Berivan Aymaz: „Es ordnet nichts, sondern ist reine Symbolpolitik und öffnet der Entrechtung von Schutzsuchenden Tür und Tor“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zum "Geordnete-Rückkehr-Gesetz"

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wie Sie alle wissen, passierte am 7. Juni 2019 das heftig umstrittene Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz, den Bundestag.
In einem unserer parlamentarischen Demokratie völlig unwürdigen und inakzeptablen Verfahren wurden zahlreiche Gesetze in einem Gesamtpaket regelrecht durch das Parlament gepeitscht – Gesetze, mit denen massive Einschnitte in die Grund- und Menschenrechte von Geflüchteten verbunden sind und gegen die berechtigte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestehen.
Die absolut nicht überschaubaren Wechselwirkungen der einzelnen Gesetze zueinander und das Hauruckverfahren, mit dem sie verabschiedet worden sind, suggerierten, Deutschland befände sich wegen der Flüchtlingssituation in einem Notstandsmodus.
Hier wird eine Stimmung erzeugt, die Wasser auf den Mühlen derer ist, die täglich auf dem Rücken von Geflüchteten ihre Hetze und Hassparolen herausposaunen. Und das ist fatal!
(Beifall von den GRÜNEN)
Über die Folgen dieser Stimmungsmache haben wir heute Morgen in der Aktuellen Stunde zum Mord an Walter Lübcke bereits ausführlich diskutiert.
Die neuen Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht aus dem Hause Seehofer, der sich wie die meisten von uns inzwischen wissen; das hoffe ich zumindest – nicht gerade als Minister der Vernunft erwiesen hat, sondern immer wieder als Vater aller Probleme auftaucht, erfuhren im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses von vielen Seiten massive Kritik. Wir Grüne haben daher unsere Ablehnung auf Bundesebene auch sehr, sehr deutlich gemacht.
Die zahlreichen Proteste und kritischen Stellungnahmen wurden von der Bundesregierung völlig ignoriert, und auch der Appell an die Bundestagsabgeordneten von über 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen – unter anderem von Kirchen, Juristen und Wohlfahrtsverbänden–, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, blieb weitestgehend ungehört.
Was bedeuten diese Verschärfungen für Geflüchtete im Einzelnen? Lassen Sie mich hier nur auf einige Punkte eingehen. Mit dem Gesetz etabliert die Bundesregierung unter anderem einen Duldungsstatus zweiter Klasse, der jegliche Integrationsmöglichkeiten auf null reduziert und Menschen ohne Grund unter Generalverdacht stellt.
(Beifall von den GRÜNEN )
Menschen, die ihrer Passbeschaffungspflicht nicht nachkommen, sollen nur noch die sogenannte „Duldung light“ bekommen; ihnen wird damit pauschal Ausbildung und Arbeit verboten. Das geht sogar dann, wenn diese Menschen aus berechtigten Gründen noch nicht einmal abgeschoben werden können.
Für Menschen aus Afghanistan, von denen ein Großteil von ihnen noch nie über eine Geburtsurkunde verfügt hat, und die sich zum Teil über Jahre in Drittstaaten wie dem Iran aufgehalten haben, ist es eben nicht möglich, an diese Identitätsnachweise zu kommen bzw. diese zu beschaffen. Das bedeutet, dass da eine ganze Gruppe von Menschen gänzlich von Integrationsbemühungen ausgeschlossen wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diese Duldung hat fatale Auswirkungen auf Menschen, auf Kinder, denen es oft unmöglich ist, diese Passbeschaffung zu erreichen – und zwar nicht, weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es schlichtweg nicht können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so werden Geflüchtete für etwas bestraft, wofür sie nichts können; sie werden schikaniert. Auch Integrationsbemühungen und gute Ansätze aus den Ländern, wie zum Beispiel der Duldungserlass aus NRW oder aber die Ausbildungsduldung, werden konterkariert und nahezu unwirksam gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN und von Serdar Yüksel [SPD])
Ich finde, das dürfen wir nicht zulassen.
Darüber hinaus sieht das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz Leistungskürzungen für Asylsuchende unterhalb des gesetzlich festgelegten Existenzminimums vor. Dabei hatte bereits im Jahr 2012 das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum migrationspolitisch nicht zu relativieren ist.
(Beifall von den GRÜNEN und von Serdar Yüksel [SPD])
Sven Hüber von der Gewerkschaft der Polizei, der man nun wirklich nicht nachsagen kann, dass sie uns Grünen nahestünde, sagt klipp und klar, dass die Gesetze von Seehofer Menschen in die Hungerkriminalität jagen. Eine verantwortungsvolle Politik kann doch nicht ernsthaft Interesse daran haben, dass Menschen zur Sicherung ihres puren Lebensunterhaltes zu Diebstahldelikten, Schwarzarbeit oder gar Prostitution gezwungen werden. Das geht so nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall von den GRÜNEN)
Das bedeutet: Das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz ordnet nichts, aber auch gar nichts, schafft aber in vielen Bereichen neue Probleme.
Lassen Sie mich abschließend noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der glücklicherweise einen Aufschrei der Länderjustizminister – übrigens über die Parteigrenzen hinweg – hervorgerufen hat.
Die GroKo missachtet allen Ernstes europäisches Recht und will das Trennungsgebot zwischen Abschiebehaft und Strafvollzug aufheben. Zukünftig sollen Menschen, die übrigens nichts verbrochen haben, auch Frauen und Kinder, gemeinsam mit Strafgefangenen in regulären Justizvollzugsanstalten festgehalten werden.
Das kann nicht sein. Ich bin froh darüber, dass Herr Minister Biesenbach sehr deutlich gemacht hat, dass auch er gegen dieses Gesetz rechtliche und tatsächliche Bedenken hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz von Herrn Seehofer ist absolut nicht tragbar. Es ordnet nichts, sondern ist reine Symbolpolitik und öffnet der Entrechtung von Schutzsuchenden Tür und Tor.
Es ist bitter, dass die SPD versucht, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz als Grund für die- sen so faulen Kompromissversuch zu verkaufen – ein Einwanderungsgesetz, das seinem Namen noch nicht einmal gerecht wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch Sie, Herr Minister Stamp, haben das Gesetz treffend als humanitär unverantwortlich und volkswirtschaftlich dämlich bezeichnet. Ich habe auch große Sympathien dafür, dass Sie, Herr Stamp, den Rücktritt von Herrn Minister Seehofer gefordert haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diesen klaren Worten müssen jetzt aber auch Taten folgen. Solange der Bundesinnenminister noch im Amt ist, gilt es, zumindest das Chaos zu verhindern, das er anrichtet. Das bedeutet, jetzt die Notbremse zu ziehen. Die NRW-Landesregierung muss ihren Einfluss über den Bundesrat geltend machen. Sie hat auch die Chance, diesen Einfluss jetzt geltend zu machen. Der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik des Bundesrates haben bereits Bedenken gegen die Gesetze ausgesprochen und empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Folgen Sie unserem Antrag, und sorgen Sie dafür, dass NRW am Freitag im Bundesrat dafür den Weg frei macht. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Serdar Yüksel [SPD])

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