Verena Schäffer: „Wir müssen dafür sorgen, dass solche Beratungsstellen gut ausgestattet werden und sie eine gute Arbeit leisten können“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP für eine Informationsstelle Antisemitismus

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den rechtsextremistischen, antisemitischen Anschlag in Halle am 9. Oktober des vergangenen Jahres haben wir alle noch in trauriger Erinnerung. Der Anschlag war ganz klar antisemitisch motiviert. Es wurden zwei Menschen grausam ermordet. Derzeit läuft der Strafprozess, den wir wohl alle sehr interessiert verfolgen.
Ich finde, dass die Tat in Halle sehr klar zeigt, welche enge Verknüpfung es gibt zwischen Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Rassismus, aber auch dem Hass auf Frauen. Insbesondere die Mischung aus antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien macht uns, gerade auch in Bezug auf die sogenannten Coronademos, sehr große Sorgen. Vor dem Hintergrund, dass dort immer wieder antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet werden und man sich antisemitischer Stereotype bedient, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass es nach wie vor Menschen gibt, die an diesen Demonstrationen teilnehmen.
Herr Hagemeier hatte vorhin schon auf meine Kleine Anfrage und die Antwort der Landesregierung zu den antisemitischen Straftaten im ersten Halbjahr 2020 hingewiesen. Wir verzeichnen seit Jahren einen Anstieg antisemitischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen. Klar ist – und ich finde, das muss auch jedem klar sein –, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist.
Das hat sehr verschiedene Gründe. Nicht jede Straftat wird zur Anzeige gebracht. Es wird nicht jede Straftat als antisemitisch motiviert erkannt und dann als solche verzeichnet. Außerdem – das wurde in der Debatte schon angesprochen – ist nicht jeder antisemitische Vorfall strafrechtlich relevant, weshalb er dann auch nicht in der Statistik landet.
Wenn man diese drei Effekte zusammennimmt, ergibt sich daraus ein sehr großes Dunkelfeld; das berichten auch viele Jüdinnen und Juden. Ich persönlich finde total erschreckend, dass gerade der Tatort Schule ein großes Thema ist. Viele Jüdinnen und Juden berichten, dass sie an der Schule Antisemitismus und häufig auch so etwas wie Handlungsunsicherheit bei Lehrerinnen und Lehrern erleben. Ich glaube, das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer darin gestärkt werden, mit solchen Vorfällen umgehen zu können.
Wir reden heute über die „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“, RIAS, die es schon in mehreren Bundesländern gibt, aber bislang noch nicht in Nordrhein-Westfalen. Diese Stelle hat die Aufgabe, das Dunkelfeld aufzuhellen, also Vorfälle zu vermerken und darüber zu berichten. Fast noch wichtiger oder mindestens genauso wichtig ist aber, dass diese Stelle den Betroffenen auch Unterstützungsmöglichkeiten vermittelt, zum Beispiel psychosoziale und juristische Beratung oder Kontakt zu Antidiskriminierungsstellen.
Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen mit SABRA bei der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf eine Stelle, die explizit zu diesem Themenfeld arbeitet und Kontakt zu den Opferberatungsstellen vermittelt; das sind in Nordrhein-Westfalen BackUp und die Opferberatung Rheinland, die bewährte Strukturen darstellen.
Wir Grüne fordern darüber hinaus schon seit Langem eine Dunkelfeldstudie über Antisemitismus und dessen Verbreitung in Nordrhein-Westfalen. Für den 1. Oktober planen wir mit mehreren Fachausschüssen eine sehr große Anhörung zum Thema „Rechtsextremismus“, bei der auch das Thema „Antisemitismus“ eine große Rolle spielen wird. Da werden wir sicherlich noch einmal ausführlich darüber diskutieren können. Ich glaube aber, dass die Erhebung, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat durchführen lassen, eine sehr gute Grundlage dafür ist, die Dunkelfeldstudie anzugehen.
Etwas schade finde ich – das möchte ich hier noch erwähnen –, dass CDU und FDP diesen Antrag alleine eingebracht haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir insbesondere bei dem Thema „Bekämpfung von Antisemitismus“ als Demokratinnen und Demokraten gemeinsame Antragsinitiativen machen. Das ist eigentlich geübte Praxis in diesem Haus.
Immerhin gibt es jetzt einen gemeinsamen Änderungsantrag dazu. Wir verändern den Auftrag so, dass es nicht ein Prüf-, sondern ein klarer Handlungsauftrag an die Landesregierung ist, diese Stelle einzurichten, die ja auch schon länger im Gespräch ist. Ich denke, dass sich alle Fraktionen schon dazu committet haben, dass diese Stelle kommen soll. Insofern brauchen wir dazu keinen Prüfauftrag.
Eines sage ich ganz klar: Natürlich kostet der Kampf gegen menschenverachtende Positionen, gegen solche Einstellungen Geld. Es kostet Geld, Beratungsstrukturen zur Verfügung zu stellen. Das darf meines Erachtens auch so sein. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Beratungsstellen, solche Institutionen gut ausgestattet werden und sie eine gute Arbeit leisten können, weil sie dringend notwendig sind. Meiner Meinung nach gibt es eine gesellschaftliche Verpflichtung, gemeinsam gegen Antisemitismus und andere menschenverachtende Positionen vorzugehen und diese zu bekämpfen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)