Verena Schäffer: „Sie verkünden den Tag der Freiheit, während in Kitas und in Schulen immer noch das Virus tobt“

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in dieser Pandemie immer wieder schmerzhaft erleben müssen, dass das Coronavirus seinen eigenen Regeln folgt.

Das Virus interessiert sich nicht für Machtworte von CDU-Ministerpräsidenten, und es interessiert sich auch nicht dafür, dass die FDP die Pandemie regelmäßig für beendet erklärt.

Das Virus hält sich nicht an Daten, und deshalb ist die Beschlussvorlage für die Ministerpräsidentenkonferenz auch nicht sonderlich klug. Stufenpläne sind im Grundsatz gut – aber doch nach messbaren Kriterien und nicht nach dem Datum, das der FDP in den Wahlkampfkalender passt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Grundregeln des Virus sollten wir inzwischen eigentlich alle beherrschen: Es breitet sich dort aus, wo viele Menschen zusammenkommen, wo keine Maske getragen wird und wo schlecht gelüftet wird, und die Verbreitung des Coronavirus erfolgt exponentiell.

Deshalb war es vor einem Jahr keine gute Idee, in den Beginn der dritten Welle hinein zu öffnen. Deshalb wäre es auch jetzt keine gute Idee, auf Druck der FDP zu schnell zu viele Vorsichtsmaßnahmen zu kippen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Beim Versammlungsgesetz oder auch beim Polizeigesetz hinterfragte weit und breit niemand in der NRW-FDP, ob die Grundrechtseingriffe überhaupt noch verhältnismäßig sind. Wenn Vorsitzender Stamp nun …

(Marc Lürbke [FDP]: Das ist aber ein Scherz! Das habe ich anders in Erinnerung!)

– Da habe ich offenbar jemanden getroffen, Herr Lürbke.

(Marc Lürbke [FDP]: Nein! Das ist einfach Quatsch! – Glocke)

Wenn Vorsitzender Joachim Stamp nun Schutzmaßnahmen für die gesundheitlich Schwächsten in unserer Gesellschaft als Freiheitsverbote deklariert, dann ist das gefährlicher Populismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das zeigt, dass sich die FDP von gesellschaftlicher Solidarität entfernt hat. Es ist so offensichtlich, welche Wählergruppen die FDP mit dieser Kampagne ansprechen will. Solch ein Populismus ist ein offenes Spiel mit dem Feuer. Mich macht das wirklich fassungslos, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall von den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Jetzt machen eher Sie mich fassungslos! – Ralf Witzel [FDP]: Peinlich!)

Die vielbeschworene Ehe zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen steckt inzwischen in einer tiefen Krise. Man hat das bei den Reden von Herrn Löttgen und Herrn Wüst gerade wieder gesehen, und man hat gesehen, wer eigentlich wo klatscht. Darüber können auch Ihre Liebesschwüre nicht hinwegtäuschen.

Verlässlich scheint weder die Beziehung zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen noch die Beziehung innerhalb der CDU-Familie. Inzwischen interessiert es weder die FDP noch die anderen CDU-Ministerpräsidenten, was die MPK unter dem Vorsitz von Hendrik Wüst als gemeinsame Maßnahmen beschlossen hat. Herr Löttgen, es war bezeichnend, dass Sie gerade noch mal dazu aufgefordert haben, dass die MPK-Maßnahmen und -Beschlüsse dann auch tatsächlich einheitlich umgesetzt werden.

Die Weigerung von Markus Söder zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist aus meiner Sicht ein weiterer Tiefpunkt einer wahltaktisch geführten Diskussion. Die Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht wurde mit den Stimmen der CDU-Bundestagfraktion beschlossen und auch einstimmig im Bundesrat getroffen.

