Verena Schäffer: „Wir haben momentan leider viele sehr erschütternde Anlässe, um diese Debatte zu führen“

Antrag der PIRATEN für eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Golland, die Debatte über Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte
(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])
haben wir ja schon heute Mittag geführt. Das ist eine wichtige Debatte, die wir hier mal wieder ansprechen sollten. Nur, hier geht es um ein ganz anderes Thema; jetzt geht es um Missstände und Fehler innerhalb der Polizei. Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass diese nicht vorkommen. Im Gegenteil: Wir müssen gerade diese thematisieren, auch im Interesse der Polizei, finde ich. Wenn Sie das so negieren, finde ich das, ehrlich gesagt, ein bisschen schwierig.
Ich will aber auch noch eine Vorbemerkung zu den Vorfällen beim SEK in Köln machen. Diese Vorfälle erschüttern mich persönlich sehr. Ich finde, menschenverachtende Aufnahmerituale innerhalb der Polizei sind in keiner Weise hinnehmbar. Dass gerade innerhalb der Polizei, also einer Behörde, die für den Schutz von Grundrechten, für die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit steht und dafür verantwortlich ist, so etwas möglich ist, erschüttert mich umso mehr. Ich frage mich auch, warum andere Polizeibeamte, die davon mitbekommen haben müssen, diese Missstände nicht aufgedeckt, sondern womöglich sogar noch mitgemacht haben.
Möglicherweise liegt das an den Strukturen innerhalb des SEK. Wahrscheinlich gibt es eine hohe Geschlossenheit, die in gefährlichen Situationen auch notwendig ist. Man muss sich aufeinander verlassen. Möglicherweise begünstigt das solche Strukturen und gruppendynamische Prozesse. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung.
Genauso wenig wie man sagen kann, dass diese Missstände bei allen SEK vorkämen, kann man sagen, diese Vorwürfe beträfen die gesamte Polizei. Aber es ist eben möglich, dass es zu solchen Missständen und Fehlern kommt, Herr Golland. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir das thematisieren und gegensteuern können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im Fall des SEK in Köln ist jetzt die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen am Zuge. Das ist auch richtig so. Ich glaube, wir benötigen aber auch eine Debatte darüber, wie solche Strukturen überhaupt möglich werden und welche Ursachen sie haben. Ich hatte gerade schon gesagt, wir müssen klären, warum es Polizeibeamte gibt, die davon erfahren, aber nicht eingreifen oder sogar – schlimmer noch – mitmachen.
Eine Beschwerdestelle, ein Polizeibeauftragter kann aus meiner Sicht durchaus dazu beitragen, eine Haltung zu stärken. Ich will es nicht Fehlerkultur nennen. Es ist eine Frage der Haltung, wie man damit umgeht. Deshalb sind wir Grüne grundsätzlich sehr offen in dieser Debatte über einen Polizeibeauftragten. Aber es ist immer auch eine Frage der Konzeption, eine Frage, wie man es ausgestaltet. Das muss aus meiner Sicht sehr klug überlegt sein, damit es wirksam sein kann.
Ich verstehe Ihren Antrag so, dass diese Stelle auch Ermittlungen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte führt. Das wollen wir nicht. Aus meiner Sicht sollte eine solche Stelle Beschwerden, Anliegen und Missstände entgegennehmen. Das sollte auch anonym geschehen können; das haben Sie in Ihrem Antrag nicht aufgeführt. Die Stelle sollte aber eben nicht ermitteln. Das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sowohl im Fall Herford als auch bei den aktuellen Vorfällen des SEK in Köln.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schatz zulassen?
Verena Schäffer (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Dirk Schatz (PIRATEN): Werte Frau Schäffer, vielen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich finde es gut, dass Sie grundsätzlich mit uns in einer Linie stehen. Im Detail haben Sie leichte Abweichungen.
Haben Sie mir gerade zugehört, als ich sagte, der Antrag ist sehr bewusst ganz offen formuliert? Die Grundsätze, die wir aufgestellt haben, sind ganz bewusst mit „sollte“ formuliert. Ich möchte schon, dass am Ende ein Konsens steht, mit dem alle Beteiligten leben können. Damit möchte ich in die Ausschussdebatte gehen. Wenn wir uns dann am Ende einigen könnten, wäre das super. Finden Sie das nicht auch?
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich mache gerade nichts anderes, als auf Ihre Argumente einzugehen und eigene Argumente vorzubringen. Ich finde, das ist Teil einer Debatte, die wir führen müssen, und zwar sowohl hier im Plenum als auch später im Ausschuss. Es ist eine Debatte, die ich übrigens hochspannend finde.
Ich will noch einmal bei den Ermittlungen ansetzen und da weitermachen. Ich finde, es ist eine Frage, wie man damit umgeht. Wenn Sie diese Stelle dem Legalitätsprinzip verpflichten wollen, wenn also strafrechtlich relevante Sachverhalte verfolgt werden müssen, werden sich viele nicht mehr an diese Stelle wenden, glaube ich. Das gilt zum Beispiel für Polizeibeamtinnen und -beamte, die durchaus einen Vorfall melden wollen, dies aber nicht unmittelbar tun, sondern mit einem zeitlichen Abstand. Dann müsste eine solche Stelle sofort gegen diese Person wegen Strafvereitelung im Amt ermitteln. Das geschähe eigentlich auch zu Recht. Diese Personen werden sich aber nicht mehr an diese Stelle wenden. Damit führen Sie das zum Teil ad absurdum. Das möchte ich zumindest als einen Punkt in die Debatte geben, den man mit bedenken muss.
In Nordrhein-Westfalen sind wir bisher einen anderen Weg gegangen. Wir haben gesagt, wir bringen ein dezentrales Beschwerdemanagement bei den Kreispolizeibehörden auf den Weg. Der erste Bericht ist im vergangenen Jahr schon erschienen und wird nun regelmäßig jährlich veröffentlicht.
Diese Bearbeitung von Beschwerden und Fragen von Bürgerinnen und Bürgern ist nicht nur als Wert an sich wichtig. Es ist nicht nur wichtig, dass die Anliegen abgearbeitet werden und die Personen, die sich beschweren, eine Antwort von der Polizei bekommen. Ich finde sie auch intern für die Polizei wichtig. Es kann dazu führen, dass polizeiliche Arbeit weiterentwickelt werden kann, was auch geschehen sollte. Beim vorhandenen Beschwerdemanagement kann und sollten wir schauen, wo wir Verbesserungen erreichen können. Insofern ist es eine unheimlich spannende Debatte. Wir haben momentan leider viele sehr erschütternde Anlässe, um diese Debatte zu führen. Herford ist genannt worden. Köln ist genannt worden. Es gibt aber zum Beispiel auch Missstände bei der Bundespolizei. In Hannover gab es einen solchen Fall. Wir haben momentan viele Anlässe. Das ist sehr traurig und beschämend für die Polizei. Aber wir haben diese Anlässe, und deshalb sollten wir die Debatte dazu ausführlich im Ausschuss führen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

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