Geflüchtete brauchen Schutz vor Covid-19 – Die Landesregierung muss ihrer Fürsorgepflicht endlich gerecht werden!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Berivan Aymaz 2021

Seitdem die Corona-Pandemie auch Deutschland erreicht hat, häufen sich die Infektionsfälle in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete, sowohl auf kommunaler Ebene als auch in Landesunterkünften (Erstaufnahmeeinrichtungen und Zentrale Unterbringungseinrichtungen), auch bei uns in NRW. Die Corona-Pandemie trifft Geflüchtete aber auch die Betreuerinnen und Betreuer in den Landesunterkünften aufgrund der strukturellen Vorbedingungen und krisenbedingten Entscheidungen damit besonders hart.
Der seit 2018 bestehende sogenannte Asylstufenplan hat dazu geführt, dass Geflüchtete abseits des gesellschaftlichen Lebens in den Unterbringungseinrichtungen auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten müssen. Mittlerweile leben hunderte von Menschen zusammen in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) oder Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE).
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Landesunterkünfte sind in Mehrbettzimmern untergebracht, teilen sich Gemeinschaftsküchen und -bäder. An einen strukturierten Alltag, regelhafte Schulbildung für Kinder im schulpflichtigen Alter, angemessene Privatsphäre, individuelle psychologische und gesundheitliche Betreuung ist meist nicht zu denken. Viele Geflüchtete leiden oft unter traumatischen Erlebnissen, die eine psychosoziale Betreuung notwendig macht, um posttraumatische Belastungsstörungen einzudämmen. Soziale Beratungs- und psychosoziale Betreuungsangebote von sozialen Trägern und Ehrenamtlichen können sich meist nur auf die schwerwiegendsten Fälle konzentrieren, für vollumfängliche Therapien und Beratungen fehlen die personellen Kapazitäten.
Nun offenbart die Corona-Pandemie weitere strukturelle Schwachstellen an dem ohnehin schon menschenrechtlich bedenklichen Unterbringungskonzept der Landesregierung.
Erlasse und Regelungen von Bund und Land für den Schutz vor Corona für Geflüchtete
Bund und das Land NRW sahen sich bei Ausbruch der Pandemie mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, auf die sie größtenteils mit angemessenen Regelungen reagierten. Einen generellen Abschiebungsstopp erließ die Landesregierung jedoch nicht.
Mit dem Erlass „Steuerung des Asylsystems und der Wohnsitzzuweisung nach § 12a AufenthG“ vom 19.03.2020 hingegen setzte die Landesregierung die Zuweisung von Geflüchteten in die Kommunen aus, die nach §§ 2, 3 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) sowie § 12a AufenthG gesetzlich vorgeschrieben ist. Neben rechtlichen höchst problematischen  Aspekten  hat  sich  die  Landesregierung  damit  selbst  die  Möglichkeitgenommen, eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen zu verwirklichen. Mit der ausbleibenden Zuweisung in die Kommunen konnten die Betroffenen darüber hinaus ihre Rechte nicht wahrnehmen, die ihnen gemäß AsylG zustehen. Insbesondere im Hinblick auf die 418 Minderjährigen, besonders schutzbedürftigen Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere wiegt diese Entscheidung besonders schwer (Vorlage 17/3328).
Neben diesen geschilderten Problematiken im Hinblick auf die gestoppten Zuweisungen fehlt es in vielen Zentralen Unterbringungseinrichtungen und Erstaufnahmeeinrichtungen an landesweit anzuwendenden Hygienestandards, die die Bewohnerinnen und Bewohner effektiv vor einer Infektion vor Covid-19 schützen. Dabei stuft das Robert-Koch-Institut (RKI) Geflüchtete aufgrund ihrer kräftezehrenden Reise und der Wohnsituation in den Asylunterkünften zurecht als von Infektionen gefährdete Gruppe ein (https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Cont ent/A/Asylsuchende/Inhalt/Infektionsschutz_allgemein.html). Vor diesem Hintergrund sind breit angelegte und prophylaktische Testungen in Flüchtlingsunterkünften unbedingt notwendig. Dies zeigen die zahlreichen Fälle von rasanter Ausbreitung des Corona-Virus in den  Landesunterkünften, wie jüngst in der ZUE Sankt Augustin, in der sich über 130 Geflüchtete mit Covid-19 infiziert hatten.
