Verena Schäffer: „Mit einfachen Antworten und mit Forderungen nach immer härteren Strafen beseitigt man nicht die Ursachen“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der FDP-Fraktion zur Gewalttat in Bad Oeynhausen

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein junger Mensch ist durch eine brutale Gewalttat gestorben. Daher gelten meine ersten Worte der Familie und den Angehörigen von Philippos. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen und Ihnen viel Kraft für die vor Ihnen liegende schwere Zeit der Trauer wünschen.

Die Tat macht mich fassungslos. Sie macht mich traurig. Philippos wurde nach dem Abi-Ball seiner Schwester getötet; an einem Abend, an dem junge Menschen allen Grund zum Feiern und zum Fröhlichsein haben. Ein junger Mensch wurde getötet, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte.

Umso mehr bewundere ich die Mutter bzw. die Familie, die sich in dieser schweren Zeit der Trauer und des Schmerzes mit so deutlichen Worten an die Öffentlichkeit gewandt hat.

Der Wunsch der Familie ist es, dass der furchtbare Tod von Philippos nicht zu politischen Zwecken instrumentalisiert wird.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Ich finde es wichtig, diesen Wunsch der Familie zu respektieren.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Es ist unsere Verantwortung, ruhig und sachlich Antworten auf die Fragen zu den Hintergründen der Tat zu suchen. Denn es geht um Sicherheit. Nordrhein-Westfalen ist ein sicheres Land. Nordrhein-Westfalen ist sicher, weil wir als demokratische Fraktionen hier in den unterschiedlichen Regierungskonstellationen unter anderem dazu beigetragen haben, dass wir seit Jahren mehr Polizeibeamtinnen und ‑beamte einstellen. Das ist gut so. Trotzdem – das ist furchtbar – passieren solche Taten. Wir wollen Nordrhein-Westfalen noch sicherer machen. Wir wollen, dass jeder Mensch hier ein Leben in Sicherheit führen kann und dass sich hier jeder sicher fühlt.

Zu der Frage nach den Hintergründen gehören zuallererst die Antworten zum konkreten Tathergang, damit auf die Tat eine konsequente Strafverfolgung folgt. Ich habe volles Vertrauen in die Arbeit unserer Ermittlungsbehörden: in Polizei und Justiz. Solche Taten, die zum Tod eines jungen Mannes führen, können und werden wir nicht dulden. Auf ein Gewaltverbrechen, und zwar egal, wer es begeht, muss der Rechtsstaat konsequent reagieren – und das wird er auch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der mutmaßliche Täter ist vor acht Jahren mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen. Mir ist eine sachliche und ehrliche Debatte auch zum Thema „Abschiebungen“ wichtig. Schon jetzt können ausländische Straftäter ausgewiesen werden. Das wird das Land Nordrhein-Westfalen auch zukünftig bei schweren Straftaten und bei Gefährdern tun, wenn die rechtlichen und faktischen Voraussetzungen vorliegen.

Wir sind uns aber hoffentlich darüber einig, dass der Rechtsstaat ein Interesse daran hat, dass Straftaten hier konsequent verfolgt werden und die Strafe dann auch tatsächlich in Deutschland verbüßt wird, um genau das sicherzustellen. Die Vorstellung, dass eine schwere Straftat nicht gesühnt wird, entspricht nicht meinem Rechtsstaatsverständnis.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Antworten zu finden, bedeutet auch, auf die Ursachen zu blicken. Jede Person – das will ich betonen: jede Person – ist für ihr eigenes Handeln verantwortlich. Es kann keine Rechtfertigung für kriminelles Handeln geben. Wir können allerdings mit Prävention und früher Intervention die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität senken.

Ich verstehe es nur zu gut, wenn Menschen sich jetzt fragen, warum bei einem polizeibekannten Jugendlichen nicht mehr passiert ist. Natürlich muss genau das aufgeklärt werden. Es muss geklärt werden. Wenn die Ermittlungen vorangekommen sind und uns mehr Informationen über den Fall vorliegen, wird es – da bin ich mir sicher – Antworten auf diese Fragen geben.

Mich besorgt, dass wir aktuell einen Anstieg der Jugendkriminalität insgesamt feststellen. Die Täter sind jung, sie sind männlich – vielleicht haben sie auch ein falsch verstandenes Männlichkeitsbild –, und es gibt zunehmend Intensivtäter. Deshalb müssen wir an dieses Phänomen herangehen. Das tun wir auch.

Es zeigt aber auch: Sicherheit ist komplex. Mit einfachen Antworten und mit Forderungen nach immer härteren Strafen beseitigt man nicht die Ursachen. Es lohnt sich, in Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu investieren. Ich bin froh, dass wir Programme wie „Kurve kriegen“ bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen haben, weil wir damit die Sicherheit ganz konkret stärken.

Was wir jedenfalls nicht brauchen, sind die plumpen und menschenverachtenden Antworten, die gleich aus der rechten Ecke dieses Parlamentes kommen werden.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um zu wissen, dass die AfD gleich versuchen wird – im Gegensatz zum ausdrücklichen Wunsch der Familie –, diesen furchtbaren und tragischen Fall gegen Menschen zu instrumentalisieren, die unter anderem aus Afghanistan oder Syrien fliehen mussten, um ihr Leben und das ihrer Liebsten zu retten;

(Zurufe von Susanne Schneider [FDP] und Dr. Christian Blex [AfD])

Menschen, die sich in aller Regel an Recht und Gesetz in Deutschland halten, weil sie sich hier ein neues Leben aufbauen wollen und müssen.

Ich will deutlich sagen, dass wir als demokratische Fraktionen Hass und Hetze nicht zulassen werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Der demokratische Rechtsstaat geht entschieden gegen Straftäter vor, und er geht genauso entschieden gegen rechtsextreme Hetzer vor. Und das ist gut so. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Mehr zum Thema

Innenpolitik