Wibke Brems: „Eine Sozialverträglichkeit beim Kohlekompromiss muss für alle Menschen in der Region gelten“

Unterrichtung der Landesregierung und Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Kohlekompromiss

Portrait Wibke Brems 5-23

 Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, man muss sich manchmal zurückbesinnen, aus welchem Grund wir hier eigentlich über die Kohlekommission reden und warum es diese Kohlekommission überhaupt gibt. Das kommt mir in einigen Debatten viel zu kurz.
Es ging darum, dass diese Bundesregierung festgestellt hat, dass sie die eigenen Klimaschutzziele nicht erreicht. Deshalb wurde gesagt: Wir müssen dafür schnell eine Lösung finden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist: Raus aus der Kohle, und zwar schneller, als das bisher geplant war. Dafür brauchen wir ein Gremium, das uns sagt, wie das gelingen und wie mit den Auswirkungen umgegangen werden kann. – Das ist der Punkt, über den wir hier viel zu wenig reden.
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt benennen. Der Kohleausstieg allein reicht nicht; das sagt auch diese Kommission. Das ist der eine Aspekt.
Der zweite Aspekt, der sehr wichtig ist und der sich an vielen Stellen im Kommissionsbericht findet, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Ziel zu sprechen kommen, das sich die Bundesregierung gesetzt hat. Wir Grüne hätten noch mehr gefordert; aber diese Bundesregierung hat festgelegt, dass sie bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 65 % erneuerbare Energien haben möchte.
Die Kommission hat ganz klar festgestellt, dass zur Erreichung der Klimaschutzziele dieses Ausbauziel für die erneuerbaren Energien mindestens erreicht werden muss. Das gelingt aber nicht, wenn es mit dem Ausbau so weitergeht wie bisher. In dieser Hinsicht hat nämlich auch diese Landesregierung eine ganz erhebliche Verantwortung.
Herr Minister Pinkwart, Sie haben sich vorhin folgendermaßen geäußert: Na ja, dann bauen wir die erneuerbaren Energien eben woanders aus. Wir müssen halt noch mehr Netze bauen und immer schneller, immer weiter und immer größer bauen. Eine Verantwortung hier bei uns haben wir aber nicht. – Das kann so nicht funktionieren! Wir brauchen die erneuerbaren Energien hier in Nordrhein-Westfalen, und da haben Sie eine Verantwortung!
(Beifall von den GRÜNEN)
Spätestens jetzt muss die Landesregierung eine Kehrtwende in der Energiepolitik vollziehen. Mit diesem Kommissionsbericht ist klar, dass es nicht so weitergehen kann. Das, was wir an anderen Stellen zur Verlässlichkeit gehört haben, gilt auch hier: Wir brauchen eine Verlässlichkeit für den Ausbau der erneuerbaren Energie; wir brauchen eine Verlässlichkeit für den Ausbau der Windenergie. Was Sie mit dem Landesentwicklungsplan vorhaben, den Sie gestern im Kabinett verabschiedet haben – wir hier im Parlament wurden nur bruchstückhaft informiert –, kann so nicht funktionieren.
Das, was Sie als Ausweichmanöver propagieren, nämlich die Fotovoltaik und die Geothermie, reicht nicht aus. Wir brauchen alle erneuerbaren Energien; wir brauchen alles zusammen. Nur die anderen Energieerzeugungsarten reichen nicht aus. Ohne Wind geht es eben auch nicht. Das, was Sie uns vorwerfen – wir hätten nur die Windenergie im Kopf; das habe ich eben gehört –, trifft nicht zu. Wir brauchen alles.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte jetzt gern auf die Frage des Netzausbaus zu sprechen kommen. Das kommt im- mer wieder als ein großer Aspekt. Ich möchte noch einmal ganz klar feststellen: Wir Grünen sind nicht gegen einen Netzausbau. Aber so, wie Sie das machen wollen, können wir dem nicht folgen. Sie sagen nämlich hier und beispielsweise auch in einem Bericht in der letzten Woche, dass für das 65-%-Ausbauziel der erneuerbaren Energien im Bund der Netzausbau das entscheidende Kriterium sei.
Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Das ist nur ein Baustein. Für einen Ausbau der erneuerbaren Energien ist entscheidend, dass Investitionen in diesem Bereich getätigt wer- den und dass nicht auf Bundesebene und mittlerweile auch auf Landesebene immer mehr Hürden errichtet werden. Dass dieser Ausbau hier geschieht, ist Ihre Verantwortung, und da müssen Sie liefern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz möchte ich kurz auf die Ausführungen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Herrn Löttgen eingehen. Sie haben eben den Kommissionsbericht zitiert. Ich möchte das ebenfalls tun. Dabei geht es um die Revisionsklauseln, die in den Jahren 2023, 2026 und 2029 anzuwenden sind.
Das, was Sie hier zitiert haben, ist schlicht einseitig. Es geht vielmehr um alle Aspekte. Ich zitiere von Seite 106. Sie haben uns eben vorgeworfen, wir hätten nicht so weit gelesen. Wir haben sogar noch weiter gelesen als Sie. Dort heißt es:
„Die Kommission empfiehlt deshalb, die Annahmen, die Umsetzung des Maßnahmenpakets und deren Wirkungen in regelmäßigen Abständen umfassend zu evaluieren. Dafür ist es erforderlich, die angestrebten Wirkungen der Maßnahmen zu erfassen und deren Auswirkungen auf die Klimaschutzziele …,“
–  die Klimaschutzziele werden hier als Allererstes genannt –
„… Versorgungssicherheit, Stromkosten, regionale Entwicklung und Beschäftigung einzuordnen. Sofern die Ziele in einzelnen Bereichen absehbar nicht erreicht werden, empfiehlt die Kommission, zunächst in den betroffenen Bereichen konsequent nachzusteuern.“
Das gilt also auch für den Klimaschutz. Genau darauf beziehen wir uns in unserem Antrag. Wir gehen davon aus, dass das, was wir im Kommissionsbericht lesen, ein wichtiger erster Schritt ist, zu dem wir absolut stehen, aber wir befürchten, dass das, was darinsteht, nicht ausreicht – erst recht nicht, wenn man es wieder aufdröselt.
Deswegen sagen wir ganz klar: Für uns ist das Klimaschutzziel entscheidend. Das war auch der entscheidende Grund, diese Kommission einzusetzen. Wir machen da nichts auf, sondern wir stellen uns dahinter. Wir müssen uns jetzt anschauen, ob die Klimaschutzziele in diesen Jahren auch erreicht werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte noch kurz zu den angeblichen Neuigkeiten kommen, die der Ministerpräsident hier dargestellt hat. Da ist zunächst Ihre Forderung an REW, Planungen für neue Kohlekraftwerke aufzugeben. Vorhin habe ich vom SPD-Kollegen gehört, das wäre keine Neuigkeit; niemand würde das mehr machen. Na ja, RWE plant das schon noch. Aber dennoch ist diese Forderung wirklich längst überfällig, und dass Sie uns das hier als Neuigkeit verkaufen, finde ich, ehrlich gesagt, eher peinlich.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiterer Punkt. Sie verweisen permanent und immer wieder auf die Leitentscheidung von 2016. Darum möchte ich das ebenfalls tun. Darin steht ganz klar, dass eine Leitentscheidung auch diese Leitentscheidung – wieder geändert werden muss, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Nach einem Jahr? – Zurufe von der CDU)
Entschuldigung – was ist das denn anderes, als wenn eine Kommission sagt, dass aus der Kohle herausgegangen werden muss? Das heißt doch ganz klar, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben.
 (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Gegenruf von Monika Düker [GRÜNE])
Genau deswegen muss das jetzt passieren, und da haben Sie eine Verantwortung. Und spätestens jetzt …
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Machen wir doch! – Weitere Zurufe von der CDU – Unruhe)
–  Ich scheine wieder etwas getroffen zu haben.
Sie können sich doch nicht immer weiter hinter den Vorgänger-Landesregierungen verstecken oder hinter der Bundesregierung oder hinter RWE! Das kann doch nicht sein! Sie müssen hier liefern!
(Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet, Ministerpräsident: Das machen wir doch! Das ist euch peinlich, das weiß das ganze Land! – Weitere Zurufe von der CDU)
Herr Ministerpräsident, Sie haben sich dem Wunsch angeschlossen, den Hambacher Wald zu erhalten.
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident – Gegenruf Monika Düker [GRÜNE])
–  Ich warte, bis Sie fertig sind.
