Verena Schäffer: „Sehr ritualisiert, wenig ergiebig und sehr durchsichtig“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Landeskriminalstatistik

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal abgesehen davon, dass wir heute eigentlich nur über eine Pressemitteilung diskutieren und gar nicht über die PKS sprechen können, weil sie uns schlicht nicht vorliegt, würde ich doch gerne vier Feststellungen machen.
Das Erste ist: Ich empfinde diese Debatte hier als sehr ritualisiert, wenig ergiebig und sehr durchsichtig, denn in der Zeit, als die Zahlen insbesondere in der Wohnungseinbruchskriminalität bis 2015 angestiegen sind, haben CDU und FDP das sehr häufig zur Aktuellen Stunde gemacht.
Als dann die Kriminalität gesunken ist – ab 2015, ab 2016 –, hat Sie das gar nicht mehr so richtig interessiert; da wollten Sie gar nicht mehr über das Thema diskutieren.
Jetzt sind Sie an der Regierung; der Trend von Rot-Grün setzt sich fort. Plötzlich haben wir es wieder als Thema in einer Aktuellen Stunde.
Ich wage mal die vorsichtige Frage, ob es sein könnte, dass CDU und FDP die polizeiliche Kriminalstatistik immer nur dann diskutieren wollen, wenn es ihnen politisch in den Kram passt.
(Beifall von den Grünen und der SPD)
Zweite Feststellung. Ja, die Zahlen der PKS sind sehr erfreulich. Unser Dank gilt den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die tagtäglich für unsere Sicherheit im Einsatz sind.
Klar ist aber auch, wenn man sich die Zahlen ehrlich anschaut: Die Trendwende hat Rot-Grün geschafft. Anders als CDU und FDP das ja so häufig sehr populistisch und unsachlich im Wahlkampf suggeriert haben, muss man feststellen, dass die Wohnungseinbruchskriminalität bereits seit 2015 sinkt.
Im Jahr 2016 gab es im Vergleich zum Jahr 2015 15,7 % weniger Straftaten.
Die von uns eingeführten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität, zum Beispiel „Riegel vor!“, „MOTIV“, führen Sie eins zu eins fort. Das ist auch gut so. Aber klar ist eben auch, die Statistik, über die wir heute diskutieren, zeigt den rot-grünen Erfolg und welchen unsachlichen Wahlkampf Sie 2017 geführt haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dritte Feststellung. Ich mache mal ein dickes fettes Fragezeichen hinter der Sinnhaftigkeit der Diskussion über diese Polizeiliche Kriminalstatistik; denn die PKS hat deutliche Schwächen.
Hier möchte ich gern mal Innenminister Herbert Reul aus der „Rheinischen Post“ von heute zitieren:
„Statistik kann nie perfekt sein, aber die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik ist die beste und objektivste, die wir haben.“
Das ist traurig; denn die PKS hat sehr deutliche Schwächen.
Fragen wir uns doch mal, wie sich die PKS zusammensetzt. Da werden Straftaten aufgezählt, die entweder von Opfern angezeigt oder von der Polizei selbst entdeckt werden. Die PKS kann deshalb bestimmte Trends abzeichnen, wie zum Beispiel in der Wohnungseinbruchkriminalität, wo wir eine sehr hohe Anzeigebereitschaft der Opfer haben. Doch es gibt Straftaten, da haben wir diese hohe Anzeigebereitschaft nicht.
Das LKA Niedersachsen hat in einer Studie herausgefunden, dass zum Beispiel im Bereich der Sexualdelikte nur 6 % der Straftaten zur Anzeige gebracht werden. Das heißt, wenn hier laut PKS plötzlich die Anzahl der Straftaten steigt, dann heißt das noch lange nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es kann sein, es kann aber auch nicht sein. Es kann sein, dass einfach mehr angezeigt wird.
Ich finde, das zeigt das deutliche Defizit, das wir in der PKS haben, sehr deutlich auf. (Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben in sehr vielen Bereichen wahrscheinlich eine erhebliche Dunkelziffer, die hier über- haupt nicht verzeichnet werden kann.
Darüber hinaus haben wir auch keine Verlaufsstatistik. Es ist eine reine Statistik über die Arbeit der Polizei, aber es ist keine Verlaufsstatistik. Es trifft überhaupt keine Aussage darüber, wie viel tatsächlich bei der Justiz landet. Es zeigt nicht, wie viele Tatverdächtige angeklagt und auch verurteilt werden.
Wenn man sich die Statistiken von 2016 ansieht, dann stellt man fest, dass in der PKS die Aufklärungsquote – von der Polizei angegeben – bei 52,3 % laut. Laut Strafverfolgungsstatistik der Justiz endeten aber nur 21 % der 1,2 Millionen Fälle der Staatsanwaltschaft mit Anklage oder Strafbefehl.
(Gregor Golland [CDU]: Das ist keine Strafverfolgungsstatistik!) Die Hälfte aller Verfahren wurde sogar eingestellt.
Ich finde, wenn man Kriminalität betrachten will, muss man auch das im Blick haben.
Wir brauchen eigentlich etwas völlig anderes. Wir brauchen eine echte Verlaufsstatistik, wir brauchen Dunkelfeldstudien, wir brauchen wissenschaftliche Untersuchungen, wir brauchen einen Periodischen Sicherheitsbericht, wie es ihn mal vor zwölf Jahren im Bund gegeben hat, es ihn aber seitdem nicht mehr gibt. Der Sicherheitsbericht ist nicht fortgeschrieben worden; eigentlich müsste er das. Es steht im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Da ist bisher überhaupt nichts passiert. Wenn wir eine echte, eine ehrliche Debatte über Kriminalität in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen haben wollen, dann bräuchten wir viel mehr. Wir bräuch- ten den Periodischen Sicherheitsbericht, wir bräuchten die Verlaufsstatistik. Herr Reul, an diesen Punkten müssen Sie arbeiten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mein vierter und letzter Punkt. Nur mal angenommen – hypothetisch –, die PKS würde ein echtes Bild über die Sicherheit in Nordrhein-Westfalen liefern, wie Herr Golland und andere das hier behaupten, dann frage ich mich, warum Sie allen Ernstes das Polizeigesetz Ende Dezember 2018 mit dieser ganz Großen Koalition hier im Landtag beschlossen haben. Denn die Kriminalität ist laut PKS bereits im Jahr 2018 deutlich gesunken. Das ist die niedrigste Kriminalitätsrate seit 1991 – keine Frage –. Es wäre erfreulich, wenn man das alles so hinnehmen könnte. Aber das Polizeigesetz, Ende Dezember in Kraft getreten, hat hierzu überhaupt keinen Beitrag geleistet. Im Umkehrschluss kann man auch sagen, die Kriminalitätsrate sinkt, und zwar ohne, dass man diese massiven Eingriffe in die Bürgerrechte beschließen muss.
 (Beifall von den GRÜNEN)
In NRW gibt es ja jetzt die Schleierfahndung, die Auswertung der Videobeobachtung, Staatstrojaner und viele andere Dinge mehr, die die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einschränken.
Wenn Sie die Debatte heute im Landtag zu Ihrer eigenen Aktuellen Stunde und zur PKS ernst nehmen würden, dann müssten Sie das Polizeigesetz eigentlich zurücknehmen. Ich weiß, das werden Sie nicht tun. Deshalb kann ich, ehrlich gesagt, die Debatte hier auch nicht mehr ernst nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)

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