Verena Schäffer: „Sie haben sich vor den Entscheidungen gedrückt – das geht zulasten der Menschen im Revier“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur Braunkohle-Leitentscheidung 2021

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Leitentscheidung ist ein Dokument der verpassten Chancen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ach!)

Sie ist eine herbe Enttäuschung für die Bewohnerinnen und Bewohner der Dörfer, und sie ist ein Rückschlag für den Klima- und Umweltschutz.

(Beifall von den GRÜNEN –Josef Hovenjürgen [CDU]: Leitentscheidung 16, Frau Schäffer!)

Herr Laschet, Sie lassen die Bewohnerinnen und Bewohner der Dörfer allein; Sie verschieben die Entscheidung über die Dörfer in das Jahr 2026. Deshalb ist schon heute klar,

(Zurufe von der CDU und der FDP)

dass diese Leitentscheidung diejenige

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Glocke)

mit der kürzesten Geltungsdauer sein wird, denn es wird eine weitere Leitentscheidung geben müssen. Wir Grüne werden alles dafür tun, dass diese neue Leitentscheidung die Dörfer und den Hambacher Wald erhält, den Menschen ihre Heimat sichert und die Pariser Klimaziele umsetzt.

(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU] und Jörn Freynick [FDP]: 2016!)

– Ja, 2016 war das mit den Pariser Klimazielen noch in weiter Ferne; das nur mal so.

(Henning Rehbaum [CDU]: Was? – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Die Kohlekommission hatte an die Landesregierung einen ganz klaren Auftrag formuliert.

(Unruhe)

– Vielleicht beruhigen Sie sich mal ein bisschen. – In dem Abschlussbericht heißt es:

„Darüber hinaus bittet die Kommission die Landesregierungen, mit den Betroffenen vor Ort in einen Dialog um die Umsiedlungen zu treten,“

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

„um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden.“

Diesem Dialog mit den Menschen in den Dörfern haben Sie sich verweigert.

(Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Ja!)

Diese Leitentscheidung bietet weder eine Perspektive noch eine Chance für die Dörfer;

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

denn die Leitentscheidung sagt ganz klar, dass die Dörfer im Jahr 2028 abgebaggert werden sollen.

Die von Ihnen genannte Option für die Überprüfung im Jahr 2026 ist keine Entscheidung für den Erhalt der Dörfer. Sie ist nichts weiter als ein Hinhalten, und das bedeutet fünf weitere Jahre Unsicherheit für die Bewohnerinnen und Bewohner – fünf zermürbende Jahre, in denen die Menschen nicht wissen, ob sie wegziehen sollen oder ob sie bleiben dürfen. Diese fünf Jahre dürfen keine Jahre werden, in denen RWE in Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath Häuser abbaggert und Bäume fällt und damit Fakten schafft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Laschet, wir haben Sie mehrfach dazu aufgefordert, und ich finde, Sie müssen wenigstens jetzt dafür sorgen, dass es ein Moratorium für die Dörfer gibt.

(Zuruf von der CDU: Warum?)

Während die Landesregierung keine Entscheidung über die Zukunft der Dörfer trifft,

(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist ein Moratorium!)

werden wieder einmal Gerichte darüber urteilen müssen, ob die Enteignungen rechtlich noch begründbar sind

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

oder ob die Menschen in den Dörfern bleiben können.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)

Schon 2018 hat diese Landesregierung die politische Entscheidung über den Erhalt des Hambacher Waldes auf die Gerichte abgewälzt;

(Zuruf von der FDP – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

denn es war letztendlich das OVG Münster, das den Rodungsstopp verhängt hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2013 sehr deutlich gemacht, dass eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden kann. Dies kann im Jahr 2021 für das Abbaggern von Dörfern berechtigt hinterfragt werden.

Herr Laschet, Sie haben nie ernsthaft versucht, den sozialen Frieden in der Region herzustellen. Sie sind zwar einmal ins Rheinische Revier gefahren,

(Zurufe: Oh! – Weiterer Zuruf von der FDP – Glocke)

Sie haben vor Ort mit den Menschen gesprochen,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

aber Sie haben den Menschen auch versprochen, mit ihnen im Dialog zu bleiben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie tragen Verantwortung, Frau Schäffer!)

Auch die von Ihnen, Herr Pinkwart, gerade angesprochene und

(Henning Rehbaum [CDU]: Das war Ihre Leitentscheidung!)

so gelobte Beteiligung wurde von den Menschen vor Ort ganz anders empfunden. Letztlich wurden nicht die Interessen

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

der Menschen berücksichtigt, sondern die Interessen von RWE. Das ist für die Menschen vor Ort, die um ihre Heimat bangen, wirklich bitter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Leitentscheidung ist auch ein harter Schlag gegen den Klimaschutz; denn diese Leitentscheidung zementiert das Jahr 2038 als das Ende des Braunkohleabbaus. Dabei wissen wir schon heute, dass die im Dezember 2020 – also vor ungefähr vier Monaten –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das haben Sie 2016 beschlossen!)

geänderten Klimaziele der EU ohne einen früheren Kohleausstieg überhaupt nicht zu erreichen sind, Herr Hovenjürgen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Da gab es die Pariser Beschlüsse schon!)

Der Abbau der Braunkohle im Rheinischen Revier muss bis zum Jahr 2030 enden. Das sollten auch Sie, Herr Laschet,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

als Aspirant für die Bundeskanzlerkandidatur der CDU eigentlich wissen.

Was die Landesregierung weiterhin schuldig bleibt, sind eigene Untersuchungen zu noch benötigten und klimapolitisch verantwortbaren Braunkohlemengen. Die Frage ist doch nicht: „Wie viel Kohle ist noch möglich?“, sondern die Frage lautet: „Wie viel ist noch notwendig?“ Es reicht weder aus, die Wünsche von RWE ungeprüft zu übernehmen, noch reicht es aus, sich alleine auf das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz zu beziehen.

Ein Gutachten der Grünen-Bundestagsfraktion kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass es keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gibt, die energiepolitische Notwendigkeit allein für einen einzelnen Tagebau zu treffen; ich spreche hier § 48 des KVBG an. Sie hätten die Notwendigkeit für den Braunkohleabbau hier Nordrhein-Westfalen untersuchen und darlegen müssen. Das sind Sie schuldig geblieben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schon das von Peter Altmaier zurückgehaltene Gutachten vom November 2019 kam zu dem Ergebnis, dass die Dörfer nicht mehr abgebaggert werden müssen, wenn man sich an die Empfehlung der Kohlekommission hält.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dass Sie keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, die Dörfer zu retten, ist aus unserer Sicht fatal für den Klimaschutz und insbesondere für den gesellschaftlichen Frieden. Herr Laschet, Sie hätten die Chance gehabt, in der Region zu moderieren und parteiübergreifend einen Kompromiss zu suchen, damit diese Leitentscheidung wirklich die letzte Leitentscheidung ist. Das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie haben sich vor den Entscheidungen gedrückt. Das geht zulasten der Menschen im Revier. Aus unserer Sicht ist das unverantwortlich. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Hochnotpeinlich, wenn man die Leitentscheidung 2016 selbst mitgetragen hat!)

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