Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! An einem Freitagabend im August: mit Freunden treffen, Spaß haben, Musik hören. Solingen wollte den Geburtstag der Stadt mit dem Festival der Vielfalt feiern. Dass ausgerechnet dieses Festival der Vielfalt als ein Ort der Begegnung und des Zusammenhalts zu einem Ort eines furchtbaren Terroranschlags geworden ist, ist einfach entsetzlich.
Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen der Ermordeten. Ich schließe mich den Genesungswünschen an die Verletzten ausdrücklich an, und ich bin den vielen helfenden Händen für ihren Einsatz sehr dankbar.
Nordrhein-Westfalen ist ein Land des Zusammenhalts und der Vielfalt. Das muss und das wird auch so bleiben. Wir werden unsere Demokratie und unsere freiheitliche Art zu leben, zu glauben, zu lieben und zu feiern immer verteidigen. Wir müssen deshalb mit aller Härte des Rechtsstaats gegen den Islamismus vorgehen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und Henning Höne [FDP] – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir müssen die Hintergründe der furchtbaren Tat von Solingen gründlich aufarbeiten. Es stellen sich eine Reihe von innen- und asylpolitischen Fragen: Wann und wie hat sich der Täter radikalisiert? Wer hätte diese Radikalisierung mitbekommen müssen? Warum gab es keine Rücküberstellung nach Bulgarien? Welche Schnittstellen zwischen den am Asylverfahren beteiligten Behörden müssen geändert werden? Die Menschen in unserem Land erwarten zu Recht Antworten auf diese Fragen, und auch wir tun das.
Die Landesregierung arbeitet seit der Festnahme des Täters intensiv daran, die Hintergründe der Tat aufzuklären – erste Antworten haben wir bereits bekommen –, und dabei ist es doch selbstverständlich, dass man Informationen mit den zuständigen Behörden abgleicht.
Der asylrechtliche Weg wurde gestern von der Ministerin in der Sondersitzung im Detail dargestellt. Man bekam allerdings schon bei den ersten Wortmeldungen im Ausschuss den Eindruck, dass es einigen Abgeordneten der Opposition nicht um die Aufklärung in der Sache geht, sondern einzig und allein um die Schlagzeile. So kann man arbeiten, nur glaube ich, dass die Bürgerinnen und Bürger etwas anderes von uns erwarten. Sie erwarten, dass wir im Parlament uns ernsthaft, sachlich und intensiv mit den Hintergründen der Tat auseinandersetzen.
Deshalb wollen wir gemeinsam mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP, zeitnah einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen. Wir wollen Konsequenzen aus dem furchtbaren Anschlag von Solingen ziehen, die effektiv zur Sicherheit unserer Bevölkerung beitragen. Das sind wir den Opfern und den Menschen in Solingen schuldig.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Die Frage, warum die geplante Rücküberstellung nach Bulgarien nicht funktioniert hat, ist wichtig. Über den Ablauf des Rücküberstellungsverfahrens hat die Ministerin gestern im Ausschuss ausführlich berichtet. Dabei müssen wir eines immer berücksichtigen: Zum damaligen Zeitpunkt waren dem zuständigen Ministerium und den Ausländerbehörden keine sicherheitsrelevanten Informationen zu dem Tatverdächtigen bekannt. Er konnte deshalb nicht als Gefährder eingestuft werden, sonst hätte man anders handeln können. Das ist aus heutiger Perspektive eine schreckliche Erkenntnis.
Zu den Fakten gehört auch, dass die aktuelle Dublin-Regelung seit ihrer Einführung nicht funktioniert, weil sie Lasten in Europa ungerecht verteilt. Sie ist ungerecht, weil sie zu keiner fairen Verteilung der Asylsuchenden auf die europäischen Mitgliedstaaten führt. Die Folge ist, dass aufnehmende Länder die Regelungen so restriktiv definieren, dass man faktisch kaum dorthin rücküberführen kann.
Konkret für Bulgarien heißt das: Rücküberstellungen waren zum damaligen Zeitpunkt nur von Montag bis Donnerstag in der Zeit zwischen 9 und 14 Uhr möglich, es gab keine Möglichkeit der Landüberstellung und nur zehn mögliche Abschiebungen pro Tag für alle 16 Bundesländer. Angesichts dessen ist doch klar, dass es zu wenige Flüge für zu viele Menschen sind, die überstellt werden müssen. Es ist offensichtlich ein System, das zum Scheitern verurteilt ist.
Auch das neue System GEAS ist nur ein minimaler Einstieg in ein europäisches Verteilsystem.
