Verena Schäffer: „Wir brauchen in dieser Krise Verständlichkeit, und wir brauchen Konsistenz“

Entwurf der Landesregierung für das Haushaltsgesetz 2021 - dritte Lesung

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir ziehen heute Bilanz über dieses fast vergangene Jahr – ein Jahr, das von der Coronakrise geprägt war und geprägt ist. Regierungsvertreter müssen sich an ihrem Krisenmanagement während dieses Jahres messen lassen, und dazu gehört auch die Krisenkommunikation.

Krisenkommunikation hat auch etwas mit Innenpolitik zu tun. Es gibt einen Leitfaden des BMI, in dem die vier Grundprinzipien der Krisenkommunikation sehr gut dargestellt werden. Sie lauten: Schnelligkeit, Wahrhaftigkeit, Verständlichkeit und Konsistenz.

Ich meine, das ist zu Recht auch die Erwartungshaltung der Menschen in Nordrhein-Westfalen an die Landesregierung – doch sie wurden von dieser bitter enttäuscht.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Kutschaty [SPD])

Die Krisenkommunikation dieser Landesregierung ist gekennzeichnet durch hektische SchulMails am Freitagnachmittag, durch falsche Hoffnungen für Gastronomie und Kultur im November sowie durch eine verkürzte Fokussierung auf Weihnachten, anstatt die Infektionszahlen und die Auslastung des Gesundheitssystems zum Maßstab zu nehmen. So stolpert Ministerpräsident Laschet durch diese Krise.

Der Sommer wurde nicht zur Vorbereitung auf die zweite Welle genutzt, und dringend notwendige Konzepte über den Tag hinaus fehlen immer noch, auch zehn Monate nach Beginn der Pandemie.

Wir brauchen aber jetzt Perspektiven. Wir brauchen jetzt einen klaren Stufenplan für die Zeit ab Januar, der den Menschen Planbarkeit gibt, was bei welcher Inzidenz passiert. Wir brauchen in dieser Krise Verständlichkeit, und wir brauchen Konsistenz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stattdessen hat der Ministerpräsident in den vergangenen Monaten viele wechselnde Rollen eingenommen: als Zuspätkommer hinter Markus Söder, danach als Mahner, als Lockerer mit Hendrik Streeck als Kronzeugen, als Problemverdränger in der Sommerpause und dann als Zauderer im Herbst. Eine Konstante gab es aber immer: Sie hinken den Debatten hinterher.

Ich finde, das ist auch kein Wunder mit einer FDP als Bremsklotz am Bein,

(Henning Höne [FDP]: Ui, ui, ui!)

einer FDP mit einem Christian Lindner an der Spitze, der die Berufsfreiheit der Gastronomie über den Gesundheitsschutz gestellt hat,

(Henning Höne [FDP]: Einfach unwahr! Unwahr!)

mit einem Christian Lindner, der die FDP-mitregierten Bundesländer bei der Abstimmung zum Infektionsschutzgesetz im Bundesrat zu einer Enthaltung gezwungen hat.

(Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Er ist doch gar nicht mehr hier!)

– Ja, er ist nicht mehr hier, aber offenbar spielt er hier nach wie vor eine ziemlich große Rolle.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich würde der FDP im Landtag NRW die Empfehlung geben, sich davon freizuschwimmen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Aber auch die FDP hier im Landtag hat Fehler gemacht. Sie hat sich mit Händen und Füßen gegen den Distanzunterricht gewehrt. Ich meine, man kann sagen, dass der Glanz der Traumhochzeit von CDU und FDP zur sogenannten NRW-Koalition längst verblichen ist. Vielleicht sollten Sie sich mal eine Eheberatung gönnen – das soll ja durchaus helfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf)

Auf Kritik reagiert der Ministerpräsident dünnhäutig. Verantwortung wird auf die Schulen und die Kommunen oder in der Tönnies-Debatte auf Werksarbeiter aus Rumänien und Bulgarien abgewälzt. Das war inakzeptabel. Wer Ministerpräsident ist und Kanzler werden will, muss Kritik aushalten und konstruktiv mit ihr umgehen können, ohne zuallererst anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit ihrem Schlingerkurs hat die Regierung von Armin Laschet viel Vertrauen in der Bevölkerung verspielt – Vertrauen, das in der aktuellen Situation aber dringend notwendig ist, denn Vertrauen in staatliches Handeln ist unerlässlich für die Akzeptanz und Einhaltung der Schutzmaßnahmen.

