Verena Schäffer: „Prävention ist ein Baustein“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zu Gewalt gegen Polizeibeamte

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fälle von schweren Gewalttaten gegen Polizeibeamte in den letzten Wochen sind erschreckend. Insbesondere der Tod des 28-jährigen SEK-Beamten am 29. April dieses Jahres hat uns allen noch einmal sehr schmerzlich vor Augen geführt, welch hohes Risiko Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte tagtäglich eingehen, um für unsere Sicherheit zu sorgen. Dass ausgerechnet Personen, die sich für unsere Sicherheit, für unsere Freiheits- und Grundrechte einsetzen, Opfer von Angriffen werden, ist auch für mich unbegreiflich. Natürlich verdienen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte unsere Unterstützung, unsere Anerkennung und unseren Respekt.
Ich will hier aber auch deutlich sagen, dass alleine die Bekenntnisse, die hier von CDU und FDP vorgetragen wurden, den Betroffenen nicht helfen. Natürlich sind die wichtig, und ich stehe vollkommen dahinter, wenn wir sagen, wir müssen Unterstützung geben, Anerkennung zeigen und Respekt zollen. Aber diese Bekenntnisse alleine helfen den Betroffenen doch nicht. Wir sind hier auch nicht in der Kirche und geben Bekenntnisse ab, sondern wir sind im Parlament und müssen darüber diskutieren, was es konkret heißt und welche Hilfestellung wir geben können.
(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])
Wie können wir Gewalt gegen Polizeibeamte verhindern? – Das ist die Diskussion, die wir hier führen. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Dafür, dass Sie als regierungstragende Fraktionen diese Aktuelle Stunde angemeldet haben, war das absolut dünne Suppe. Ich erwarte von zwei regierungstragenden Fraktionen als Antragsteller der Aktuelle Stunde ein bisschen mehr. Das ist dünn,
(Marc Lürbke [FDP]: Es sind fünf klare Punkte genannt worden!)
und ich finde, das wird der Arbeit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten hier in diesem Land auch nicht gerecht.
 (Beifall von den GRÜNEN)
Dann diskutieren wir heute Mittag über ein Lagebild, welches uns überhaupt nicht vorliegt. Ich habe es noch einmal recherchiert und habe auch die Kollegen Hartmut Ganzke und Herrn Panske gefragt, ob sie dieses Lagebild, über das wir debattieren, kennen. Auch ihnen ist es nicht bekannt. Wir kennen nur die Berichterstattung der „FAZ“. Es ist auch super, dass wir die Berichterstattung haben, aber ich hätte gern ein Lagebild, um mich differenziert damit auseinandersetzen zu können. Das haben wir nicht.
Um diese Diskussion ernsthaft führen zu können, müssen wir das im Innenausschuss nachholen, wenn uns das Lagebild vorliegt.
Trotzdem, es liegen einige Zahlen vor, die ich gerne zitieren würde. Ich kann sie nicht überprüfen, ich kenne sie nur aus der öffentlichen Berichterstattung. Deshalb finde ich es schwierig, einen Trend aus den Zahlen abzulesen. Wir wissen aus den Medien, dass sich die Gesamtzahl der Angriffe kaum verändert hat. Sie ist mit über 9.000 Fällen in Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2019 sehr hoch. Es ist offenbar so, dass die Zahl der Fälle, bei denen Schusswaffen gegen Polizeibeamte eingesetzt werden, gestiegen ist. Das ist besorgniserregend, und das muss man hier auch so klar benennen.
Ein großes Problem scheint auch zu sein, dass sich die Zahl der Fälle von tätlichen Angriffen verdoppelt hat. Auch das können wir gerade nicht überprüfen, weil wir nur die Medienberichterstattung haben. Lassen Sie uns also die differenzierte Debatte noch einmal im Innenausschuss führen, und zwar dann mit dem Lagebild. Ich denke, das bringt uns mehr.
Aber jetzt möchte ich fragen, was hier konkret hilft. Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, das weiß ich genauso gut wie Sie. Wenn es konkrete Vorschläge beispielsweise zur Schutzausrüstung gibt, die von der Polizei gewünscht ist und benötigt wird, dann sind wir für die Diskussion sehr offen. Diese müssen wir führen und die notwendigen Mittel auch bereitstellen.
Ich will auch betonen, dass die Allzweckwaffe „Taser“ oder „Distanzelektroimpulsgerät“ … (Marc Lürbke [FDP]: Wer spricht denn von der Allzweckwaffe?)
–   Naja, der Taser wurde immer angepriesen, und es wurde gefordert: Wir brauchen den Taser, um die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zu schützen. – In der letzten Debatte im Innenausschuss wurden uns die ersten Ergebnisse aus dem Zwischenbericht der Landesoberbehörden LAFP und LZPD, der uns auch noch nicht vorliegt, vorgestellt. Ich denke, diese Berichte sehr deutlich zeigen, dass der Taser ein Rohrkrepierer ist und dass er das, was Sie sich immer gewünscht haben, nicht erfüllt.
(Marc Lürbke [FDP]: Schauen Sie mal nach Rheinland-Pfalz!)
