Berivan Aymaz: „Das ist eine Unverhältnismäßigkeit, die nur schwer mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist“

Entwurf der Landesregierung für ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz - zweite Lesung

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Abschiebehaftanstalt Büren ist in letzter Zeit immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Mal waren es Ausbrüche und Fluchtversuche, dann Berichte über Gewalt und schließlich auch die traurige Meldung über den Suizid eines Insassen. Nicht zuletzt der Bericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter hat gravierende Missstände und Maßnahmen offengelegt, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich war persönlich mehrfach vor Ort, habe mir ein genaues Bild von der Einrichtung gemacht und viele Gespräche mit der Leitung, dem Personal und teilweise auch mit den Insassen geführt. Ich möchte hier keineswegs ausblenden, dass es Probleme in der Einrichtung gibt, die wir nicht unter den Teppich kehren dürfen. Doch ich bezweifele, dass dieser Gesetzentwurf mit seinen massiven Verschärfungen der richtige Ansatz und der richtige Ort für die Lösung der Probleme in der Einrichtung sind.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
Die vorliegende Gesetzesnovelle hat auch bei den Sachverständigen tiefgreifende Kritik provoziert, und an einigen Punkten wird sogar die Verfassungsmäßigkeit bezweifelt. Führen wir uns noch einmal ein zentrales Merkmal der Abschiebehaft vor Augen, nämlich dass sie kein klassischer Justizvollzug, sondern lediglich ein Zwangsinstrument zur Durchsetzung einer Verhaltenspflicht ist, und zwar hier zur Ausreisepflicht, dann wird auch sehr deutlich, wie hier gerade eine Verschiebung vonstattengeht.
Auch der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Grundsatzurteil 2014 eindeutig klargestellt, dass Menschen in Abschiebehaft keine Straftäter sind und daher auch nicht annähernd als solche behandelt und untergebracht werden dürfen.
(Beifall von den GRÜNEN – Monika Düker [GRÜNE]: Richtig!)
Das heißt, die Abschiebehaft muss ein möglichst normales Leben zulassen, ohne vollständige Bewegungsfreiheit für die Betroffenen. Genau von diesem Grundsatz verabschiedet sich die Landesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Das Prinzip „so viel Freiheit wie möglich“ wird faktisch aufgegeben, und das macht mich fassungslos, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Abschiebehaftbedingungen werden also immer weiter den Strafhaftbedingungen angeglichen, ohne sie deckungsgleich zu machen. Ein herausstechendes Beispiel hierfür ist die sogenannte Zugangsuntersuchung. Der Gesetzentwurf sieht für alle neuen Insassen der Abschiebehaft grundrechtseinschränkende Maßnahmen von bis zu einer Woche vor. An diesem Vorhaben, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ändert auch Ihr Änderungsantrag nichts Substanzielles. Dass die Zugangsuntersuchung nun „Zugangsverfahren“ heißen soll, ist eher ein Jonglieren mit Begrifflichkeiten statt einer wirklich inhaltlichen Korrektur, der es bedurft hätte.
Die Möglichkeiten einzukaufen, an Freizeit- und Sportaktivitäten teilzunehmen, Besuch zu empfangen und zur Telekommunikation sollen jetzt zwar nach dem Änderungsantrag nicht mehr automatisch völlig ausgeschlossen werden; ein Ausschluss bleibt aber weiterhin möglich. Das Schlimme ist – das wird auch in Ihrem Änderungsantrag absolut nicht berücksichtigt
–, dass noch nicht einmal die Kriterien genannt werden, wann diese Einschränkungen denn stattfinden sollen.
Auch zahlreiche andere Kritikpunkte aus der Anhörung werden vollständig ausgeblendet und finden nicht im Ansatz Berücksichtigung. So bleibt weiterhin die Vermengung von der Sicherung einer Abschiebung mit zahlreichen anderen sogenannten Aufgaben, die mit dem Zweck der Abschiebungshaft einfach gar nichts zu tun haben. Dies führt dazu, dass daraus weitere, neue, höchst fragwürdige Rechtseinschränkungen herangezogen werden können.
Von all diesen Verschärfungen, bei denen zum Teil sogar die Verfassungsmäßigkeit infrage gestellt werden kann, lässt sich auch nicht ablenken, indem die Regierungsfraktionen nun mit ihrem Änderungsantrag einen Beschwerdebeauftragten einrichten wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist zwar nice to have;
(Stefan Lenzen [FDP]: Aha!)
aber es ändert nichts an der Tatsache, dass den Betroffenen kaum wirksame Rechtsmittelmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden.
Meine Damen und Herren, die schwarz-gelbe Landesregierung vollzieht mit diesem Gesetzentwurf einen deutlichen Kurswechsel bei der Abschiebungshaft. Mit dem Ausbau der Kapazitäten geht spürbar die Verschärfung der Unterbringungsbedingungen für alle Insassen einher. Abschiebungshaftgefangene werden faktisch unter den Generalverdacht gestellt, Straftaten zumindest verüben zu wollen. Das ist eine Unverhältnismäßigkeit, die nur schwer mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist.
Wir lehnen den Gesetzentwurf ab.
(Beifall von den GRÜNEN) 

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