Verena Schäffer: „Wenn Sie dies als Gesamtstrategie bezeichnen, ist das wirklich ein schlechter Witz“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zum Thema Salafismus

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

 Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, gerade bei diesem wichtigen Thema den konstruktiven Austausch mit Ihnen zu suchen. Das habe ich anhand des Antrags der Grünen ja auch getan. Ehrlich gesagt, machen mich Ihr Antrag und diese Debatte aber einfach fassungslos und sprachlos.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wie sagte meine Mitarbeiterin so schön in der Vorbesprechung, als sie den Antrag gelesen hatte? Das ist der Diskussionsstand von 2012!
Wir sind aber im Jahr 2018 angekommen. Wir sind sechs Jahre weiter. Es gibt ganz viele Debatten und Fachbeiträge darüber. Das, was Sie in dem Antrag produziert haben, ist alles nichts Neues. Das wissen wir seit Jahren. Wir sind doch in der Diskussion eigentlich schon viel weiter. Deshalb macht mich das sprachlos.
Das einzige Thema, das in dem Antrag vielleicht neu aufgeführt wird, ist die Kindeswohlgefährdung. Darüber muss man diskutieren. Dazu komme ich später auch noch. Der Punkt ist aber, dass Sie keine einzige konkrete Antwort auf diese Frage liefern.
(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Marc Herter [SPD] und Sarah Philipp [SPD])
Sie bringen hier eine Problembeschreibung ohne Antworten ein. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das für eine Regierungskoalition sehr schwach finde.
Sie hätten es so einfach haben können. Wir haben doch einen Antrag hier eingebracht. Nach einer sehr guten Anhörung – Herr Lübke hat im Plenum im März dieses Jahres ebenfalls bestätigt, dass die Anhörung sehr gut war – bin ich auf Sie zugekommen und habe gesagt: Lassen Sie uns gemeinsam einen Entschließungsantrag stellen. Ich bin bereit, viele Teile unseres Antrags herauszustreichen; Hauptsache, wir bekommen bei diesem wichtigen Thema der Präventionsarbeit gegen Salafismus einen Konsens hin. – Nein, das wollten Sie nicht.
Stattdessen schreiben Sie weniger als drei Monate später einen dermaßen dünnen Antrag. Ich finde es beschämend, dass Sie hier nicht mehr vorlegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Panske, ich würde Sie gerne zitieren. In der Debatte im März 2018, als Sie unseren Antrag abgelehnt haben, haben Sie hier im Plenum gesagt:
„Ein intelligentes, abgestimmtes Zusammenspiel von Aufklärung, von Ermittlung von Strafverfolgung, von Prävention und verlässlicher und nachhaltiger Ausstiegshilfe orientiert an praktischer Arbeit: Genau das ist der Ansatz der CDU, und das sind die Ziele der NRW-Koalition.“
Da würde ich Ihnen sogar zustimmen. Nur: Warum schreiben Sie das nicht auch in Ihren Antrag hinein?
(Beifall von den GRÜNEN und Sarah Philipp [SPD])
Sie schreiben fett über Ihren Antrag: „Prävention und Repression … Gesamtstrategie“. Das, was Sie hier vorlegen, ist aber keine Gesamtstrategie.
Im Übrigen steht in dem Antrag auch nichts zum Thema „Repression“. Das Einzige, was darin zur Repression steht, sind die Gefährderansprachen seitens der Polizei. Die gibt es doch schon längst. Es ist Aufgabe der Polizei, Gefährderansprachen durchzuführen.
Wenn Sie dies als Gesamtstrategie bezeichnen, ist das – Entschuldigung – wirklich ein schlechter Witz.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich schwanke im Hinblick auf diesen Antrag zwischen Resignation und Fassungslosigkeit. Das tue ich auch deshalb – und deshalb rege ich mich so auf –, weil mir dieses Thema immens wichtig ist; denn wir haben eine Bedrohungslage durch den Salafismus und wissen alle, dass wir mehr Präventionsarbeit brauchen. Aber dann muss man eben auch etwas dafür tun und darf nicht solche Anträge schreiben.
Ich gehe gerne auf die einzelnen Inhalte ein, um meine Meinung zu verdeutlichen.
Zum Thema „Frauen“: Ja, es stimmt, Herr Lürbke; das ist ein wichtiges Thema. Sie sprechen es in dem Antrag sogar an. Sie reduzieren aber hier die Rolle der Frauen komplett auf die Mutterrolle und stellen sie als diejenigen dar, die für die Erziehung zuständig sind. Das stimmt auch. Aber es stimmt eben nur zum Teil.
Wir wissen, dass der Anteil der Frauen an den Gefährdern zwar nur bei 4 % liegt. Das ist total wenig. Aber an den relevanten Personen, also denjenigen, die zum Umfeld der Gefährder gehören, haben sie einen Anteil von 25 %. Jede vierte in Bezug auf die Salafisten relevante Person ist in Nordrhein-Westfalen eine Frau.
Angesichts dessen muss man sich doch Gedanken darüber machen, wie man diese Frauen ansprechen und aus der Szene herausholen kann. Es handelt sich immerhin um diejenigen, die rekrutieren und netzwerken. Also muss man doch gezielt Maßnahmen auf Frauen und Mädchen zuschneiden.
Davon ist in Ihrem Antrag überhaupt nicht die Rede. So weit denken Sie überhaupt nicht. Das finde ich fatal.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Nun zum Thema „ Kindeswohlgefährdung“: Ich finde es begrüßenswert, dass wir hier nicht darüber diskutieren, ob wir die Altersgrenze im Verfassungsschutzgesetz, ab der der Verfassungsschutz Personen beobachten darf, auf null absenken sollte. Immerhin führen wir die Diskussion darüber parallel zu dieser Debatte bereits. Ich finde es schon einmal gut, dass das in diesem Antrag nicht vorkommt und wir jetzt über die Frage der Kindeswohlgefährdung sprechen.
Wir als Grüne sehen auch, dass dahin gehend Handlungsbedarf besteht. Man muss aber wissen, dass es in Deutschland sehr schwierig ist, Kinder aus Familien herauszuholen, wenn nicht Gewalt oder Missbrauch im Spiel ist, sondern es – ich sage das wirklich in Anführungsstrichen – „nur“ um die Ideologie geht. Es hat in Deutschland historische Gründe, warum das schwierig ist.
Ich bin offen dafür, diese Diskussion zu führen. Der Punkt ist aber, dass Sie Sie lediglich eine Problembeschreibung vornehmen, ohne eine konkrete Antwort darauf zu geben. Sie sagen nur, dass wir die Jugendamtsmitarbeiter schulen müssen.
Das ist sicherlich richtig, aber was heißt das denn in Bezug auf die Kindeswohlgefährdung?
Man muss noch einen Schritt weitergehen. Es geht nicht nur um den Salafismus. Eine Frage ist zum Beispiel auch: Wie geht man mit Kindern aus rechtsextremistischen Familien um? – Auch diese Debatte führen wir seit Jahren, im Prinzip seit Jahrzehnten.
Wir führen also gern eine Diskussion darüber. Wir Grüne sind durchaus offen dafür. Man muss wissen, dass das in Deutschland schwierig ist – zu Recht. Lassen Sie uns also eine Diskussion darüber führen; aber dann lassen Sie uns auch zu konkreten Ergebnissen kommen.
Der dritte Punkt ist das Thema „Jugend und Schule“. Das sprechen Sie in Ihrem Antrag auch an; das finde ich richtig. Das ist ein wichtiges Thema, aber auch hier fehlen die konkreten Vorschläge. Das Einzige, was Sie anführen, ist die Einführung einer Taskforce an Schulen. Das ist nichts Neues. Das steht in dem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe, die vor drei oder vier Jahren von Rot-Grün gegründet wurde. Das ist also nichts Neues.
Wir haben einen eigenen Antrag vorgelegt. Ich kann Ihnen sagen: Wir haben vier ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben erstens gesagt, wir brauchen die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit und in der Jugendsozialarbeit.
Wir haben zweitens gesagt, das Thema Neosalafismus muss in der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer und andere pädagogische Fachkräfte verankert sein. Da ist beispielsweise die Schulministerin in der Pflicht.
Drittens. Wir haben gesagt, wir brauchen eine flächendeckende Sozialarbeit an den Schulen und die Qualifizierung der Fachkräfte.
Und viertens haben wir gesagt, wir brauchen Streetworker. Wir brauchen für die Jugendlichen, die in Gegenden wohnen, wo sie besonders gefährdet sind, von Salafisten angesprochen zu werden, Streetworker, die konkret auf sie zugehen.
Diese vier Punkte sind in der Anhörung von den Expertinnen und Experten bestätigt und begrüßt worden. Davon findet sich nichts in Ihrem Antrag. Auch hier sind wir in der Debatte wesentlich weiter.
(Marc Lürbke [FDP]: Das steht doch drin!)

