Berivan Aymaz: „Massenunterkünfte lösen kein einziges Problem“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Unterbringung von Geflüchteten

Portrait Berivan Aymaz 2021

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Bei der am kommenden Sonntag in Bayern anstehenden Landtagswahl hat ein Thema sicherlich enorm zur Polarisierung beigetragen, nämlich die Errichtung der sogenannten Ankerzentren von Bundesinnenminister Seehofer.
Trotz großer Widerstände aus Ländern und Kommunen, aber auch aus der Zivilgesellschaft, von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und sogar von der Gewerkschaft der Polizei will der selbst ernannte Heimatminister, der in den letzten Monaten immer wieder die Republik spaltet, die Errichtung von sogenannten Ankerzentren durchpeitschen.
In den Massenunterkünften sollen alle nach Deutschland eingereisten Geflüchteten isoliert und kaserniert untergebracht werden und – je nach sogenannter Bleibeperspektive – bis zum Ende des Asylverfahrens bleiben.
Das bedeutet, dass bis zu 1.500 Geflüchtete 18 Monate lang in Ankerzentren ausharren sollen, bis sie letztendlich von dort abgeschoben werden können.
Und was passiert bei uns in NRW? – Während sich fast die ganze Republik eindeutig gegen Seehofers Pläne ausspricht, duckt sich die schwarz-gelbe Landesregierung vor einer eindeutigen Positionierung gegen die Kasernierung von Geflüchteten. Und warum tut sie das? – Weil sie nämlich zeitgleich mit einem Asyl-Stufenplan Seehofers restriktivem Kurs nacheifert. Der NRW-Kasernierungsplan – also der sogenannte Asyl-Stufenplan – sieht sogar eine Verweildauer von bis zu 24 Monaten in Landeseinrichtungen vor; und das alles unter dem Deckmantel, die Kommunen zu entlasten.
Dabei hat sich doch auch in NRW am Beispiel der Zentralen Unterbringungseinrichtungen – wie zum Beispiel in Oerlinghausen – gezeigt, dass die Perspektivlosigkeit durch eine zu lange Aufenthaltsdauer in Landeseinrichtungen fatale Folgen für die Integration und für den sozialen Frieden im Umfeld hat. Bereits jetzt weisen die psychosozialen Zentren auf eine hohe Anzahl von traumatisierten Menschen innerhalb der Gruppe der Geflüchteten hin,
(Daniel Sieveke [CDU]: Ja, ja!)
und der Bedarf an psychologischer Beratung ist enorm gewachsen.
(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])
Expertinnen und Experten warnen davor, dass durch die isolierte Unterbringung über einen derart langen Zeitraum die Wahrscheinlichkeit, an psychischen Störungen zu erkranken, massiv verstärkt wird. Schauen wir uns mal die Zahlen aus Bayern an: Dort haben sich die Suizidversuche von Geflüchteten in den Landeseinrichtungen in den letzten drei Jahren verdreifacht! Spätestens deswegen sollten wir diese Warnungen ernst nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Massenunterkünfte lösen kein einziges Problem, sondern sie schaffen nur neue Probleme. Sie konterkarieren jegliche Integrationsbemühungen und verursachen hohe Folgekosten für die Kommunen, wenn ihnen Geflüchtete nach langem Aufenthalt in den Großeinrichtungen doch zugewiesen werden müssen. Daraus entsteht ein weitaus größerer Betreuungsbedarf – sei es, um im regionalen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, um nachholend auf eine selbstständige Lebensführung vor Ort vorbereitet zu werden, um nachholend eine – noch kostenintensivere Sprachförderung zu erhalten oder um nachholend in Kita und Schule eingeführt zu werden.
Sehr geehrter Herr Minister Stamp, so kann doch eine tatsächliche Entlastung von Kommunen nicht aussehen. Sie versprechen hier etwas, was Sie nicht einhalten können.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])
Die Vorstellung, dass den Kommunen zukünftig nur noch Personen zugewiesen werden, die bereits als Schutzbedürftige anerkannt sind, geht doch völlig an der Realität vorbei. Die Zahlen der Menschen, die geduldet sind oder aus anderen berechtigten Gründen eben nicht zurückgeführt werden können, liegen Ihnen ja vor. Außerdem bedeutet das Festhalten von Geflüchteten in Landeseinrichtungen noch lange nicht, dass dadurch auch eine Effizienzsteigerung der Asylverfahren und der Rückführungen erreicht werden könnte. Denn wir wissen ja inzwischen, dass wir dafür vor allem mehr und besser qualifiziertes Personal beim BAMF und funktionierende Rückkehrabkommen mit den Herkunftsländern brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Daher, Herr Minister Stamp, sage ich Ihnen, wird Ihre Rechnung nicht aufgehen. Wer Kommunen ernsthaft entlasten will, muss ihnen bei ihren Aufgaben der Unterbringung und Integration von neu Zugewanderten zur Seite stehen.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt hinweisen: Gerade die fehlende Beschulung von Kindern und Jugendlichen ist absolut nicht hinnehmbar.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist fatal, dass sich fast 40 % der Kinder und Jugendlichen in den sogenannten beschleunigten Asylverfahren länger als ein halbes Jahr in den Landeseinrichtungen befinden und nicht beschult werden.
Herr Minister Stamp, Sie werden sicher gleich auch auf Ihren Erlass hinweisen, womit diese Fragen gelöst werden sollen. Aber – ich habe es berechnet – auch nach Umsetzung Ihrer Vorgaben befänden sich immer noch 90 Kinder und Jugendliche viel zu lange ohne Beschulung in den Einrichtungen. Hier geht nicht nur wertvolles Integrationspotenzial verloren, sondern das ist ein klarer Bruch von international verankerten Kinder- und Menschenrechten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Von einem Minister, der auch für Kinder zuständig ist – das muss ich ehrlich gestehen –, hätte ich mehr Verantwortungsübernahme gerade in dieser Frage erwartet.
Auch bei der Umsetzung des noch von der vorherigen rot-grünen Landesregierung erarbeiteten Gewaltschutzkonzeptes bewegt sich wenig – das hat sich immer wieder durch unsere Kleinen Anfragen herausgestellt.
Das alles zeigt, dass die schwarz-gelben Pläne zur Isolation von Schutzsuchenden langfristig zur Verschärfung von Problemen führen, anstatt zu deren Lösung beizutragen. Geflüchtete, die nach bis zu zwei Jahren Perspektivlosigkeit in den Landeseinrichtungen dann doch den Kommunen zugewiesen werden müssen, können nur noch schwer durch Integrationsangebote erreicht werden. Daher muss die Zuweisung auch so schnell wie möglich stattfinden, damit Kinder im Einklang mit den EU-Aufnahmerichtlinien nach spätestens drei Monaten zur Schule gehen und Erwachsene ihr Leben selbstständig gestalten und in die Hand nehmen können.
Deshalb finde ich: Anstatt Geflüchtete zu isolieren, muss das Land die Kommunen bei deren Aufgaben unterstützen. Dazu gehört auch, die Kosten für Geduldete über die bisherigen drei Monate hinaus zu übernehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch auf einen Punkt hinwei- sen: Gerade in Zeiten rechtspopulistischer und rassistischer Hetze kommt es doch darauf an, ganz klar deutlich zu machen, dass unsere Werte der Humanität und Rechtsstaatlichkeit auch vor Geflüchteten nicht Halt machen. Daher fordern wir Grüne eine menschenwürdige und integrative Unterbringung von Geflüchteten, anstatt sie abzuschotten und abzuhängen.
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank. (Beifall von den GRÜNEN) 

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