laut und ich habe das Rederecht. Deswegen darf ich schon „Ganz ruhig“ sagen.
(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])
Sie werden einfach nur lauter, ich versuche das auch, und Sie werfen mir vor, bei mir sei das ein bisschen zu viel. Denken Sie darüber mal kurz nach!
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
Jetzt sind die Tagebaue und die Folgen da, und jetzt muss damit umgegangen werden. Jetzt steht der Strukturwandel an, jetzt muss die Zukunft für die Menschen geschaffen werden, statt die Zukunft weiter zu zerstören. Das wäre die Aufgabe der Landesregierung. Das ist unsere Erwartung. Und wenn Sie dahin zurückkehren, dann hätten Sie uns auch an Ihrer Seite, aber nicht so, wie es jetzt gerade läuft. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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