„Landesregierung muss Schlussstrich unter die Atomwirtschaft ziehen“

3-Fragen an Wibke Brems zum Fukushima-Jahrestag

Portrait Wibke Brems 5-23
Ein schweres Erdbeben, ein Tsunami, schließlich die Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima: Es waren schreckliche Nachrichten, die uns am 11. März 2011 aus Japan erreichten. Der GAU führte zum deutschen Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahr 2022. Trotzdem bleibt er halbherzig, solange die Urananreicherungsanlage in Gronau weiter läuft, erklärt Wibke Brems im 3-Fragen-Interview.

1. Welche Erinnerungen hast Du an den 11. März 2011?
Wibke Brems: Ich erinnere mich gut, wie ich an diesem Tag bei einem Ortstermin am Rand des Braunkohlentagebaus Garzweiler stand und in das riesige Loch blickte, als immer mehr schreckliche Nachrichten aus Japan eintrafen. Ein schweres Erdbeben, ein Tsunami, die auch ein Atomkraftwerk betreffen. Besorgt habe ich im Laufe der folgenden Stunden die beunruhigenden Entwicklungen verfolgt, die Informationen erreichten uns ja nur nach und nach: Zunächst über die Flutung der Reaktorblöcke des AKW Fukushima-Daiichi, dann von schwerwiegenden Schäden, einem Ausfall der Kühlung und schließlich über die Bedrohung durch Kernschmelze. Die Fassungslosigkeit stand nicht nur mir, sondern auch den Kolleg*innen und den RWE-Mitarbeitern, die uns an diesem Tag begleiteten, ins Gesicht geschrieben. Welche Auswirkungen diese Katastrophe jedoch auch für uns haben sollte, das war am 11. März 2011 nicht abzusehen.
Noch im Jahr zuvor hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung mit der so genannten Laufzeitverlängerung den im Jahr 2000 beschlossenen Atomausstieg wieder aufgekündigt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurde zum Glück die Atomkraft auch bei uns ein weiteres Mal neu bewertet. Denn mit diesem Unglück im hochtechnisierten Japan wurde mehr Menschen klar, dass die Atomkraft unbeherrschbar ist. Eine Warnung, für die gerade wir GRÜNE immer wieder als Panikmacher*innen bezeichnet worden sind. Die Katastrophe hatte nicht nur für Japan dramatische und dauerhafte Konsequenzen, sondern führte in der Folge zum dann endgültig beschlossenen Atomausstieg bis 2022.
2. Auch in NRW wird weiterhin Uran angereichert, das dann unter anderem in den belgischen Schrottreaktoren Tihange und Doel eingesetzt wird. Was ist für einen kompletten Atomausstieg Deutschlands jetzt notwendig?
Wibke Brems: Richtig, mit der Abschaltung des letzten deutschen AKWs Ende 2022 ist es ja nicht getan. Was jetzt noch fehlt, ist der ernsthafte politische Wille zu einem Schlussstrich unter der Atomwirtschaft in Deutschland. Aber das sehe ich weder bei der schwarz-gelben Landesregierung noch bei der zukünftigen Bundesregierung. Für uns GRÜNE in NRW steht schon lange fest: Wir müssen aus der gesamten nuklearen Brennstoffkette aussteigen, also auch aus der Urananreicherung in Gronau. Das Bundesumweltministerium hatte zwei Rechtsgutachten zu dem Thema in Auftrag gegeben, die seit dem letzten Herbst vorliegen. Die Gutachten bestätigen: Eine Beendigung der Urananreicherung ist relativ einfach rechtssicher umsetzbar und voraussichtlich sogar ohne Entschädigungszahlungen an die Betreiber möglich.
Der Bundesgesetzgeber kann nun also Nägel mit Köpfen machen – würde er nur wollen. Aber die nun ausscheidende Bundesumweltministerin Hendricks hat in ihrer Amtszeit dahingehend nichts unternommen und auch im Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition findet sich nur eine vage Absichtserklärung. Ministerpräsident Laschet erklärte sogar, dass die Schließung der Urananreicherungsanlage nicht auf seiner Agenda stehe, seine Begründungen dafür werden dabei immer kruder. Und so verfügen die Anreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen weiterhin über unbefristete Betriebsgenehmigungen. Wir GRÜNE nehmen das nicht hin und werden auch weiterhin zusammen mit den vielen gesellschaftlichen Gruppen in der Anti-Atom-Bewegung den Druck in Bund und Land aufrecht halten.
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3. Ministerpräsident Laschet ist nach peinlicher Kommunikation mit leeren Händen von seiner Atomreise nach Belgien zurückgekehrt. Zur Stilllegung der Schrottmeiler Tihange und Doel hat er nichts erreicht. Was müsste er atompolitisch liefern?
Wibke Brems: Rhetorisch tritt der Ministerpräsident als entschiedener Atomkraftgegner auf, will aber nicht, dass Deutschland mit der Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau den kompletten Atomausstieg vollzieht. Er behauptet, dass Deutschland seine Mitgliedschaft in der Internationalen Atomenergie-Organisation verlieren würde, wenn die Urananreicherung in Gronau und die Brennelementeproduktion in Lingen beendet würden. Beide beliefern die belgischen Schrottreaktoren. Nach seiner Logik muss man im Kampf gegen die atomare Bedrohung in der Welt damit leben, dass die atomare Bedrohung vor der eigenen Haustür Bestandsschutz bekommt. Diese Behauptung ist einfach nur haarsträubend. Das zeigt schon das Beispiel Österreich. Das Land ist bereits seit 1978 aus der kommerziellen Atomkraft ausgestiegen und gehört trotzdem zu den Mitgliedern der Internationalen Atomenergie-Organisation. Deswegen haben wir zu dieser Thematik jetzt eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt.
Es war nicht das erste Mal, dass Ministerpräsident Laschet bei diesem Thema eine Bauchlandung hingelegt hat. Im Dezember hatte er  vollmundig verkündet, dass er im Austausch mit Belgien stünde in Sachen Atompolitik. Dumm nur, dass dies in Belgien niemand bestätigen konnte und er dies dann auch selbst zugeben musste.
Statt sich undiplomatisch zu verhalten und platt Braunkohlestrom feil zu bieten, müsste der Ministerpräsident mit einer entschiedenen Energiewende in NRW ein positives Beispiel auch für Belgien liefern. Er müsste in Vertrauen aufbauenden Gesprächen mit der belgischen Regeirung Hilfe anbieten und sich schließlich für ein rasches Ende der Urananreicherung in NRW einsetzen. Dies wäre das richtige Signal gegenüber unseren belgischen Nachbar*innen. Der Ministerpräsident darf nicht nur Presse machen mit den Sorgen der Menschen in der Grenzregion und darüber hinaus. Er muss ihre Befürchtungen tatsächlich ernst nehmen und entsprechend handeln.