Verena Schäffer: „Wir brauchen die Prävention – Wir brau­chen die Intervention“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP gegen Antisemitismus

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir uns bei dem Thema „Antisemitismus“ die Zeit nehmen, in den Ausschüssen und auch hier im Plenum darüber zu diskutieren. Ich sehe die Notwendigkeit, dass wir das tun müssen. Wir alle waren und sind sehr schockiert über die antisemitischen Vorfälle, die wir in den letzten Wochen hier in Nordrhein-Westfalen leider erleben mussten.

Wir wissen, dass Antisemitismus als Einstellung in der Bevölkerung vorhanden ist. Das ist bei diesem Konflikt und anlässlich der Gewalteskalation im Nahen Osten aufgebrochen.

In den verschiedenen Reden ist schon deutlich geworden, dass Antisemitismus auch in un­terschiedlichen Phänomenen vorkommt. Wir reden über Antisemitismus als Einstellung in der Mitte der Gesellschaft, aber natürlich auch über israelbezogenen Antisemitismus in linken Mi­lieus und in migrantischen Milieus sowie über Antisemitismus als integralem Bestandteil des Rechtsextremismus.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns damit auch auseinandersetzen.

Ich finde es besorgniserregend, wie schnell und gewaltbereit sich der Nahostkonflikt auch hier auf Nordrhein-Westfalen ausgewirkt hat. Es lag ja kein Tag zwischen den Raketenschüssen der Hamas auf Israel und den ersten Angriffen gegen Synagogen hier in Nordrhein-Westfalen. Ich will die Diskussion, die wir im Innenausschuss dazu hatten, gar nicht wiederholen, aber doch eine kleine Anmerkung machen. Ich hätte mir erhofft, dass man aus den Erfahrungen während des Gazakrieges 2014 den Schluss gezogen hätte, dass die Polizei die Schutzmaß­nahmen hier in NRW schneller hochfahren muss. Vielleicht hätten die Angriffe auf die Syna­gogen in Bonn und in Münster damit auch verhindert werden können.

Die Polizei hat zwischen dem 10. Mai und dem 4. Juni dieses Jahres 111 antisemitische Vor­fälle in NRW verzeichnet – 111 Vorfälle in nur 25 Tagen. Das ist aus meiner Sicht eine er­schreckend hohe Anzahl von Straftaten, von Vorfällen. Das muss uns als Demokratinnen und Demokraten zu denken geben. Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich meine auch, dass wir ein genaueres Bild brauchen, welche Formen Antisemitismus aktuell annimmt, wie weit und wo er sich in welchen Formen verbreitet und welche Faktoren ihn ver­schärfen. Vor allem müssen wir das Dunkelfeld der antisemitischen Straftaten und Vorfälle aufhellen.

Seit anderthalb Jahren kündigt diese Landesregierung eine Meldestelle Antisemitismus an. Diese Meldestelle ist richtig und wichtig, weil sie das Dunkelfeld aufhellt und auch Perspekti­ven von Jüdinnen und Juden einbezieht. Aber seit anderthalb Jahren reden wir darüber. Diese Meldestelle muss jetzt endlich kommen. Wir erwarten von dieser Landesregierung, dass sie bald eingerichtet wird.

Wir brauchen im Übrigen auch zum Beispiel eine Dunkelfeldstudie Antisemitismus. Auch das wurde hier oft diskutiert. Auch das muss meines Erachtens endlich kommen.

Ja, Ihre Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, nach Angeboten im Bereich der Aus- und Fortbildung für den öffentlichen Dienst, insbesondere für Polizei und Justiz, sind absolut richtig. Dem können wir nur zustimmen. Aber es bleibt dann doch wieder ein bisschen an der Oberfläche.

Im Bereich der Polizei – das kann ich in besonderer Weise beurteilen – passiert ja schon total viel, und es wird gerade noch mehr draufgesattelt. Nach den rechtsextremen Inhalten in Chats von Polizeibeamtinnen und -beamten wird ja viel mehr gemacht. Das ist auch gut.

Aber der nächste Schritt, Frau Erwin, über den wir doch jetzt reden müssen, sind ver­pflichtende Fortbildungen. Das ist doch der Punkt. Und dahinter bleibt Ihr Antrag leider zurück. Ich finde das schade. Lassen Sie uns gerne noch einmal darüber diskutieren; denn das würde wirklich helfen. Wir haben ja schon eine gute Ausbildung. Es geht jetzt aber um die Fortbil­dung, um auch diejenigen zu erreichen, die vielleicht nicht zu freiwilligen Angeboten gehen. Lassen Sie uns also noch einmal darüber diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch den Punkt der Versammlungsbehörden finde ich gut. Ich finde es richtig, zu sagen: Wir müssen schauen, was wir versammlungsrechtlich machen können. Wo kann die Polizei oder können die Versammlungsbehörden – natürlich unter Berücksichtigung der Versammlungs­freiheit gemäß Art. 8 Grundgesetz – Auflagen anwenden? Wo müssen gegebenenfalls Ver­sammlungen auch untersagt werden?

Wir haben hier einmal den Vorschlag gemacht, dass es eigentlich so etwas wie einen Arbeits­kreis der Polizeibehörden braucht, die immer wieder mit solchen Versammlungen konfrontiert werden, damit man sich dort unter den Versammlungsbehörden austauscht, also den Polizei­behörden, die ja in Nordrhein-Westfalen zuständig sind. Das ist aber abgelehnt worden.

Im hier vorliegenden Antrag steht nun Ihre Forderung, da brauche man eine Unterstützung der Behörden. Was heißt das denn? Auch hier bleibt es leider unkonkret. Das finde ich bei so einem wichtigen Thema schade. Eigentlich müssen wir doch jetzt über ganz konkrete Maß­nahmen diskutieren.

Ich könnte noch viel sagen. Meines Erachtens müssen wir auch das Thema „Einbürgerungs­hindernisse“ diskutieren. Ich finde das total nachvollziehbar. Aber es muss juristisch so gere­gelt werden, dass es nachher auch wirklich umsetzbar ist. Denn reine Symbolpolitik bringt uns nicht weiter, sondern führt vielleicht sogar dazu, dass Ursachen für Antisemitismus bei ande­ren gesellschaftlichen Minderheiten abgeladen werden. Und das wollen wir alle nicht. Denn eines ist klar – da sind wir uns auch einig –: Antisemitismus lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen. Wir müssen beides bekämpfen und beides angehen.

Letzter Satz – ich weiß, dass meine Redezeit abgelaufen ist –: Wir werden Antisemitismus nicht allein mit sicherheitspolitischen und polizeilichen Maßnahmen bekämpfen können. Wir brauchen die Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Wir brauchen die Prävention. Wir brau­chen die Intervention. Wir brauchen aber auch insbesondere den Opferschutz. Es ist mir sehr wichtig, dass wir auch hier weiterkommen und das vorantreiben.

Lassen Sie uns also weiter die Diskussion über konkrete Maßnahmen führen – denn das ist gut und wichtig –, und lassen Sie uns gemeinsam gegen Antisemitismus vorgehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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