Wie ist der Ausbau von Bundesfernstraßen geregelt?
Welche Neu- und Ausbauprojekte bei Autobahnen und Bundesstraßen durchgeführt werden sollen, wird durch das Fernstraßenausbaugesetz des Bundes aus dem Jahr 2016 festgelegt. Dieses Gesetz ist auf Basis des Bundesverkehrswegeplans beschlossen worden. Die im Gesetz enthaltenen Einzelprojekte sind mit Prioritäten versehen. Über dieses Bundesgesetz wird geregelt, „ob“ ein Projekt realisiert werden soll. Die Bundesländer haben dabei keine gesetzliche Zuständigkeit für Autobahnen.
Was ist das Ergebnis des Koalitionsausschusses auf Bundesebene zu Straßenbau?
Der Koalitionsausschuss auf Bundesebene hat am 28.03.2023 mehrere Beschlüsse gefasst, welche u.a. den Straßenbau betreffen. Dazu gehört zum einen, dass zukünftig einzelne sanierungsbedürftige Brücken, die ersetzt werden müssen, einfacher mit mehr Spuren als vorher neu aufgebaut werden können.
Zum anderen wurde festgelegt, dass Projekte aus dem Fernstraßenausbaugesetz, die unter die Kategorien FD-E (Fest Disponiert – Engpassbeseitigung) und VB-E (Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung) fallen, zur Planungsbeschleunigung als „im überragenden öffentlichen Interesse“ klassifiziert werden können. Hierbei handelt es sich ausschließlich um den Ausbau bestehender Autobahnen. Es geht um bundesweit 148 Teilprojekte. Die Festlegung auf die Projekte soll im Einvernehmen mit den betroffenen Bundesländern geschehen. Nur in sechs Bundesländern befinden sich mehrere Teilprojekte, mit 66 fast die Hälfte in NRW.
Damit gilt das Fernstraßenausbaugesetz weiter, mit allen Projekten wie bisher. Am „ob“ ändert sich rechtlich nichts. Weiterhin entscheidet das Fernstraßenausbaugesetz des Bundes darüber, ob Projekte gebaut werden sollen. Es bekommen jedoch einige Projekte noch einmal eine herausgehobene Position, die Auswirkungen auf das „wie“ der Realisierung haben kann.
Wie ist NRW betroffen?
Die 66 Teilprojekte zum Ausbau bestehender Autobahnen in NRW haben insgesamt eine Ausbaulänge von ca. 350 km. Dabei handelt es sich um Projekte unterschiedlicher Länge, mit unterschiedlichen Auswirkungen vor Ort und ganz unterschiedlichen Planungsständen.
Was geschah nach der Einigung im Koalitionsausschuss?
Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) setzte eine knappe Frist zur Zustimmung zu den Projekten durch die Bundesländer bis zum 28.04.2023. Überraschenderweise erklärte er zudem, ein Einvernehmen könne nur für die gesamte Liste erteilt werden und nicht nur für einzelne Teilprojekte.
Unser NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer hat insbesondere darauf hingewiesen, dass ein vermeintlich beschleunigter Autobahnausbau im Ressourcenkonflikt zur notwendigen Erneuerung von Straßenbrücken steht. Zudem ist problematisch, dass hier die Bundesländer eine Entscheidung treffen sollen, für die sie gar nicht mehr zuständig sind. Denn seit dem 01.01.2021 sind Autobahnen in vollständiger Verantwortung des Bundes. Weiter ist bis dato unklar, wie das Gesetz konkret aussehen wird und welche rechtliche Konsequenzen dies haben wird.
Wie auch andere Bundesländer mit beantragte NRW eine Fristverlängerung bis zum 2. Mai. An diesem Tag meldete die NRW-Landesregierung das Einvernehmen zu allen 66 Teilprojekten, geknüpft an einige Bedingungen.
Was bedeutet „überragendes öffentliches Interesse“ bei den Projekten?