Das gilt auch für die öffentliche Debatte und Diskussion. Deshalb ist es gut, dass wir hier im Parlament wieder über Schutzmaßnahmen diskutieren, auch – und das will ich dazusagen – wenn ich mir gestern eine etwas sachlichere Debatte gewünscht hätte.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Das Coronavirus erschüttert unsere Gesellschaft. 952 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden – mich hat das heute Morgen ziemlich schockiert, und ich vermute, das geht vielen von Ihnen auch so. Es gibt in den Kliniken viele schwer erkrankte Menschen, die gerade um ihr Leben kämpfen. Heute Morgen wurden knapp 28.000 Neuinfektionen gemeldet.

Viele Familien haben in dieser Pandemie bereits geliebte Menschen verloren. Sie werden kein gemeinsames Weihnachtsfest mehr erleben. Deshalb sollten wir an diesem Weihnachten auch denjenigen gedenken, die nicht mehr unter uns sind.

Ich will hier ganz klar sagen: Daran, dass jeden Tag weiter viele Menschen sterben, kann und will ich mich nicht gewöhnen.

An dieser Stelle möchte ich allen Bürgerinnen und Bürgern danken,

(Beifall von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] und Regina Kopp-Herr [SPD])

die momentan viel auf sich nehmen, um sich und ihre Nächsten zu schützen.

Ich will auch allen Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern in Krankenhäusern und Einrichtungen danken und allen, die den Laden jetzt am Laufen halten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir sind jetzt Mitte Dezember noch lange nicht am Ende dieser Pandemie. Das muss man auch so ehrlich und so deutlich kommunizieren, ganz im Sinne der Grundprinzipien der Krisenkommunikation. Auch wenn uns der Impfstoff einen leichten Hoffnungsschimmer gibt, wird es noch viele, viele Monate dauern, bis wieder annähernd so etwas wie Normalität eintreten wird.

Dennoch ist das Ende eines solchen krisengeprägten Jahres der richtige Zeitpunkt, Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wenn uns dieses Jahr eines gezeigt hat, dann ist das doch, wie wichtig gute Krisenvorsorge und fakten- und wissenschaftsbasiertes Handeln in der Politik sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vorausschauende Politik bedeutet, dass man auf Krisenszenarien gut vorbereitet ist – immer in der Hoffnung, dass denkbare Krisen niemals Realität werden. Das ist ja auch der Wesenskern des Katastrophenschutzes: auf Krisen vorbereitet sein, die hoffentlich niemals eintreten werden.

Neben der Coronakrise ist aber bereits eine weitere Krise zur Realität geworden. Es ist die Klimakrise. Sie bedroht schon heute ganz real Lebensgrundlagen in dieser Welt.

Die Klimakrise ist auch hier in Nordrhein-Westfalen schon sehr real zu spüren: Dürresommer, Waldschäden, Zunahme von extremen Wetterereignissen.

Auch Herr Löttgen, der jetzt gerade nicht im Raum ist – zumindest sehe ich ihn nicht –, hat das Thema „Waldschäden“ angesprochen.

Aber daraus muss doch etwas folgen. Daraus muss doch folgen, dass wir im Klimaschutz mehr machen.

Ich finde, die Zeit der Sonntagsreden ist vorbei. Es ist Zeit, zu handeln. Auch hier müssen die dringenden Appelle der Wissenschaft endlich ernst genommen werden. Die Landesregierung darf nicht mehr nur ankündigen, sie muss endlich auch handeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, Herr Laschet, Herr Lienenkämper, Zukunftsinvestitionen kosten Geld. Sie kosten jetzt Geld. Aber sie zahlen sich später aus.