Meines Erachtens sind die Berichte der Behörden da sehr eindeutig. Ich würde mir wünschen, dass Sie auf Ihre eigenen Landesoberbehörden auch mal in Sachen Taser hören würden.
Eine weitere Forderung, die immer erhoben wird, ist die nach Strafrechtsverschärfung. Sicherlich, das können auch Symbole sein. Es gibt nur überhaupt keine einzige Studie, die die Wirksamkeit einer Strafrechtsverschärfung tatsächlich auch belegen würde. Ich finde, das gehört ebenfalls zur Debatte dazu. Deshalb müssen wir uns verstärkt über die Frage der Prävention hier auseinandersetzen, denn es gibt mehrere wissenschaftliche Studien, die sagen, dass wir im Bereich der Prävention einiges machen können.
Sie lachen, Herr Lürbke, aber dann stellen Sie sich hierhin und sagen uns, wie Sie konkret Gewalt gegen Polizeibeamte verhindern können! Prävention ist ein Baustein. Wenn Sie darüber hinweglächeln, finde ich es ein bisschen traurig, da bisher eigentlich alle Ergebnisse immer zu dem Schluss gekommen sind, dass wir hier handeln müssen.
Zur Prävention gehört zum Beispiel Sensibilisierung in den Dienststellen. Es ist wichtig, dass Angriffe auf Polizeivollzugsbeamte in den Dienststellen und von den Vorgesetzten ernst genommen werden, dass es Angebote für diejenigen gibt, die von Gewalt betroffen sind. Es geht um Sensibilisierung in der Gesellschaft. Das sagt auch Ihr eigener Innenminister. Wir brauchen die gesellschaftspolitische Diskussion darüber. Es muss ein Verständnis von Partnerschaft zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei geben.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen seit den 90er-Jahren die sogenannte NRW-Strategie der Polizei mit einem Schwerpunkt auf Deeskalation. Es gibt Studien zum Beispiel aus Baden-Württemberg, die besagen, dass die verbale und auch die nonverbale Kommunikation einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf von Einsätzen und Begegnungen haben können. Das sind Bereiche, in denen wir sehr wohl tätig werden können und das auch schon tun.
Eines, Herr Lürbke, möchte ich doch noch sagen: Diese Rhetorik gerade gegen uns Grüne, dass Sie uns immer wieder vorwerfen, wir würden Misstrauen gegenüber Polizeibeamten schüren, ist absoluter Populismus. Ich finde, es zeigt doch, wie blank Sie eigentlich bei diesem Thema sind. Wenn Sie meinen, dass Sie aus den schlechten Umfrageergebnissen für die FDP, die auch irgendwo herkommen müssen,
(Beifall von den GRÜNEN)
herauskommen, indem Sie hier wirklich billigsten und blankesten Populismus verbreiten, dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie sich da täuschen.
(Marc Lürbke [FDP]: Das ist kein Populismus! Das ist die Wahrheit!)
Die Menschen und auch die Polizei in Nordrhein-Westfalen wünschen sich da doch ein bisschen mehr. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Lebhafte Zurufe und Gegenrufe zwischen Arndt Klocke [GRÜNE] und Abgeordneten der FDP)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich spontan zu einer zweiten Runde zu Wort gemeldet, was ich nicht geplant hatte. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich bei dieser Debatte ein massives Störgefühl habe und mich deshalb gerne noch einmal zu Wort melden wollte.
Diese Debatte, wie wir sie heute Mittag geführt haben, ist dem Thema nicht angemessen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ende April ist ein 28-jähriger SEK-Beamter gestorben. Wir alle miteinander teilen wohl, dass wir darüber wirklich betroffen sind. Wir haben uns vor Augen geführt, was es für die Eltern eigentlich bedeuten muss, ein Kind zu verlieren. Ich finde, dass wir diese Diskussion über die Gewalt gegen Polizeibeamte noch einmal in einem anderen Rahmen führen müssen.
Ich meine auch nach dieser Debatte für mich feststellen zu können, dass Aktuelle Stunden dafür offenbar nicht das richtige Format darstellen.
(Beifall von den GRÜNEN und Hartmut Ganzke [SPD])
Ich möchte einfach noch einmal an alle appellieren – und ich nehme mich davon nicht aus, um das klar darzustellen –, dass wir eine ruhige und sachliche Debatte auf Grundlage des aktuellen Lagebilds führen müssen. Wir müssen uns erneut die alten Studien angucken und dann wirklich sachlich darüber diskutieren, ohne den Vorwurf, dass Grüne Misstrauen gegenüber der Polizei hätten, und ohne den Vorwurf von uns, die Regierung unternähme nichts. Wie gesagt: Da bin ich auch selbstkritisch.
Lassen Sie uns bitte zu diesem wichtigen Thema in diesem Parlament keine Showreden halten, sondern lassen Sie uns die sachliche Debatte in einem anderen Format, im Ausschuss, führen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das war eine spontane Wortmeldung, weil ich nicht mit diesem Gefühl rausgehen kann. Ich habe hier wirklich ein massives Störgefühl, und das wollte ich gerne äußern. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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