Das „überragende öffentliche Interesse“ ist über den Energiebereich in die planungspolitische Debatte und Rechtsetzung gelangt. Die GRÜNEN auf Bundesebene setzten sich dafür ein, dass für klimapolitisch wichtige Vorhaben wie Schienenprojekten dieses „überragende öffentliche Interesse“ festgelegt wird. Die FDP im Bund stimmte dem nur zu, wenn dies auch für bestimmte Autobahnteilprojekte gilt.
Mit dem „überragenden öffentlichen Interesse“ sollen einerseits naturschutz- und artenschutzrechtliche Ausnahmen bei der Projektplanung erleichtert werden. Zudem ist davon auszugehen, dass im Planungsprozess und bei Gerichtsverfahren in der Abwägung die (zügige) Projektrealisierung ein höheres Gewicht erhält als andere Belange. Dabei ist aber zu sagen, dass hier noch einige Unklarheiten bestehen. Einerseits gibt es dazu noch keine gefestigte Rechtsprechung. Zum anderen geht der eigentliche Gesetzentwurf zur Planungsbeschleunigung der Bundesregierung noch in die parlamentarische Beratung.
Warum hat NRW sein Einvernehmen zu allen Projekten erteilt?
Bei den Autobahn-Ausbau-Projekten sind manche Projekte dabei, die als Engpassbeseitigung auch für die GRÜNEN tragbar sind. Andere Projekte werden durch uns aus ökologischen Gründen oder weil die Interessen von Anwohner*innen – beispielsweise wegen notwendiger Umsiedlungen oder höherer Lärmschutzbelastungen – erheblich berührt sind, deutlich problematischer bewertet bis zur klaren Ablehnung.
Bundesverkehrsminister Wissing hat jedoch klargestellt, dass nur ein Einvernehmen oder eine Ablehnung zur gesamten Liste mit 66 Teilprojekten möglich war. Als Ergebnis der Abstimmung mit unserem Koalitionspartner wurde entschieden, das Einvernehmen zur gesamten Liste zu erteilen – jedoch nur unter Bedingungen. Klar ist dabei, dass auch eine Ablehnung der Liste nicht dazu geführt hätte, dass die Autobahnteilprojekte nicht gebaut werden, da der Bund über das „ob“ entscheidet.
An welche Bedingungen ist das Einvernehmen geknüpft?
Im Zuge der Rückmeldung an den Bundesverkehrsminister hat die Landesregierung NRW deutlich betont, dass ein Einvernehmen zur Planungsbeschleunigung nicht zu einer Absenkung von Standards oder Nichtberücksichtigung von Belangen wie zum Beispiel Lärmschutz oder Naturschutz bei der Planung führen soll. Was diesen Aspekt angeht, wird man sich den konkreten Gesetzentwurf noch genau ansehen und im Verfahren prüfen.
Wie verhält sich das „überragende öffentliche Interesse“ zur Bedarfsplanung?
Weiterhin gilt das Fernstraßenausbaugesetz des Bundes aus 2016. Darin ist geregelt, „ob“ Straßenausbauprojekte überhaupt realisiert werden sollen.
Im Bund ist vereinbart, parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden zu starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplans. Bis zur Bedarfsplanüberprüfung soll es eine gemeinsame Abstimmung über laufenden Projekte geben. Auf Basis neuer Kriterien soll ein neuer Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 angestoßen werden.
Auf Landesebene haben wir im Vertrag mit der CDU vereinbart, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Unser Ziel ist, dass auch bei der Umsetzung der Bundesstraßen- und Bundesautobahnprojekte eine Abwägung zwischen verkehrlichem Bedarf, Finanzierung und Klimaschutz getroffen wird.
Die Erklärung der Landesregierung zu den 66 Autobahnteilprojekten sind keine Vorfestlegung des Landes zu diesem Prozess. Für uns GRÜNE im Landtag ist klar, dass auch Teilprojekte, die nun in der Gesamtliste zur „Planungsbeschleunigung“ enthalten sind, bei der Überprüfung oder Neuaufstellung der Bedarfsplanung des Bundes kritisch hinterfragt werden müssen.