Sie hatten in den vergangenen Jahren das Glück von Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe. Sie müssen jetzt die Kommunen fit für die Zukunft machen und einen nachhaltigen Strukturwandel einleiten.

Sie schmücken sich ja gerne, Herr Pinkwart, mit einer Wasserstoffstrategie oder IN4climate, zerschlagen aber gleichzeitig die über die Landesgrenzen hinaus renommierte EnergieAgentur.NRW. Damit lassen Sie aus ideologischen Gründen seit Jahrzehnten gewachsene Strukturen einfach vor die Wand fahren. Ich finde das unverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Pariser Klimaabkommen ist nun ziemlich genau fünf Jahre alt. Am 12. Dezember 2015 hat sich die Weltgemeinschaft in Paris verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2, wenn möglich sogar auf unter 1,5 Grad zu begrenzen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich letzten Freitag darauf verständigt, dass bis 2030 mindestens 55 % der CO2-Emissionen eingespart werden und die Klimaneutralität in der EU bis 2050 erreicht wird.

Auch wenn wir Grüne – das gebe ich zu – uns ein höheres Ziel bis 2030 gewünscht hätten, so sind die gesteckten Ziele doch ein klarer Handlungsauftrag für uns hier in Nordrhein-Westfalen. Denn NRW kommt als Industrie- und Energieland eine besondere Rolle zu, der wir gerecht werden müssen und der diese Landesregierung aktuell bei Weitem nicht gerecht wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Klar ist auch – ich weiß, dass viele hier das nicht wahrhaben wollen –: Ohne einen früheren Kohleausstieg sind die Klimaziele der EU überhaupt nicht zu erreichen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Wenn wir noch einmal auf das letzte Jahr zurückgucken, auf die Kommunalwahl, dann muss man klar sagen: Diese Kommunalwahl im September war auch eine Klimawahl. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erwarten, dass wir in Sachen Klimaschutz vorankommen, und zwar schneller vorankommen. Die Klimakrise ist da, sie ist real. Genauso wie in der Coronakrise braucht es hier ein entschiedenes,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

ein wissenschaftsbasiertes, ein zielorientiertes Handeln. Der Lockdown light bei der Coronakrise hat doch schon nicht geklappt. Ein Klimaschutz light wird uns erst recht nicht aus der Klimakrise führen. Maß und Mitte reichen beim Klimaschutz nicht aus. Wir brauchen Mut, wir brauchen Zuversicht, und wir brauchen eine Regierung, die endlich anpackt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn anstelle eines ambitionierten Klimaschutzes hier in Nordrhein-Westfalen verhindert Minister Pinkwart den Ausbau erneuerbarer Energien. Er legt eine Leitentscheidung für das Rheinische Revier vor, die weder leitet noch entscheidet, sondern viele Fragen offenlässt in Bezug auf die Zukunft der Dörfer und den Hambacher Wald.

(Henning Höne [FDP]: Forst!)

Wenn Sie den Hambacher Wald wirklich schützen wollen, dann folgen Sie unserem Vorschlag, und kaufen Sie den Wald. Kaufen Sie den Wald, damit er in eine Stiftung überführt wird

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

und endlich Ruhe einkehren kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

– Ich weiß gar nicht, was die Zwischenrufe sollen. Ich dachte, es gäbe hier im Haus mittlerweile so etwas wie einen Konsens, was den Schutz des Waldes angeht. Dann handeln Sie doch! Dann kaufen Sie den Wald doch, damit Ruhe einkehren kann!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Klar ist aber auch: Ohne Verkehrswende sind die Klimaziele nicht zu erreichen. Doch was macht Verkehrsminister Wüst? – Er setzt immer noch auf immer mehr Straßen. Beim Radverkehr hingegen geht es nicht voran. Der dringend notwendige Ausbau des Bahnnetzes läuft, wenn überhaupt, nur schleppend. Aber umweltfreundliche und klimaschonende Mobilität

