Verena Schäffer: „Wir haben noch viel zu tun, um endlich angemessen zu erinnern“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen im Landtag zur Wertschätzung gegenüber Sinti und Roma

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kein Mahnmal, kein Gedenkstein, keine Tafel, nichts! Ein Parkplatz neben einer Sportanlage, mitten in einem Wald auf der Stadtgrenze zwischen Witten und Dortmund: der Dorneywald. Ich kenne ihn gut: Als Kind bin ich dort viel Fahrrad gefahren.

Nichts erinnert heute daran, dass 1940 die Wittener Sinti dort leben mussten: ab 1940 bis zum 9. März 1943. An diesem Datum wurden sie nach Auschwitz deportiert. Von den 66 Deportierten überlebten nur zehn Menschen. In der Erinnerungskultur, im kollektiven Gedächtnis der Stadt Witten ist das Schicksal dieser Menschen bis heute nicht präsent. Ich vermute, das wird in vielen anderen Städten, auch in Nordrhein-Westfalen, der Fall sein.

Erst langsam wird über ein angemessenes Gedenken an die ermordeten Menschen erinnert. Ich bin Roman Franz sehr dankbar dafür, dass er vor zwei Wochen nach Witten gekommen ist und wir dort mit Bürgerinnen und Bürgern darüber diskutiert haben, wie ein angemessenes Gedenken und Erinnern aussehen können. Ich freue mich auch sehr, dass Sie, lieber Herr Franz, heute mit Ihrem Team hier sind.

Das Beispiel von Witten zeigt: Wir haben noch viel zu tun bei der Aufarbeitung der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus. Wir haben noch viel zu tun, um endlich angemessen zu erinnern und um Antiziganismus in die Geschichtsbücher zu verbannen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die 600-jährige Geschichte der deutschen Sinti ist eine wechselvolle Geschichte; sie war immer geprägt von Gewalt und Ausgrenzung. Die Markierung als Fremde gipfelte im Porajmos: Etwa eine halbe Million Sinti und Roma wurde von den Nationalsozialisten ermordet.

Wir wissen: Nach 1945 waren Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus weder aus den Köpfen noch aus dem Behördenhandeln verschwunden. Das Urteil des Bundesgerichtshofs im Jahr 1956 wurde gerade benannt. Die Entschädigungszahlungen wurden eben nicht anerkannt, weil man nicht anerkannte, dass es vor dem Auschwitz-Erlass von Ende 1942 auch eine systematische Vernichtungspolitik gegen die Roma und Sinti gegeben hat.

Erst 1982 wurde diese systematische Vernichtung der Sinti und Roma als Völkermord anerkannt. Das war auch ein Verdienst der Bürgerrechtsarbeit der Sinti und Roma in Deutschland. Ich finde es absolut beschämend, dass die deutsche Gesellschaft nicht eher bereit war, den Völkermord beim Namen zu nennen und sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Auch heute ist Antiziganismus trauriger Alltag: Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, in der Schule oder auf der Straße bis hin zu Gewalt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass bei dem rechtsterroristischen Anschlag von Hanau eine Romni und zwei Roma ermordet wurden. Heute, am Internationalen Tag gegen Rassismus, müssen wir auch an die tödlichen Folgen von Rassismus und Antiziganismus bis heute erinnern. Wir sind gefordert, Vorurteilen immer zu widersprechen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Mit diesem Antrag wollen wir die Zusammenarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Landesverband der Sinti und Roma noch mehr festigen. Seit über 40 Jahren wird der Landesverband vom Land NRW gefördert. Für seine großartige Arbeit bekommt er Geld vom Land. Der Landesverband macht wirklich großartige Arbeit: Er unterstützt die Sinti und Roma bei ihren Anliegen.

Die Erinnerungsarbeit wird ein Teil der Rahmenvereinbarung sein, aber wir wollen auch gemeinsam in die Zukunft blicken. Wir wollen das Wissen über die Geschichte und die Kultur der nationalen Minderheit der deutschen Sinti und Roma vermitteln. Wir wollen in Absprache mit den Sinti und Roma für die Förderung des Romanes sorgen. Nicht zuletzt wollen wir die gesellschaftliche Teilhabe von Sinti und Roma stärken, denn sie gehören zu Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Ich möchte auch noch einmal betonen, dass dieser Antrag zeigt, dass wir Demokratinnen und Demokraten hier im Parlament gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es darauf ankommt, gerade bei diesen Themen. Wir setzen heute mit diesem Antrag ein wirklich wichtiges Zeichen zur Anerkennung und Wertschätzung der Sinti und Roma als wichtigen Teil unserer Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte mich bei euch und Ihnen bedanken, bei den demokratischen Fraktionen im Hauptausschuss, auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass wir es wieder einmal geschafft haben, bei einem so wichtigen Thema über eine längere Zeit hinweg eng zusammenzuarbeiten. Diese Arbeit ist auch noch nicht abgeschlossen.

Wenn wir diesen Antrag heute beschließen, ist es Aufgabe der Landesregierung, mit dem Landesverband zu verhandeln. Trotzdem haben wir vereinbart, dass auch wir als Hauptausschuss, als Parlament das Thema weiter begleiten werden, dass wir weiter dafür sorgen wollen, dass die Sichtbarkeit von Sinti und Roma gestärkt wird. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit, weil sie wichtig ist, und ich will mich ganz herzlich dafür bedanken. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)