Herr Ministerpräsident, gut, dass Sie sich dem Wunsch der Kohlekommission angeschlossen haben, den Hambacher Wald zu erhalten. Wir haben vorhin schon gehört: Das mag für Sie ein großer Schritt gewesen sein; das erkennen wir auch an. Aber ehrlich gesagt, für den dauerhaften Erhalt des Hambacher Waldes ist das nur ein sehr, sehr kleiner Schritt.
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Denn hier müssen Sie aktiv werden. Sie können nicht einfach nur sagen, Sie schließen sich dem Wunsch an. Es ist nicht so, dass etwa RWE entscheidet, wo ein Tagebau endet – das entscheidet vielmehr eine Regierung. Da müssen Sie agieren. Sie sind immer sehr gut in großen Worten, aber Sie müssen diesen Worten auch mal Taten folgen lassen. Das ist Ihre Verantwortung.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE] – Zuruf von der CDU)
Ich möchte gerne wiederholen, was meine Kollegin Frau Düker vorhin gesagt hat. Wie wäre es denn, wenn Sie an RWE herantreten – Sie haben bereits eine andere Forderung an RWE genannt – und sagen, RWE solle diesen Forst einer Stiftung übergeben, damit Ruhe in der Region herrschen kann. Das ist doch das, was wir uns alle für die Region und für den Wald wünschen. Das wäre Ihre Aufgabe.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Ich möchte noch einmal auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der an unterschiedlichen Punkten eben schon angesprochen wurde, und zwar die alternativen Interpretationen des Kommissionsberichtes. Da muss ich Ihnen widersprechen, Herr Minister Pinkwart, Sie sagen, das wäre hier ganz klar dargestellt worden.
Werfen wir einen Blick in Ihren Bericht von der letzten Woche im Wirtschaftsausschuss. Dort steht eins zu eins – und Sie tun so, als würden Sie aus dem Kommissionsbericht zitieren – : So sollen bis 2022 Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 12,5 GW abgeschaltet werden, darunter 3,9 GW Braunkohlekapazität im Rheinischen Revier. Davon waren bereits 1,5 GW für die Sicherheitsbereitschaft und damit zur Abschaltung vorgesehen. 3,9 GW minus 1,5 GW sind 2,4 GW.
Das ist aber eine andere Größenordnung als das, was im Kommissionsbericht steht. Das hat auch der Experte in der Anhörung im Ausschuss gesagt. Im Kommissionsbericht steht: 5 GW insgesamt zur Abschaltung, minus 2 GW Sicherheitsbereitschaft, macht 3 GW. Das ist eine andere Größenordnung als das, was Sie gerade sagten. Ich finde es schon problematisch, wenn Sie hier sagen, es bleibe alles dabei. Da gibt es durchaus Unterschiede.
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)
–  Natürlich, Sie weichen davon ab.
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)
–  Sie sagen wieder, Herr Ministerpräsident, Sie würden das überhaupt nicht entscheiden. Entschuldigung – Sie sind der Ministerpräsident, Sie haben sich doch einzumischen in diese Entscheidungen!
(Daniel Sieveke [CDU]: Das machen wir doch! – Armin Laschet, Ministerpräsident: Wir machen das doch!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Ministerpräsident!
Wibke Brems (GRÜNE): Sie müssen doch mitreden! Sie können doch nicht einfach nur sagen: „Das steht im Kommissionsbericht“!
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Ministerpräsident!
Wibke Brems (GRÜNE): Im Kommissionsbericht steht 3 GW und nicht 2,4 GW. Dann müssen Sie sich auch daran halten, was im Kommissionsbericht steht.
(Zurufe von Armin Laschet, Ministerpräsident – Weitere Zurufe von der CDU und von der AfD – Unruhe)
–  Rund 3 GW sind für Sie gleich 2,4 GW. Das ist schon kurios, wie Sie das machen. Na ja, gut.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Ich möchte dann noch zu einem Punkt kommen, der sich durch viele Reden zieht. Da ist die Allgemeinheit anscheinend der gleichen Meinung. Es geht darum, dass diese Region endlich Klarheit braucht. Das gilt ebenso für die Betroffenen in der Region. Wir brauchen Klarheit für die Betroffenen.
(Daniel Sieveke [CDU]: Das haben Sie gar nicht gegeben!)
