Verena Schäffer: „Sie können auch einen Beitrag dazu leisten, ein schlechtes Strafgesetz aus der Welt zu schaffen“

GRÜNEN-Antrag zum Schwarzfahren

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tja, da dachte ich, wir hätten mit unserem Antrag so viele schöne Brücken gebaut, Herr Biesenbach, indem wir Sie in diesem Vorhaben unterstützen, und dann lese ich den Entschließungsantrag von CDU und FDP, und siehe da, beide befinden sich offenbar noch im Wahlkampf.
Ich finde es sehr schade, dass Sie hier wieder Unterstellungen verbreiten, von verfehlter Personalpolitik und mangelnder Wertschätzung reden, davon, wir hätten bei Polizei und Justiz nicht genügend eingestellt. Ich würde Sie doch noch einmal bitten, sich die Zahlen anzuschauen, wie viel wir gerade im Bereich der Polizei in den letzten Jahren gemacht und wie viele Personen wir eingestellt haben. Wir hatten es erst in der letzten Innenausschusssitzung noch einmal thematisiert, Herr Lürbke. Sie kennen ja auch die Zahlen.
Ich will aber auch betreffend die Justiz darauf hinweisen, dass wir im Rahmen des 15-Punkte-Plans 300 Stellen in der Justiz geschaffen haben, aber auch im Nachtrag 2016 und im Haushaltsplan 2017. Hier sind enorm viele Stellen im Bereich der Justiz geschaffen worden. Es ist gut, dass wir das so gemacht haben. Das erleichtert Ihnen einen guten Start in die Regierung.
Ich finde es auch ehrlich gesagt ein bisschen … – na ja, wie soll ich es jetzt bezeichnen? Ich verzichte mal lieber auf eine Bezeichnung. Aber wenn Sie in der Beschlussfassung schreiben, die Landesregierung solle Vorschläge unterbreiten, in welchen Feldern Justiz und Polizei entlastet werden sollten, will ich nicht unerwähnt lassen, dass wir das Thema in der letzten Legislatur angegangen sind. Gerade zum Bereich Polizei haben wir die entsprechenden Gutachten und die Expertenkommission auf den Weg gebracht. Die haben eine Menge Vorschläge erarbeitet, die meistens von CDU und FDP zerrissen wurden. Lustigerweise tauchen diese in Ihrem Entschließungsantrag wieder auf. Ihre Argumentationslinie ist nicht ganz kohärent. Aber das nur so nebenbei.
Wenn man die Aussagen nebeneinanderlegt, dann wird es wirklich lustig. Aber ich verzichte darauf, im Einzelnen darauf einzugehen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Schäffer, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Lürbke würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ja, sehr gerne, von Herrn Lürbke immer gern.
Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Ich bin gerade stutzig geworden, denn Sie haben angesprochen, dass unter Rot-Grün verschiedene Maßnahmen – Expertenkommission, Vorschläge – erarbeitet worden sind. Das will ich nicht in Abrede stellen, auch wenn die nicht von der CDU und der FDP zerrissen worden sind. Aber die Frage ist: Welche dieser Vorschläge sind denn von Rot-Grün konkret umgesetzt worden?
Verena Schäffer (GRÜNE): Was wir umgesetzt und eingeleitet haben, ist ein Pilotprojekt in Sachen Schwerlasttransporte.
(Marc Lürbke [FDP]: Ach!)
Das müssten Sie eigentlich wissen; das ist ja schon in der letzten Legislatur angestoßen worden.
Eingehen will ich auf den Punkt „Verkehrsunfälle“ und die Frage: Muss die Polizei bei Verkehrsunfällen ohne Personenschaden kommen? Eigentlich nein. Die Polizei muss eigentlich nicht kommen, denn das ist eine reine Frage der Versicherung. Die Polizei hat da überhaupt nichts zu regeln. Dies wurde als eine Anregung von der Expertenkommission vorgeschlagen, und diesen Vorschlag fanden wir auch sinnvoll. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er von Kollegen – es mögen ja keine von der FDP gewesen sein, aber von der CDU – kritisiert wurde. Und jetzt taucht er hier wieder auf. Das finde ich ganz spannend, wie die Argumentationen nicht ganz schlüssig sind und man jetzt plötzlich Sachen für gut befindet, die man in der letzten Legislatur noch abgelehnt hat.