Speziell auf die Corona-Pandemie zugeschnittene Standards von Seiten der für Flüchtlinge und Gesundheit zuständigen Landesministerien bleiben jedoch aus.
Unterbringungssituation in den Landeseinrichtungen bietet nur unzureichenden Schutz für Geflüchtete
Flüchtlingsorganisationen und soziale Beratungsverbände, darunter die Freie Wohlfahrtspflege, der Flüchtlingsrat NRW, die Frauenberatungsstelle AGISRA e.V. haben in zahlreichen Offenen Briefen und Forderungspapieren an die Landesregierung, teilweise entlang konkreter Beispiele, die unhaltbaren Bedingungen skizziert und eindringlich auf die kritischen Situationen, insbesondere von besonders schutzbedürftigen Personen, hingewiesen (https://agisra.org/offener-brief-zur-aktuellen-situation-in-der-landeserstaufnahmeeinrichtung-in-koeln-bayenthal/). So häufen sich die Nennung von unzureichendem Hygieneschutz in gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten und sanitären Anlagen, teilweise seien Desinfektionsmittel nicht im ausreichenden Maße vorhanden, fremde Menschen müssten sich Zimmer teilen. Verschärft sei die Lage in den Unterbringungseinrichtungen, die unter Quarantäne stünden. Mit den ZUEn Euskirchen, Bielefeld, Bonn und Marl mussten Unterbringungseinrichtungen komplett unter Quarantäne gestellt werden. Das bedeutet für alle Bewohnerinnen und Bewohner, auch für Nichtinfizierte, massive Einschränkungen in der Inanspruchnahme von Beratungs- und Betreuungsleistungen. Ein mangelhafter oder fehlender Internetzugang verbietet den Menschen darüber hinaus den Kontakt zur Außenwelt und den Zugang zu aktuellen Informationen. Dies in Verbindung mit oftmals fehlenden Sprachkenntnissen führt zu einer großen Unsicherheit und trägt zur erhöhten psychischen Belastung der Betroffenen bei.
Verschärfend kommt hinzu, dass die Verlegung der von der Corona-Infektion besonders gefährdeten Personengruppen mitsamt ihrer Angehörigen nahezu zwei Monate nach Zuweisungsstopp bisher immer noch nicht abgeschlossen ist. Laut Gesundheitsministerium waren zum Stichtag 05.04.2020 über 1700 Personen davon betroffen (Vorlage 17/3345).
Mittlerweile haben sich sukzessive bundesweit mehrere Gerichtsverfahren mit den Unterbringungssituationen in Flüchtlingsunterbringungen befasst, in denen sich Betroffene das Recht erstritten, aufgrund der unzureichenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen gegen eine Corona-Infektion aus den Sammelunterkünften verlegt zu werden (https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/wp-content/uploads/2020/04/VG-LE-3-L-204_20.A.pdf). Richtungsweisend ist der Beschluss vom 07.05.2020 des Verwaltungsgerichts Münster, welches in einem Eilverfahren gegen die Bezirksregierung Arnsberg als Vertreterin der Landesregierung entschied, dass eine hochschwangere Frau gemeinsam mit ihrem Ehemann nicht mehr verpflichtet werden dürfe in der Zentralen Unterbringungseinrichtung Rheine zu wohnen. Das Verwaltungsgericht Münster begründet seine Entscheidung mit dem Hinweis auf die dichte Belegung in der Einrichtung, die die Einhaltung des gebotenen Mindestabstands von 1,5 Metern nicht möglich mache, sowie der gemeinsame Nutzung von Sanitäranlagen mit anderen Personen und mit dem Hinweis auf den Mangel an Reinigungsmitteln (https://www.vg- muenster.nrw.de/behoerde/presse/10_pressemitteilungen/14_200511/index.php?fbclid=IwAR2OThvbjl AgLDOQpYY2lkj3zycyVWt3Hhpft2_4-fPNOT4jJE69iQJ-41o). Das Gericht stellt klar, dass die Corona-Schutzverordnung des Landes NRW auch in den Flüchtlingsunterkünften einzuhalten sei (ebd.). Somit ist es Aufgabe des Landes, eine geschützte Unterbringung von Geflüchteten zu gewährleisten.
Der Landtag stellt fest:
·           Die Corona-Schutzverordnung des Landes NRW gilt auch bei der Unterbringung von Geflüchteten.