Das haben wir von so vielen Leuten gehört. Das finde ich gut.
Allerdings habe ich die Befürchtung, dass es sich dabei nur um Lippenbekenntnisse handelt. Das, was wir hören, sind eher Allgemeinplätze und nichts Konkretes, wie denn Klarheit geschaffen werden soll. Ich möchte ganz klar feststellen, wer für uns – und das liest man auch in unserem Antrag – zu den Betroffenen gehört. Das sind einerseits die Beschäftigten, das sind andererseits aber auch die Menschen, die umgesiedelt werden; das sind die Menschen, die am Tagebaurand wohnen.
Eine Sozialverträglichkeit beim Kohlekompromiss kann nicht nur für diejenigen mit Tarifvertrag gelten, sondern das muss für alle Menschen in der Region gelten: für die Umsiedlerinnen und Umsiedler, für die Anwohnerinnen und Anwohner. Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin aus den Berichten der Menschen zitiert, die als Beschäftigte betroffen sind.
Dazu sage ich: Ja, die sind betroffen, und natürlich müssen wir dafür Lösungen finden. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass viele Anwohnerinnen und Anwohner von massiven Belästigungen berichten, die in den letzten Wochen zugenommen haben. Auch für diejenigen müssen Sie eine Verantwortung tragen; das können nicht einfach nur Lippenbekenntnisse sein.
(Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich! – Beifall von den GRÜNEN)
Herr Ministerpräsident, ich finde, es gibt sehr viele Fragen, gerade bei den Menschen in den Dörfern, was deren Zukunft angeht. Diese Fragen sind einfach da. Natürlich kann man sie nicht sofort beantworten, weil wir nicht sagen, alle müssten weg oder alle müssten bleiben. Das kann nicht die Antwort sein. Vielmehr muss natürlich noch eine Entscheidung möglich sein.
Aber zu dem, was ich eben von meinem Vorredner von der CDU gehört habe, muss ich Ihnen ganz klar sagen: Die Unsicherheit ist doch nicht deshalb da, weil wir Grünen einen Antrag gestellt haben, sondern die Unsicherheit ist da, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Die Gesamtlage hat sich geändert, und die Menschen fragen sich: Was soll das eigentlich noch? Muss ich denn hier wirklich noch weg? Lohnt sich das? Wie läuft das alles? – Diese Fragen müssen wir doch beantworten.
Dann möchte ich noch einen ganz wichtigen Punkt ansprechen. Sie tun hier so, als sei das ganze Verfahren schon abgeschlossen. Im Bereich Garzweiler II liegen 602 Anwesen. Da gibt es gerade einmal 344 Wertgutachten und 184 Einigungen. Das hört sich für mich nicht so an, als wäre der Prozess der Umsiedlung da schon komplett geklärt und abgeschlossen.
(Dietmar Brockes [FDP]: Das hat auch keiner behauptet!)
Daher muss man sich das schon noch einmal angucken. Da gibt es erhebliche Unklarheiten und viele Fragen.
Ich finde es ganz wichtig, dass wir gucken, was da sinnvoll ist. Es wäre absoluter Blödsinn, wenn jetzt einfach Fakten mit dem Abrissbagger geschaffen würden. Deswegen ist unsere Forderung ganz klar: Sie müssen sich dafür einsetzen, dass es bei diesen Abrissgenehmigungen einen Stopp gibt. Denn man kann doch nicht einfach Infrastruktur zerstören, obwohl man nicht weiß, ob man sie nicht vielleicht in ein paar Jahren noch braucht. Man kann doch nicht Bäume in den Orten fällen, von denen man nicht weiß, ob sie nicht hinterher doch bestehen bleiben. Bei allen diesen Punkten ist es Ihre Aufgabe, nach Lösungen zu suchen, statt nur Lippenbekenntnisse von sich zu geben.
Sie sehen, Herr Ministerpräsident, liebe Landesregierung: Sie haben viele Aufgaben zu erledigen. Dem müssen Sie jetzt gerecht werden. Sie müssen jetzt anfangen, sie anzugehen. Sie sollten aufhören, sich hinter anderen – hinter uns, hinter der Bundesregierung oder hinter RWE – zu verstecken. Sie müssen Ihrer Verantwortung gerecht werden. Das ist unsere Forderung. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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