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

muss jetzt im Fokus stehen. Mit den Verkehrskonzepten von gestern werden wichtige Zukunftschancen verpasst.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Deshalb: Steuern Sie um. Investieren Sie mehr Geld,

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

um Mobilität, Klimaschutz und Lebensqualität für alle zu ermöglichen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dieser Haushalt lässt wichtige Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz vermissen. Unsere Haushaltsanträge für die Förderung von kommunalem Klimaschutz, für die Umstellung auf eine klimaneutrale Landesverwaltung oder auch für mehr Radverkehr haben Sie von CDU und FDP abgelehnt. Das ist völlig unbestritten Ihr demokratisches Recht. Aber ob es klug ist, auf Klimaschutzinvestitionen zu verzichten, werden nachfolgende Generationen beurteilen. Ich befürchte, das Urteil wird für Sie nicht gut ausfallen. Denn das, was wir aus der Coronakrise mitnehmen müssen, gilt auch für die Klimakrise: auf die Wissenschaft hören und entschieden handeln, um den Schaden zu begrenzen, so lange es noch irgendwie möglich ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn ab heute der Einzelhandel geschlossen und damit das Weihnachtsgeschäft gestoppt ist, dann ist das für viele Inhaberinnen und Inhaber des Einzelhandels wirklich dramatisch. In vielen Wirtschaftsbereichen, in der Gastronomie, der Veranstaltungsbranche, im Gastgewerbe, bedeuten die weitreichenden Schutzmaßnahmen schwere finanzielle Einschnitte, die auch existenzgefährdend sein können. Wir wissen das alle aus Gesprächen auch in unseren Wahlkreisen.

Ja, wir Grüne stehen hinter den Schließungen. Das haben wir ja gestern in der Debatte noch einmal deutlich gemacht. Denn nur mit Kontaktbeschränkungen werden wir die Ausbreitung dieses Virus stoppen und damit in der Konsequenz dann auch Menschenleben schützen.

Wichtig ist aber, dass Hilfsmaßnahmen schnell und unbürokratisch kommen, und zwar möglichst bald und nicht erst Mitte nächsten Jahres.

Die Infektionszahlen und die Beschränkungen gehen auch an der Industrie nicht spurlos vorbei. Angesichts einer drohenden Rezession fordern Wirtschaftsexperten jetzt vor allem öffentliche Investitionen. Der Staat muss jetzt in Forschung, in Bildung und in nachhaltige Infrastruktur investieren und damit auch die Konjunktur ankurbeln.

Wir haben einen Grünen Zukunftspakt Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen mit Investitionen in die Schulinfrastruktur, mit Vorschlägen zur Digitalisierung unserer Hochschulen, mit einer klimaneutralen Landesverwaltung, mit Klimaschutz in den Kommunen und für Radwege.

Herr Laschet, Sie haben es in den letzten Jahren leider verpasst, und zwar trotz massiver Steuermehreinnahmen in den Jahren 2017 bis 2019, ausreichend Mittel für nachhaltige Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz in die Hand zu nehmen.

Dass Sie diese Investitionen nicht tätigen, zeigt, dass Sie keinen Zukunftsplan, keine Vision für NRW über den Wahltag im September 2021 hinaus haben.

(Henning Rehbaum [CDU]: Sechsmal so viel wie die Grünen!)

Das ist eine fahrlässige Politik für unser Land.

(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Sechsmal so viel wie die Grünen!)

Ja, ich bekenne, ich lese manchmal auch Broschüren und Magazine von anderen politischen Stiftungen. Insofern darf ich Ihnen heute eine Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung sehr ans Herz legen. Diese Broschüre, der Infrastrukturatlas, zeigt die Investitionen sehr deutlich. Daraus geht deutlich hervor, dass in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Bundesländern viel zu wenig Geld öffentlich investiert wird.

