Berivan Aymaz: „Stellen Sie sich an die Seite der willigen Kommunen, der Zivilgesellschaft, der Kirchen, der Verbände, der Menschen auf den Straßen“

Antrag GRÜNEN im Landtag zur Situation Geflüchteter in Griechenland

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Mitten in Europa findet derzeit eine unerträgliche humanitäre Katastrophe statt. Das Leid und Elend der Schutzsuchenden in den hoffnungslos überfüllten Flüchtlingscamps, der Familien, der Kinder und Babys, die im Dreck stecken ohne medizinische Versorgung, ohne staatliche Hilfe, lassen – da bin ich mir ganz sicher – nicht nur mich fassungslos zurück, sondern auch viele andere, die hier sitzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Doch seien wir ehrlich. Diese Zustände sind uns nicht erst seit gestern bekannt. Mit dem perfiden Schachzug Erdogans, Geflüchtete mit Bussen an der griechischen Grenze abzusetzen und sie für seine eigenen Machtinteressen schonungslos zu missbrauchen, spitzt sich nun die Situation noch einmal dramatisch zu.
Ja, Chaos an der europäischen Außengrenze, das gewaltsame Vorgehen Griechenlands gegen Geflüchtete und die Aussetzung des europäischen Grundrechts auf Asyl sind auch die Folge einer verfehlten EU-Politik,
(Beifall von Johannes Remmel [GRÜNE])
einer Politik, die glaubte, die Flüchtlingsfrage über Deals mit Autokraten wie Erdogan von sich abwenden zu können, und jahrelang keine Verantwortung für eine solidarische Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb Europas übernahm. Das ist die Folge, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Und jetzt? Nicht zuletzt die rassistischen Übergriffe auf Geflüchtete, ihre Einrichtungen sowie auch auf Journalistinnen und Hilfsorganisationen machen doch deutlich, wie dringend es ist, Ordnung, Rechtsstaatlichkeit und Humanität in Europa zügig wiederherzustellen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dafür braucht es eine sofortige Hilfsmaßnahme.
Der von der Großen Koalition in Berlin nun Anfang dieser Woche vorgelegte Beschluss ist angesichts der dramatischen Lage in Griechenland noch nicht einmal ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Er bleibt auch weit hinter der tatsächlichen Hilfsbereitschaft und den vorhandenen Kapazitäten des Landes zurück.
Erst aufgrund massiven gesellschaftlichen Drucks von Kirchen, Verbänden und Kommunen erklärte die CDU/SPD-Regierung in einer europäischen Koalition der Willigen, insgesamt 1.000 bis 1.500 Kinder aufnehmen zu wollen. Ich finde, dass dieser Beschluss aus Berlin mehr wie ein Gnadenakt zur Beruhigung des eigenen Gewissens wirkt als eine tatsächlich ernst gemeinte Hilfe.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dass Sie sich jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diesen mickrigen Minimalkonsens aus dem Koalitionsausschuss hier in NRW mit Ihrem Entschließungsantrag zu eigen machen, enttäuscht mich zutiefst. Ich muss ehrlich gestehen: Ich hätte Ihnen mehr Mut und mehr Haltung zugetraut.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn ich mir jetzt anschaue, was unsere Kommunen hier in NRW tatsächlich zu leisten bereit sind, wie sie selbst Verantwortung übernehmen wollen, kann ich in diesen Stunden vor allen Dingen den mutigen Kommunalpolitikerinnen und -politikern nur meinen Respekt zollen.
Köln, Bielefeld, Düsseldorf und viele, viele andere Städte und Gemeinden sind bereit, entsprechend ihren Möglichkeiten zusätzlich Geflüchtete aufzunehmen. Sie haben jeweils konkrete Zahlen für ihre Kommunen festgelegt. Diese Zahlen, Herr Minister Stamp, sind nicht aus der Luft gegriffen, sie sind das Ergebnis einer sorgfältigen Prüfung. Vor allen Dingen beruhen diese Zahlen auf ihrer langjährigen Expertise bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten.
