Verena Schäffer: „Selbstverständlich ist nicht jeder Mann ein Täter, aber fast jede Frau erlebt sexuelle Belästigungen“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag zur Strafbarkeit voyeuristischer Aufnahmen

Portrait Verena Schäffer 8-2025

Der Antrag „Digitale Grenzüberschreitungen konsequent ahnden – NRW treibt die Strafbarkeit voyeuristischer Aufnahmen voran“

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mädchen, jede Frau lernt, dunkle Straßen und Plätze zu meiden, das Glas in der Disco immer fest im Blick zu behalten, den Heimweg besser ohne Musik auf den Ohren zu gehen, um mögliche Schritte hinter sich hören zu können. Dass Mädchen und Frauen für ihre Sicherheit selbst verantwortlich sein sollen, ist ungerecht und unhaltbar. Wir haben das Recht darauf, uns jederzeit und überall sicher und frei bewegen zu können, ohne Angst vor Belästigung und Gewalt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Und wenn doch etwas passiert – dieses „etwas“ sind sexualisierte Sprüche und Belästigung, das sind sexuelle Übergriffe bis hin zu massiver Gewalt –, dann war nicht der Rock zu kurz oder die Jogginghose zu eng. Wie absurd, dass der Mann, der Yanni Gentsch gefilmt hat, auch noch fragt, warum sie denn so eine Hose trage. Das ist Täter-Opfer-Umkehr.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Aber es ist nie die betroffene Frau, sondern immer der Täter verantwortlich für die Tat.

Mir sind zu Beginn der Debatte einige grundsätzliche Anmerkungen wichtig.

Erstens. Alle Geschlechter können von sexualisierter Gewalt betroffen sein. Das ist nie okay, es ist immer inakzeptabel.

Zweitens. So ziemlich jede Tochter wird Ihnen von sexuellen Belästigungen erzählen können. Aber weil es gleich von der AfD kommen wird, will ich es hier schon einmal deutlich sagen: Die Herkunft des Täters ist für die Betroffenen egal. Wir Töchter fordern Schutz vor sexualisierter Gewalt. Wir Töchter wollen nicht, dass unsere Interessen für Stigmatisierungen genutzt werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Drittens. Selbstverständlich ist nicht jeder Mann ein Täter, aber fast jede Frau erlebt sexuelle Belästigungen, körperliche Übergriffe und/oder Gewalt im Netz. Das sind keine Einzelfälle. Es ist ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft.

Jede Frau hier könnte wahrscheinlich ad hoc eine Geschichte, eine Erfahrung oder auch mehrere erzählen. Nur ein Beispiel von vielen, die hier erzählt werden könnten:

Ein Abend vor über zehn Jahren. Ein männlicher Gesprächspartner reicht mir seine Visitenkarte zum Abschied – so weit, so normal. Doch dann dreht er sich zu seinen männlichen Kollegen um und sagt: Jetzt hätte ich ihr fast die Karte zu meinem Hotelzimmer gegeben. – Man könnte sagen: „harmlos, ein typischer Schenkelklopfer“, aber ich ärgere mich auch zehn Jahre später noch darüber, weil ich so perplex war. Ich überlege auch heute noch: Wie hätte ich anders reagieren können? Wie hätte ich angemessen reagieren sollen?

Ich behaupte, dass fast jede Frau hier im Raum dieses Gefühl der Ohnmacht kennt, das Gefühl der Verärgerung, in einer solchen Situation eben nicht die passende Antwort gehabt zu haben.

Ja, es war nur ein Spruch, aber auch solche Sprüche machen etwas mit uns. Nicht wir sollten uns nachher Gedanken darüber machen, sondern der Mann müsste sich bis heute dafür schämen, dass er das gesagt hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von CDU und FDP)

Yanni Gentsch war nicht zu perplex. Sie hat glücklicherweise reagiert, als sie beim Joggen gefilmt wurde, als sich ein Mann herausgenommen hat, sie zum Objekt herabwürdigen zu wollen. Das wäre schon in analogen Zeiten nicht in Ordnung gewesen. In digitalen Zeiten kommt eine neue Dimension an Reichweite und Verbreitung, an Nicht-wieder-Einfangen solcher Aufnahmen hinzu, wenn sie einmal ins Netz gestellt sind.

Ich bin Yanni Gentsch wirklich dankbar für diesen Mut und die Veröffentlichung ihrer Erfahrung, die sie machen musste. Sie zeigt damit auch anderen Frauen, dass sie nicht alleine sind, dass es keine Einzelfälle sind, dass es natürlich nicht an ihnen lag und dass wir gemeinsam etwas bewegen können.

Es kann doch nicht sein, dass eine Frau beim Joggen im Park größere Sorgen vor heimlichen Film- und Bildaufnahmen haben muss als ein potenzieller Täter vor einer Bestrafung. Über 130.000 Unterschriften hat die Petition von Yanni Gentsch bekommen. Das ist ein deutliches Signal, dass sich strafrechtlich etwas verändern muss, dass Aufnahmen eines Körperteils in sexueller Motivation auch dann strafbar sein müssen, wenn die Person angezogen ist und sich in der Öffentlichkeit bewegt.

Deshalb ist es richtig, dass Benjamin Limbach als Justizminister das Thema auf die Tagesordnung der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister gesetzt hat. Ich freue mich, dass auch die Bundesjustizministerin Stefanie Hubig das Thema aufgreift und damit Bewegung in die Sache kommt.

Es ist doch traurig genug, dass es strafrechtliche Veränderungen braucht, dass die Selbstbestimmung von Frauen, die Privat- und Intimsphäre immer wieder missachtet werden. Es sollte längst der Vergangenheit angehören, dass sich Frauen Gedanken über dunkle Straßen, K.-o.-Tropfen in der Disco oder heimliche Bildaufnahmen machen müssen.

„Die Scham muss die Seite wechseln“, das hat die unfassbar starke und mutige Gisèle Pelicot gesagt. Alle Männer müssen verstehen, dass Kleidung eben keine Einladung ist, dass sie eben nicht alles sagen und kommentieren dürfen, dass es beschämend ist, Frauen und Mädchen als Objekte zu betrachten.

Es bleibt unser Ziel, dass Frauen und Mädchen gleichberechtigt, frei und sicher in unserer Gesellschaft leben können, dass ihre Rechte immer geachtet werden. Dass diese Selbstverständlichkeiten noch im Jahr 2025 die Schlussworte einer Rede sein müssen, das ist, finde ich, unfassbar. Lassen Sie uns das gemeinsam ändern. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

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