Das sind übrigens nicht die Erhebungen der Heinrich-Böll-Stiftung, sondern das sind die Zahlen vom Statistischen Bundesamt. Während Bayern im Jahre 2019 pro Kopf rund 650 Euro investiert hat, investierte Nordrhein-Westfalen nur rund 280 Euro pro Kopf. Das ist weniger als die Hälfte der Investitionen in Bayern. NRW liegt im Ländervergleich weit abgeschlagen.

Dabei war es doch Herr Laschet, der in der Debatte zum letzten rot-grünen Haushalt 2017 mehr Investitionen eingefordert hat. Laschet versprach eine Ein-Drittel-Lösung bei den Steuermehreinnahmen. Sie haben damals gesagt: Das bedeutet Schuldenabbau, Investitionen und Entlastungen der Bürger. Dieses Versprechen, Herr Laschet, haben Sie gebrochen, und das ist für die Infrastruktur in diesem Land fatal.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft identifizierte Ende 2018 eine bundesweite Investitionslücke von 450 Milliarden Euro bis 2030. Das Land und auch Nordrhein-Westfalen hätten längst mehr investieren müssen. Aber spätestens jetzt, spätestens in dieser Krise brauchen wir einen Konjunkturmotor. Es gilt auch hier, die richtigen Weichen mit Investitionen in Forschung, Bildung, nachhaltiger Infrastruktur zu stellen, die Nordrhein-Westfalen zukunftsfest aufstellen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Die Koalitionsfraktionen haben es in diesem Jahr durchaus spannend gemacht und ihre Änderungsanträge erst zur dritten Lesung des Haushalts vorgelegt. Wer dachte, die Zeit wäre vielleicht genutzt worden, um auf die Kritik in der Haushaltsanhörung einzugehen und umfangreiche Investitionen zu beantragen, wurde leider enttäuscht. Nichts dergleichen haben Sie beantragt.

Auch eine Attraktivitätsoffensive – sie ist unter anderem von den Gewerkschaften eingefordert worden – für die öffentliche Verwaltung wäre notwendig gewesen. Die Forderungen lagen auf dem Tisch. Stattdessen beantragen Sie dreimal 100.000 Euro in der Finanzverwaltung, der Justiz und bei der Polizei, mit denen jetzt Busse finanziert werden sollen, die durchs Land fahren und für die jeweiligen Ausbildungsgänge werben.

Das mag alles total gut und total richtig sein. Aber eine grundlegende Reform oder eine ernst gemeinte Offensive zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes ist das nicht. Das ist eine herbe Enttäuschung für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die FDP spricht seit Kurzem immer so viel von Bildungsgerechtigkeit. Das finde ich total gut. Denn Bildungsgerechtigkeit ist ein wichtiger Baustein von Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Klar ist aber auch, Bildungsgerechtigkeit braucht engagierte Lehrerinnen und Lehrer, und Bildungsgerechtigkeit beginnt schon bei den Kleinsten und bei den Kleinen. Wir haben aber schon heute einen massiven Lehrkräftemangel an den Grundschulen. Es fehlen mindestens 900 Lehrerinnen und Lehrer für die Klassen 1 bis 4.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Der Masterplan „Grundschule“ hat sehr lange auf sich warten lassen, aber dieser Masterplan „Grundschule“ ist eine einzige Enttäuschung, allein schon deshalb, weil er die zugesagte Angleichung der Eingangsbesoldung von Grundschullehrerinnen und -Lehrern auf A13 völlig außer Acht lässt.

Ja, ich weiß, jetzt werden für 5 % der Lehrkräfte Beförderungsstellen eingerichtet. Aber das ist, ehrlich gesagt, nicht weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn in der Laufzeit des Masterplans 5 % der Stellen A13 erhalten sollen, bräuchte es umgerechnet 100 Jahre, um alle Grundschullehrkräfte zu erreichen. Ich finde, Wertschätzung für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer sieht anders aus. Die Anpassung der Ausbildung muss endlich auch eine Anpassung der Besoldung nach sich ziehen. Und das betrifft natürlich auch die Lehrkräfte der Sekundarstufe I.