Aber viel schlimmer ist ja noch, wenn ein Ministerpräsident ernsthaft meint und dies auch angekündigt, sich über geltendes Recht hinwegsetzen zu können. Er stellt damit rechtsstaatliche Grundprinzipien und auch das föderale System infrage.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Herr Wüst, da erwarte ich von Ihnen schon, dass Sie in Ihrer Funktion als Vorsitzender der MPK klare Worte finden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bislang sind Sie dieser Führungsfunktion nicht gerecht geworden und konnten die MPK eben nicht beisammenhalten. Das zeigen insbesondere das problematische Rechtsstaatsverständnis und das Gebaren von Markus Söder, dem Sie als MPK-Vorsitzender nichts entgegengesetzt haben.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Sorgen Sie also dafür, dass sich die CDU-Ministerpräsidenten an Recht und Gesetz halten. Sorgen Sie für Klarheit in der CDU zur Impfpflicht. Wir brauchen dringend eine Erhöhung der Impfquote, um gut durch den nächsten Herbst und Winter zu kommen. Wenn die Impfpflicht nicht kommt, werden wir im Herbst – das ist absehbar, liebe Kolleginnen und Kollegen – der Lage wieder hinterherlaufen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Wüst, ich lese meinen Kindern gerne abends noch etwas vor, und ich muss sagen: Sie erinnern mich an den Scheinriesen von Michael Ende. Herr Wüst, Sie sind so ein politischer Scheinriese.

(Zuruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

In Berlin wirken Sie immer riesengroß bei den Pressekonferenzen nach der Ministerpräsidentenkonferenz, aber hier, in Düsseldorf, werden Sie mit jedem Tag im Amt als Ministerpräsident kleiner und kleiner.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Wunsch nach Lockerungen, nach mehr Normalität ist ja absolut nachvollziehbar. Für Lockerungen wäre auch aus meiner Sicht ein konkreter Stufenplan mit verlässlichen Kriterien genau der richtige Weg – und eben nicht der Terminkalender der FDP.

Die Inzidenzwerte, die wir uns aktuell tagtäglich anschauen, sind schon lange nicht mehr aussagekräftig. Deshalb ist hier auch Vorsicht geboten. Wir brauchen die tagesaktuellen Daten der Hospitalisierungsrate, der Intensivneuaufnahmen und der Intensivbelegung. Das sagt auch der Expertenrat in seiner Stellungnahme sehr deutlich.

Herr Ministerpräsident Wüst, es ist Ihre Verantwortung, für Orientierung, eine klare Kommunikation und Verlässlichkeit im politischen Handeln zu sorgen, damit es eben nicht das Hin und Her gibt, das Sie vorhin selbst angesprochen haben. Die Politik ist in der Verantwortung, eine verlässliche Perspektive auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu schaffen, anstatt sich einmal mehr in Kraftmeierei und Ankündigungsrhetorik selbst zu überbieten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Politik würde auch bedeuten, endlich die FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Dann kann man aus meiner Sicht auch auf die 2G-Regel im Einzelhandel verzichten. Aber auch hier herrscht mal wieder das größtmögliche Chaos in Nordrhein-Westfalen: keine FFP2-Maskenpflicht, dafür aber stichprobenartige 2G-Kontrollen im Einzelhandel. Das ist derart unlogisch und auch infektionstechnisch unwirksam, dass Sie damit das Vertrauen der Menschen in den Staat und in die Pandemiebekämpfung verspielen, das wir aber so dringend brauchen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die FDP will gleich alle Maßnahmen abschaffen und auch § 28a des IfSG ab dem 20. März nicht mehr weiterführen.

(Zurufe von der AfD)

Sie verkünden den Tag der Freiheit, während in Kitas und in Schulen immer noch das Virus tobt.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Tobt! – Helmut Seifen [AfD]: Lächerlich! – Weitere Zurufe – Glocke)

Es gibt kaum eine Familie – ich zumindest kenne in meinem Umfeld keine Familie –, in der es nicht schon positive Fälle, Quarantäne oder zumindest einen positiven PCR-Pool in der Kita oder in der Klasse gegeben hätte.

(Zurufe von der FDP)

Nachdem Frau Gebauer vorletzte Woche das Testregime in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geändert hat, ist die Teststrategie der Landesregierung in den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen ebenfalls nur noch ein einziges Chaos.

Wir haben es so oft angemahnt und alle gemeinsam so oft beteuert, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche endlich wieder in den Fokus zu nehmen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Unsägliche Rede!)

Wenn wir über Lockerungen sprechen …

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Ja, Herr Hafke, ich hoffe, wir sind einer Meinung, dass wir Kinder und Jugendliche in den Fokus nehmen müssen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ja, aber keine Panikmache! Sie machen nur Panik!)