Was ganz Europa bei der Verteilung von Geflüchteten über Jahre nicht hinbekommt, kann man einer nordrhein-westfälischen Ministerin wohl kaum zum Vorwurf machen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Henning Höne, die NRW-Landesregierung ist nicht erst nach Solingen tätig geworden, um die Verfahren bei den Rückführungen zu optimieren. Auf der letzten IMK wurde der Bund aufgefordert, bei den Dublin-Überstellungen tätig zu werden. Wir haben das Rückführungsmanagement in Nordrhein-Westfalen verbessert. Unter anderem stellen wir den Zentralen Ausländerbehörden deutlich mehr Mittel zur Verfügung.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden. In unserem Zuständigkeitsbereich dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe, und das tun wir in Nordrhein-Westfalen auch im Bereich der Asylverfahren.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Es ist richtig, dass wir diese Fragen zum Thema „Migration und Asyl“ angehen, doch das allein löst das Problem des islamistischen Terrorismus nicht. Der sogenannte Islamische Staat rekrutiert unter Geflüchteten, aber auch bei Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Der IS hat in den 2010er-Jahren massiv von Ausreisen und der Unterstützung aus europäischen Ländern, auch aus Deutschland, profitiert.
Demokratiefeindliche und menschenverachtende Ideologien machen an Grenzen nicht halt. Wir sprechen über ein globales Problem. Deshalb muss der islamistische Terrorismus auch international bekämpft werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Die Gefahr durch den Islamismus ist seit Jahren groß. Die Behörden warnen seit Jahren davor, und sie sind auch in Nordrhein-Westfalen wachsam.
Der Terrorismusforscher Peter Neumann spricht von sieben vollzogenen und von 22 verhinderten islamistischen Anschlägen in den letzten sieben Monaten in Europa.
Das Ziel des IS ist es nicht mehr, ein eigenes Staatsgebiet zu schaffen, sondern Angst und Terror in Europa zu verbreiten. Deshalb müssen wir den Ermittlungsdruck auf islamistische Netzwerke weiter erhöhen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir müssen dagegen vorgehen, dass Islamisten auf TikTok unverhohlen und ungehindert radikalisieren und rekrutieren. Es geht darum, unsere liberale Gesellschaft zu verteidigen, und das werden wir auch tun.
Ein großes Mobilisierungsthema des IS ist der terroristische Anschlag der Hamas auf Israel und der darauffolgende Krieg in Gaza. Der Krieg im Nahen Osten lässt niemanden kalt. Wir haben hier schon oft über das große Leid der Menschen in Israel und in Gaza gesprochen.
Dass der IS versucht, diese hohe Emotionalität zu instrumentalisieren, ist widerwärtig, es ist perfide, und es zeigt, dass der Antisemitismus neben Frauenverachtung und Homo- und Transfeindlichkeit ein ideologischer Wesenskern des Islamismus ist.
Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Wir lassen uns unsere Solidarität mit den Menschen in Israel und der Zivilbevölkerung in Gaza nicht nehmen. Wir lassen uns die Religionsfreiheit, den Minderheitenschutz und die gleichen Rechte für alle Menschen in unserem Land nicht nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Der Islamismus ist leider kein neues Phänomen für Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier schon vor zehn Jahren als bundesweiter Vorreiter Strukturen geschaffen, um bei bereits erfolgter Radikalisierung zu intervenieren. Wir haben in den vergangenen Jahren in den unterschiedlichen Regierungskonstellationen die Sicherheitsgesetze mit Blick auf den Terrorismus nachjustiert. Wir haben deutlich mehr in die Sicherheitsbehörden investiert. Wir stellen so viele Polizeibeamtinnen und -beamte ein wie noch nie.
Und obwohl wir bereits viel machen, werden wir unsere Anstrengungen weiter intensivieren. Denn unser Ziel ist, dass alle Menschen in Nordrhein-Westfalen sicher sind – bei einem Taylor-Swift-Konzert, beim Besuch einer Synagoge, beim CSD und an jedem anderen Ort in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Welche Folgen menschenverachtende Ideologien haben, haben die Menschen in Solingen sehr schmerzlich erleben müssen. Aus menschenverachtenden und hasserfüllten Worten werden Taten. Der rechtsextreme Brandanschlag von 1993 hat uns das sehr deutlich gezeigt. Es ist so furchtbar, dass gerade diese Stadt Solingen jetzt wieder einen so schweren menschenverachtenden Anschlag erleiden musste.
Ich wünsche den Menschen in Solingen und insbesondere allen Verletzten und den Angehörigen der Opfer viel Kraft. In schweren Zeiten stehen wir in Nordrhein-Westfalen zusammen, und wir werden unsere Demokratie gemeinsam verteidigen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)