Herr Laschet, auch hier haben Sie ein wichtiges Versprechen gebrochen. Legen Sie endlich einen Plan vor! Schenken Sie den Lehrkräften reinen Wein ein, wann sie endlich mit der Angleichung der Besoldung zu rechnen haben!

(Beifall von den GRÜNEN)

Auf einen Plan für die Zukunft der Kommunalfinanzen warten die Kommunen bislang vergeblich. Die Kommunen sind auch bei diesem Haushalt der große Verlierer. Dabei zeigt uns die Coronakrise doch, wie wichtig die Kommunen und die kommunalen Behörden sind.

Es sind nämlich die Gesundheitsämter, die die Quarantäneverfügungen erstellen und auch die Kontaktnachverfolgung betreiben.

Es sind die Kommunen als Schulträger, die Hygienemaßnahmen an den Schulen umsetzen und Luftfilteranlagen einbauen.

Es sind die Jugendämter, die auch in schwierigen Zeiten Kontakt zu ihren Schützlingen suchen und Familien beraten.

Es sind die Ordnungsämter, die die Einhaltung der Coronaschutzmaßnahmen überwachen.

Und es sind nicht zuletzt auch die Krisenstäbe, die die gesamten Aufgaben koordinieren, die Schutzmaßnahmen umsetzen und für die Information der Öffentlichkeit sorgen.

Es sind übrigens auch die 53 Krisenstäbe der der kreisfeien Städte und der Kreise, die ausbaden müssen, dass ausgerechnet die Landesregierung ihren eigenen Krisenstab noch nicht aktiviert hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Land hält extra einen Krisenstab und auch entsprechende Haushaltsmittel vor. Es tut mir leid, Herr Laschet, dass ich in Ihrer Anwesenheit hier doch noch mal den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zitieren muss.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Bitte!)

– Das mache ich gerne.

Markus Söder hat am Sonntag in der Pressekonferenz mit der Kanzlerin nach der MPK bemerkenswerte Sätze gesagt, die ich gerne zitieren möchte. Er sagte:

„Corona ist eine Katastrophe, die unser Leben mehr betrifft als jede Krise, die wir in den letzten 50 Jahren zuvor hatten.“

Corona ist eine Katastrophe, sagt Markus Söder. Die NRW-Landesregierung sieht das aber offensichtlich anders,

(Henning Höne [FDP]: Markus Söder ist eine Katastrophe!)

denn sonst würden Sie den Krisenstab einrichten.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Quatsch!)

– Quatsch? Vielleicht unterhalten Sie sich mit dem Innenminister, der gerade nicht da ist, noch einmal darüber. Wir haben die Debatten – Herr Pfeil weiß das, und auch andere, die hier sitzen – mehrfach im Innenausschuss geführt, und Herr Reul konnte mir nicht erklären, warum dieser Krisenstab nicht eingesetzt wird.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Ich hatte selber das Gefühl, dass er selbst noch nicht einmal die Geschäftsordnung der Landesregierung zum Krisenstab gelesen hatte, denn daraus geht ziemlich klar hervor, was die Aufgaben sind und wann man einen Krisenstab aktiviert. Demnach hätte der Krisenstab längst aktiviert werden müssen.

Es geht im Übrigen auch nicht darum, wie kleinkariert die Grünen in Sachen Geschäftsordnung sind. Manchmal sind wir das, das gebe ich gerne zu. Der Grund ist doch, dass die Krisenstäbe für eine einheitliche Kommunikation sorgen. Sie sorgen dafür, dass Informationen von der Landesebene an die Kommunen gehen. Und das ist derzeit nicht der Fall. Reden Sie mal mit den Kommunalos vor Ort! Reden Sie mal mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern!

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Haben wir!)