·           Die vollständige Verlegung der Angehörigen von Risikogruppen in angemessene Einrichtungen hätte bereits längst abgeschlossen sein müssen.
·           Grundlegende Rechte von Geflüchteten wie die Zuweisung in die Kommunen, das Recht auf Familienzusammenführung und das Recht auf Beschulung von Kindern werden beschnitten.
·           Die Corona-Pandemie zeigt, dass Massenunterkünfte langfristig keine tragbare Lösung für eine humanitäre und sichere Unterbringung von Geflüchteten darstellen. Die Unterbringung ist grundsätzlich dezentral und in möglichst kleinen Einheiten zu organisieren.

II.      Der Landtag beschließt:

Die Landesregierung wird daher aufgefordert,
1.      mit dem Auslaufen des Erlasses der Landesregierung ist die Zuweisung von Geflüchteten in die Kommunen gemäß §§ 2, 3 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) sowie § 12a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) unverzüglich wieder aufzunehmen. Dazu gehört auch die den Kommunen längst versprochene Erhöhung der FlüAG-Pauschale endlich umzusetzen.
2.      besonders gefährdete Personengruppen wie etwa ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen schnell und angemessen zu verlegen. Hierfür muss das Land auf freiwilliger Basis mit den Kommunen neue Kooperationswege einschlagen, um verfügbare Kapazitäten für eine angemessene Unterbringung zu identifizieren. Der zuständige Ausschuss ist zeitnah über die Entwicklungen des Verlegungsprozesses zu informieren.
3.      in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern, Landeszentrum Gesundheit (LZG) und Beratungs- und Betreuungsorganisationen Mindeststandards für ein landesweit
gültiges Hygiene- und Schutzkonzept für alle Landeseinrichtungen zu erstellen. Dazu gehört auch, wenn nötig, die landesweite organisatorische Hilfestellung, um festgelegte Mengen an Hygiene- und Desinfektionsmitteln sowie Schutzbekleidung und Masken für die Untergebrachten und das Betreuungs- und Beratungspersonal zur Verfügung zu stellen.
4.      breit angelegte und prophylaktische Testungen in allen Landeseinrichtungen für Geflüchtete durchzuführen.
5.      den Zugang der Geflüchteten zum Internet über WLAN ist in allen Zimmern zu gewährleisten, damit sie sich auch in Zeiten von Corona vernetzen, informieren und mit anderen kommunizieren können.
6.      in Verantwortung des Gesundheitsministeriums und Flüchtlingsministeriums, gemeinsam mit den Psychosozialen Zentren in NRW (PSZ) und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) das geplante Konzept für psychosoziale Versorgungsangebote von Geflüchteten in den Landesunterkünften während der Corona-Pandemie zeitnah umzusetzen. Über den Stand der Umsetzung ist der zuständige Ausschuss regelmäßig zu informieren.
7.      Verfahrensberatung und Betreuungsangebote in den Landesunterkünften für Geflüchtete auch während der Corona-Pandemie aufrechtzuerhalten. Hierzu müssen die Bezirksregierungen, Einrichtungsleitungen, Betreuungsdienstleistungen sowie Beraterinnen und Berater gemeinsam Möglichkeiten erarbeiten, wie die soziale Beratung von allen Betroffenen, das heißt auch von denjenigen, die sich in Quarantäne befinden, von allen Betroffenen in Anspruch genommen werden kann.
8.      sicherzustellen, dass Beraterinnen und Berater der Asylverfahrensberatung, in den Beschwerdestellen und die Ausreise- und Perspektivberatung von der Einrichtungsleitung und/oder der zuständigen Bezirksregierung ausgewiesene Ansprechpartner tagesaktuelle Informationen über die Infektionslage in den Unterbringungseinrichtungen erhalten.
9.      sicherzustellen, dass die zuständigen Gesundheitsämter für die Landesunterbringungseinrichtungen kontinuierlich erreichbar sind und sich im Falle eines Corona-Positivbefunds umgehend mit der Einrichtungsleitung in Verbindung setzen.
10.   Kürzungen im Leistungsbezug auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes, die auf die Corona-Krise zurückzuführen und nicht von den Betroffenen selbst verschuldet sind, per Weisung an die zuständigen Behörden auszusetzen.
11.   Abschiebungen von Menschen während der Corona-Pandemiezeit in alle Länder als nicht verantwortbar grundsätzlich auszusetzen.