(Widerspruch von der FDP – Beifall von den GRÜNEN)
Ich würde jetzt aber ganz gerne auf den eigentlichen Antrag und damit auf das Schwarzfahren zu sprechen kommen. Insofern hat Herr Biesenbach ja einen Vorstoß gewagt, den ich unterstützen kann. Ich finde, es kann nicht sein, dass Menschen – aus welchen Gründen auch immer – eine Anklage vor Gericht droht, weil sie vielleicht zwei-, dreimal eben nicht die 2 € für einen Kurzstreckenfahrschein bezahlt haben. Von daher ist es gut, Herr Biesenbach, dass Sie es angesprochen haben.
Das Thema wird wirklich seit Jahrzehnten diskutiert. Ich habe einen von meinen Kollegen Volker Beck 1995 in den Deutschen Bundestag eingebrachten Antrag genau zu diesem Thema mitgebracht. Es ist wirklich schade, dass sich in diesen vielen Jahren nichts getan hat. Umso besser, dass jetzt ein konservativer Justizminister darauf einschwenkt und diese Forderung, diese urgrüne Forderung unterstützen möchte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein Argument ist ja immer, dass man eine Entlastung der Justiz erreichen könnte. Das wäre schon ein Gewinn an sich. Aber es ist nicht nur die Frage der Entlastung der Justiz, sondern es ist auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Strafe bei einem Delikt, das nur wenig krimineller Energie bedarf, zumal es beim Schwarzfahren wirklich unterschiedliche Gründe gibt oder geben kann. Es können finanzielle Gründe sein – dann müssten wir über sozialpolitische Maßnahmen reden. Es kann aber auch schlicht sein, dass Menschen sich in dem Tarifdschungel nicht zurechtfinden und völlig ohne Vorsatz ein öffentliches Verkehrsmittel ohne Fahrschein benutzen. Und wenn das nur einmal passiert, ist das ja nicht so schlimm. Aber wenn es mehrfach passiert, dann steht diese Person eben vor Gericht.
Es ist auch eine Frage des Umgangs mit Jugendlichen ab 14 Jahren, die sich vor Gericht wiederfinden. Ist das der richtige Umgang unserer Gesellschaft mit Jugendlichen ab 14 Jahren, wenn sie sich aufgrund von Schwarzfahren vor Gericht wiederfinden? Ich finde, das ist er nicht, sondern man muss über die Verhältnismäßigkeit sprechen. Es wird als Gegenargument immer angeführt, der Verzicht auf eine Strafbarkeit des Schwarzfahrens sei geradezu eine Ermutigung, schwarzzufahren. Das halte ich ehrlich gesagt für ziemlich realitätsfern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Punkt ist doch, dass kaum jemand in unserer Gesellschaft weiß, dass Schwarzfahren überhaupt strafbar ist. Abschreckend ist das sogenannte erhöhte Beförderungsentgelt von 60 €. Das schreckt womöglich ab, aber doch nicht der Straftatbestand, weil der in der Regel überhaupt nicht bekannt ist.
Ich würde gerne einen Journalisten von der „Frankfurter Rundschau“ zitieren – das ist Christian Bommarius –, der in einem Kommentar gesagt hat: „Mit schlechten Strafgesetzen verhält es sich wie mit Vorurteilen. Erst einmal entstanden, sind sie kaum mehr aus der Welt zu schaffen.“
Und Sie, Herr Biesenbach, und liebe Kollegen von CDU und FDP, können heute einen Beitrag dazu leisten, zumindest einen Teil meiner Vorurteile gegen Schwarz-Gelb aus der Welt zu schaffen, aber Sie können auch einen Beitrag dazu leisten, ein schlechtes Strafgesetz aus der Welt zu schaffen. Wir würden Sie dabei unterstützen, Herr Biesenbach.
Vielleicht geben Sie sich doch noch einen Ruck – auch wenn das nun von der Opposition kommt. Wir unterstützen letztendlich ja auch nur den Minister. Stimmen Sie unserem Antrag bitte zu. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)

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