Sie werden Ihnen bestätigen, dass es ein echtes Problem ist, dass diese Informationen nicht einheitlich an die kommunale Ebene gelenkt werden. Da lassen Sie wirklich Ihr schlechtes Krisenmanagement auf dem Rücken der Kommunen aus. Und ist wirklich eine ignorante Haltung, die ich nicht nachvollziehen kann.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Kutschaty [SPD])

Obwohl hier jeder im Raum weiß, wie wichtig die Funktion der Kommunen in dieser Krise ist und wie wichtig die Kommunen für unser Gemeinwesen sind, lässt die Landesregierung sie am langen Arm verhungern. Jetzt kommt neben der ohnehin schon schwierigen finanziellen Situation vieler Kommunen auch noch die Last in der Coronakrise hinzu. Während Bund und Länder den Kommunen für die Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer für das Jahr 2020 eine Kompensation zugesagt haben, werden die Kommunen im Jahr 2021 im Regen stehen gelassen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Wer sagt das denn?)

Herr Lienenkämper, Sie lösen die Probleme der Kommunen in der Coronakrise nicht, wenn Sie heute kreditfinanzierte Zuweisungen geben.

(Henning Höne [FDP]: Wie hoch sind denn die Ausfälle für 2021? – Bodo Löttgen [CDU]: Was haben wir denn für 2021 erstattet?)

Sie schaffen damit in absehbarer Zeit neue Probleme,

(Beifall von den GRÜNEN)

denn Sie treiben die armen Kommunen nur weiter in die Schuldenspirale. Und das ist ja nicht das einzige Problem. Dazu kommt auch noch die Veränderung der Systematik des GFG: Indem Sie Schlüsselzuweisungen absenken und Pauschalen anheben, wird ein größerer Teil der Mittel unabhängig der Finanzkraft der Kommunen bereitgestellt. Im Ergebnis bedeutet das weniger Geld für die finanzschwachen Kommunen. Das ist ein echtes Problem.

(Beifall von den GRÜNEN)

On top kommt die immer noch nicht gelöste Altschuldenproblematik. Ministerin Scharrenbach hatte bereits für Anfang 2019 ein Konzept angekündigt.

Davon fehlt immer noch jede Spur. Dabei läuft im Jahr 2020 – also dieses Jahr – der Stärkungspakt aus. Das Land spart ab dem nächsten Jahr, ab dem Jahr 2021, die Zuführung der Mittel und damit durchschnittlich 440 Millionen Euro pro Jahr.

Mit diesen Mitteln könnte das Land einen großen Schritt in Richtung Altschuldenlösung machen. Doch es passiert nichts. Das ist aus meiner Sicht ein Offenbarungseid, der zeigt, dass die Landesregierung offensichtlich kein Interesse an einer Altschuldenlösung hat. Sie sitzen das Problem der Kommunalfinanzen aus. Aus meiner Sicht und aus Perspektive der Kommunen ist das blanker Hohn.

(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])

Sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Woche gehen wir bis mindestens Mitte Januar in einen Lockdown. Jetzt ist es an der Zeit, an Konzepten für die Zeit nach Mitte Januar zu arbeiten. Wir brauchen einen Stufenplan, der verlässlich aufzeigt, wann und ab welchem Inzidenzwert welche Schutzmaßnahmen erfolgen oder Lockerungen eingeleitet werden können.

Und wir brauchen auch endlich eine echte Hotspot-Strategie – eine Strategie, bei der Minister Laumann nicht den betroffenen Kommunen die Verantwortung vor die Füße kippt, sondern die landesweite Regelungen schafft, welche Maßnahmen bei einem Inzidenzwert von über 200 gelten.

Im Übrigen brauchen wir eine Strategie, die die Städte im kreisangehörigen Raum berücksichtigt. Denn momentan schauen wir nur auf die Kreise. Wir schauen nicht in den kreisangehörigen Raum. Ich kann Ihnen sagen: In meinem Kreis liegt der Inzidenzwert unter 200. Zumindest war das gestern noch der Fall. Ich weiß aber, dass es auch in meinem Kreis, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, Kommunen gibt, die inzwischen bei einem Wert von über 200 liegen.