Nein, es steht nicht drin. Es steht etwas über das Thema Taskforce drin. Ja, es stimmt, Sie haben auch etwas zu dem Thema „Wir müssen jetzt mehr Angebote machen“ geschrieben. Das ist aber etwas anderes als eine verpflichtende Verankerung in dem Fortbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer. Das ist doch ein Unterschied, Herr Lürbke.
(Beifall von der SPD – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
–  Ja, Ihnen ist immer alles zu kleinteilig. „Kleinteilig“ kann man es nennen, wenn man zwar zu Problemen konkrete Vorschläge hat, aber stattdessen irgendeine Soße auskippt – etwas, in dem nichts Konkretes steht, aber alles Mögliche angesprochen wird, ohne eine Lösung zu suchen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will es zum Schluss noch einmal sagen – ich glaube, das ist jetzt auch deutlich geworden –: Mir ist das Thema wichtig. Deshalb besteht mein Angebot und das meiner Fraktion weiterhin: Lassen Sie uns gemeinsam an dem Thema Salafismus arbeiten. Wir haben viel Streit, was Repression und polizeiliche Befugnisse angeht. Es ist auch richtig, diesen Streit auszutragen und die politische Diskussion darüber zu führen. Aber lassen Sie uns im Sinne der Sache doch wenigstens bei dem Punkt Präventionsarbeit versuchen, zusammenzukommen; denn es ist wichtig für die Sicherheit der Menschen in diesem Land, dass wir gemeinsam an diesen Themen arbeiten.
Noch einmal das Angebot – auch von mir –: Setzen wir uns zusammen und lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir weitergehen und gemeinsam zu einer Gesamtstrategie kommen können, die auch wir wollen. Ich glaube, damit wäre vieles gewonnen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Innenpolitik