Ich finde, so sieht besonnene, verantwortungsvolle und humanitäre Politik aus. Es wird Zeit, dass auch Sie, Herr Minister Stamp, endlich handeln und sich nicht länger hinter Seehofer und der EU verstecken, dass Sie endlich ein klares Zeichen senden, das der Aufnahmebereitschaft der Kommunen aus NRW tatsächlich gerecht wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Setzen Sie sich dafür mit den Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen umgehend zusammen. Vereinbaren Sie ein konkretes Kontingent zur Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen aus Griechenland. Wir wissen ja jetzt nach dem aktuellen Gutachten auch, dass Ihnen da wirklich nichts im Wege steht. Sowohl das Bundes- als auch das EU-Recht ermöglichen Ihnen, eine humanitäre und verantwortungsvolle Politik aus NRW heraus zu betreiben. Machen Sie doch endlich davon Gebrauch und handeln Sie.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn ich mir den vor einigen Minuten eingereichten Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen von CDU und FDP so anschaue, dann frage ich mich: Wo bleibt eigentlich die versprochene humanitäre Hilfe, die Ministerpräsident Laschet beim Treffen mit dem griechischen Premierminister Mitsotakis so groß angekündigt hat? Das, was in dem Antrag aufgeführt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine aktive Landespolitik, die den tatsächlichen Möglichkeiten und Ansprüchen NRWs gerecht wird. Das ist nichts als ein peinlicher Versuch der Landesregierung, sich als außenpolitischer Big Player darzustellen. Was wir jetzt nicht brauchen, sind alberne Inszenierungen. Wir brauchen konkrete Maßnahmen, die aus NRW heraus möglich sind, und das fehlt gänzlich.
(Beifall von den GRÜNEN)
Also: Werden Sie aktiv. Stellen Sie sich an die Seite der willigen Kommunen, der Zivilgesellschaft, der Kirchen, der Verbände, der Menschen auf den Straßen. Sie haben die Möglichkeit, das jetzt zu machen, indem Sie unserem Antrag gleich zustimmen. – Vielen Dank.
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Berivan Aymaz (GRÜNE): Herr Minister Stamp, Seriosität in so einer ernste Frage bedeutet auch, die Überheblichkeit einmal beiseite zu stellen
(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Das sagt die Richtige!)
und denen Gehör zu schenken, die seit Jahren hier Großartiges bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten leisten. Das sind die Kommunen, das ist die Zivilgesellschaft, die Sie heute noch mal zu diskreditieren versucht haben. Ich finde das unerträglich!
(Beifall von den GRÜNEN – Marc Lürbke [FDP]: Das geht nicht! Dietmar Brockes [FDP]: Das ist schäbig!)
Das, was die Kommunen vorgelegt haben, ist nicht hopplahopp. Sie haben Ihnen übrigens schon vor Monaten eine Skizze vorgelegt, wonach sie handeln könnten. Staatssekretär Bothe war zugegen, habe ich mir sagen lassen. Und immer noch warten diese Kommunen auf eine konkrete Anweisung von Ihnen, wie man vorgehen kann, und darauf, dass Sie sagen: Ja, wir sind bereit, Menschen aufzunehmen.
Übrigens, Herr Minister Stamp, wenn Sie fordern, man müsste sich einmal die Abläufe ansehen: Die Abläufe kenne ich bestens. Ich kenne auch das aktuelle Gutachten. Das scheint Ihnen nicht bekannt zu sein. Sie brauchen Herrn Seehofer überhaupt keinen Brief zu schicken. Sie können hier die Entscheidung treffen.
Übrigens, der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist: Ich muss Forderungen stellen, Sie können aus der Regierung heraus handeln. Machen Sie es doch einmal!
(Beifall von den GRÜNEN)

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