Wir haben keine Maßnahmen dafür, weil auch diese Landesregierung nichts vorgibt. Ich finde das wirklich fatal. Auch hier lassen Sie die Kommunen komplett alleine. Das geht nicht. Das ist ein schlechtes Krisenmanagement, und das müssen Sie dringend ändern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Verständlichkeit und Konsistenz sind nicht nur Grundprinzipien der Krisenkommunikation. Sie erhöhen auch die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns. Das ist gerade in dieser Krise so enorm wichtig, damit wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger haben.

Schnelligkeit, Wahrhaftigkeit, Verständlichkeit und Konsistenz – das sind die vier Grundprinzipien. Diese vier Grundprinzipien brauchen wir auch im Bereich der Schulpolitik. Hier darf sich nicht wiederholen, was wir in den Osterferien, in den Sommerferien und in den Herbstferien erlebt haben. Das waren Ferien der verpassten Chancen.

Herr Laschet, Frau Gebauer, Sie haben jetzt viele Hausaufgaben für diese Weihnachtsferien bekommen. Und wir erwarten, dass Sie sie auch erledigen. Dass Herr Laschet sich jetzt endlich gegenüber dem kleineren Koalitionspartner FDP durchgesetzt hat und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auf den eindringlichen Appell der Wissenschaft gehört haben, war dringend notwendig. Aber der Schaden, der in der Schulpolitik angerichtet wurde, ist enorm.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der nicht vorbereitete Präsenzunterricht geht auf Kosten der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern. Deshalb muss Frau Gebauer jetzt endlich liefern und den Schulen und Schulträgern den notwendigen Spielraum geben, um lageangepasste pädagogische Konzepte auf den Weg zu bringen.

Deshalb wundere ich mich schon, wenn ich mir die Änderungsanträge der Koalition zur dritten Lesung ansehe. Der einzige Änderungsantrag der Koalition zum Thema „Schule“ betrifft das Schulschwimmen. Das ist ohne Frage ein total wichtiges Thema, aber angesichts einer Situation, in der die Schulen drohen, in dieser Krise aufgrund der schlechten Vorbereitung des Schulministeriums baden zu gehen, wundert es mich sehr, dass diese Koalition nicht mehr auf den Tisch gelegt hat. Denn es geht doch darum, Bildungsgerechtigkeit und Infektionsschutz endlich in Einklang zu bringen.

(Beifall von den GRÜNEN, Thomas Kutschaty [SPD] und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Wir brauchen in diesem Winter und auch im gesamten nächsten Jahr viel Solidarität und Unterstützung. Wir brauchen Solidarität mit denjenigen, die kein Zuhause haben, wenn alle zu Hause bleiben sollen. Wir brauchen Hilfe und Unterstützung für diejenigen, deren Zuhause kein sicherer Ort ist. Wir brauchen Unterstützung und Angebote für die Familien, die darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder in Kita und in Schule ein warmes Mittagessen bekommen.

Denn diese Krise trifft uns alle, aber sie trifft uns nicht gleichermaßen hart. Wir als Politik können aber nicht nur für Solidarität und Gerechtigkeit werben, sondern wir müssen als gutes Beispiel vorangehen, indem wir Maßnahmen zum Infektionsschutz mit Konzepten flankieren, die gerade denen Unterstützung zukommen lassen, die am härtesten durch die Krise getroffen werden.

Wir alle wissen, dass dieses Weihnachtsfest nicht so werden wird wie in jedem Jahr. Unsere Gedanken werden bei denjenigen sein, die wichtige Menschen verloren haben, und auch bei denjenigen, die in den Krankenhäusern um jedes Leben kämpfen.

Politischer Wettstreit um die besten Ideen gehört – auch in der Krise – zu einer Demokratie. Das ist Teil einer Demokratie. Das ist wichtig. Also lassen Sie uns weiter streiten. Lassen Sie uns auch im Jahr 2021 den politischen Wettstreit führen – ich freue mich darauf –, aber immer mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen, dass wir diese Pandemie bekämpfen müssen, damit wir nächstes Jahr um diese Zeit wieder gemeinsam mit vielen Freundinnen und Freunden, mit unseren Familien zusammen feiern können. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN)

https://www.youtube.com/video/P0n1Ufjda00

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