– Herr Brockes, vielleicht hören Sie erst mal zu.

(Zurufe von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Vielleicht spricht gleich ja auch Herr Brockes!)

– Es scheint, die FDP ist sehr getroffen. Man merkt es. Vielleicht führen Sie mal ein paar interne Klärungen herbei. Dann sprechen Sie vielleicht auch noch einmal über Ihre unsägliche FDP-Wahlkampagne, aber vielleicht nicht jetzt.

(Ralf Witzel [FDP]: Dummes Zeug! – Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke)

Ich bin sehr auf die Rede von Herrn Rasche gleich gespannt. Ich freue mich. Sie werden gleich noch das Wort haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie verbreiten doch Populismus und Angst! – Fortgesetzt Zurufe von der FDP)

Aber ich hoffe, dass wir dabei bleiben, dass …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schäffer, einen kleinen Moment.

Verena Schäffer (GRÜNE): … wir einen politischen Konsens darüber haben,

(Ralf Witzel [FDP]: So ein Blödsinn!)

dass es in dieser Pandemie natürlich immer auch um die Kinder und Jugendlichen geht.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Wenn wir darüber sprechen, welche Lockerungen möglich sind, müssen wir auch darüber sprechen, was das ganz konkret für Kinder und Jugendliche heißt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich sagen Ihnen sehr ruhig und auch durchaus nachdenklich: Ich persönlich finde es schwierig, wenn Erwachsene in Clubs und Diskos feiern – womöglich ohne Maske; ich weiß nicht, was genau geplant ist –,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP]: Sie wissen eben gar nichts! Das ist Ihr Problem)

wir gleichzeitig aber überdurchschnittlich hohe Inzidenzen in den Kitas und Schulen haben und das Infektionsgeschehen immer wieder zu Quarantänen und Schließungen führt.

Das ist erst mal Fakt. Ich finde, das muss man wenigstens anerkennen, in Betracht ziehen und abwägen. Herr Hafke, dass Sie als kinder- und jugendpolitischer Sprecher dabei den Kopf schütteln,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

finde ich mehr als irritierend, um das auch einmal so klar zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD –Marcel Hafke [FDP]: Unsäglich!)

Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Eine hohe Impfquote ist der entscheidende Faktor, wenn es um den Schutz vulnerabler Gruppen und auch um den Schutz der kritischen Infrastruktur geht. Aber die Impfkampagne Nordrhein-Westfalen wird immer mehr zum Rohrkrepierer und kann offenbar auch nicht mehr aufbieten als einen singenden Familienminister.

(Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke)

Die Anzahl der Erst- und Zweitimpfungen stagniert seit Wochen nahezu. Auch hier reicht der Verweis auf den Bund einfach nicht aus. Für das Impfen sind die Länder zuständig.

Absolut notwendig wären Aufklärungskampagnen, die ohne erhobenen Zeigefinger über die Vorteile der Impfung informieren, genauso wie bessere Daten für die Kommunen, in welchen Stadtteilen die Impfquote niedrig ist und wo aufsuchende Impfangebote helfen würden. Das wäre total hilfreich. Aber nichts davon liefert die Landesregierung.

Sie hoffen mal wieder auf den nächsten Sommer und wiederholen immer und immer wieder alte Fehler. Das ist einfach falsch. Ich glaube, die Menschen erwarten zu Recht von uns, dass wir nicht nur darauf gucken was bis zum 19. März passiert.

Ich habe vorhin das IfSG angesprochen, das dann ausläuft. Ich bin gespannt, was in Berlin verhandelt wird. Dass es komplett ausläuft, wäre aus meiner Sicht verantwortungslos. Wir brauchen weiterhin Maßnahmen wie zum Beispiel Abstandsgebote und die Maskenpflicht. Das muss aus meiner Sicht kommen und in Berlin auch weitergeführt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])

Die Menschen erwarten aber eben auch, dass wir eine vorsorgende Politik betreiben und nicht nur schauen, was bis zum 20. März, sondern auch danach, mit Blick auf den nächsten Herbst und Winter passiert. Genau diese vorausschauende Politik brauchen wir jetzt. Das erwarten die Menschen zu Recht von der Politik. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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