Verena Schäffer: „Krisen meistern wir nur zusammen, nicht gegeneinander“

Zu den Ergebnissen der MPK am 28.9.2022

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei allem Engagement in der Debatte möchte ich daran erinnern, warum wir heute überhaupt über diesen Tagesordnungspunkt diskutieren. Es herrscht Krieg mitten in Europa. Die Ergebnisse der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen machen mich fassungslos. Erwachsene und sogar Kinder sind durch russische Einheiten gefoltert, getötet und vertrieben worden. Die Kommission dokumentierte auch sexualisierte Gewalt durch russische Soldaten. Die ältesten Opfer sind 82 Jahre alt, die jüngsten gerade einmal 4.

Diese Kriegsverbrechen dürfen nicht ungestraft bleiben. Die Täter dieser unmenschlichen Grausamkeiten müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Das sind wir als internationale Staatengemeinschaft den Opfern und ihren Angehörigen schuldig.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vor 218 Tagen begann Putin seinen Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine. Putin eskaliert immer weiter, aktuell mit den für heute geplanten Annexionen.

Der Krieg ist völkerrechtswidrig und grausam. Deshalb haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit Kriegsbeginn über Wirtschaftssanktionen diskutiert und sie umgesetzt. Die Sanktionen gegen Russland sind und bleiben richtig. Wir stehen weiterhin fest an der Seite der Ukraine.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in Frieden und Freiheit leben dürfen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich meine Kinder abends in dem Wissen ins Bett bringen kann, dass wir nachts nicht von Sirenenalarm und Bombenhagel geweckt werden.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in einer solidarischen Gesellschaft leben, die Geflüchtete in großer Not aufnimmt. Dabei bin ich mir sehr bewusst darüber, vor welchen immensen Herausforderungen die Kommunen wieder einmal stehen.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir die Wirtschaftssanktionen in großer Geschlossenheit gemeinsam tragen und ertragen, auch wenn die Auswirkungen immens sind. Solidarität ist notwendig, weiterhin mit den Menschen in der Ukraine und weiterhin innerhalb unserer Gesellschaft in Deutschland,

(Der Ministerpräsident nimmt seinen Platz ein. – Henning Höne [FDP]: Herzlich willkommen, Herr Ministerpräsident! – Marcel Hafke [FDP]: Schön, dass Sie es einrichten konnten!)

insbesondere mit denjenigen, die von den enorm gestiegenen Kosten besonders betroffen sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Dass wirksame Hilfen dringend nötig sind, hören und sehen wir jeden Tag, nicht nur von der Industrie, sondern auch von den kleinen und mittleren Unternehmen, den Handwerksbetrieben. Sie stehen vor enormen Schwierigkeiten. Wir sehen es jeden Tag an den gestiegenen Preisen in den Bäckereien.

Wir hören die Sorgen und Nöte der Friseure und von vielen anderen: von Alleinerziehenden, die schon vor der Energiekrise nicht wussten, wie sie und ihre Kinder über die Runden kommen sollen, von älteren Menschen, deren Rente so knapp ist, dass sie sich bei den gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten nun das Geburtstagsgeschenk für den Enkel oder den Cafébesuch mit Freunden einfach nicht mehr leisten können.

Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen, dass wir Entlastungen dringend brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Im Ziel sind wir uns einig. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, dass die SPD-Fraktion hier immer wieder gezielt und bewusst die Falschdarstellung verbreitet, NRW würde das Paket blockieren. NRW blockiert nicht. NRW drängt auf eine faire Lastenverteilung, wie im Übrigen die SPD-geführten Bundesländer auch.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich frage mich ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion: Wie kann man, wie Sie es hier am Mittwoch getan haben, die Landesregierung in einem Antrag auffordern, mindestens 3,65 Milliarden Euro aus dem Entlastungspaket zu übernehmen? Dann reden wir in Nordrhein-Westfalen künfig nicht mehr über Investitionen in Kinder, Klima und Kommunen, sondern darüber, wo wir den Rotstift ansetzen müssen. Wenn die SPD das will, okay. Dann nehmen wir zur Kenntnis,

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

dass das offenbar Ihr Ziel und Ihre Politik sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Widerspruch von der SPD)

Aber wir wollen das nicht.

(Sarah Philipp [SPD]: Sehr interessant, zu wissen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Nach Ihrem Auftreten hier habe ich in den vergangenen Tagen immer wieder darüber nachgedacht, wie es eigentlich zu Beginn der anderen Krise war, die wir bekämpft haben. In den ersten Wochen der Coronapandemie gab es einen starken Zusammenhalt der demokratischen Fraktionen. Für einen kurzen Moment war die Aufteilung zwischen Opposition und regierungstragenden Fraktionen einfach nicht mehr wichtig.

(Jochen Ott [SPD]: Da hat die Regierung aber auch einen Vorschlag gemacht! Ihr macht ja keinen Vorschlag!)

Wir waren fest entschlossen, diese Pandemie gemeinsam zu bekämpfen, gemeinsam die Menschen in unserem Land, aber auch die Wirtschaft zu schützen. Und manchmal …

(Jochen Ott [SPD]: Ihr bietet nichts an!)

– Entschuldigung, wie war das gerade noch mal mit der lauten Meinung und der leisen Ahnung? Vielleicht hören Sie einfach mal zu.

(Anhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Heiterkeit von Thomas Kutschaty [SPD] und Jochen Ott [SPD])

Ich kann nur sagen:

(Jochen Ott [SPD]: Das war keine Meinung, das war eine Frage! – Zuruf von der CDU: Hör doch mal zu!)

Ich wünsche mir diesen Geist der Einigkeit manchmal zurück, denn wir haben Krieg in Europa. Mitten in Europa sterben Menschen. Wir haben die höchste Inflationsrate seit Anfang der 50er-Jahre. Angesichts dessen finde ich diese Tonlage und dieses Auftreten der Oppositionsfraktionen wirklich unangemessen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Frank Müller [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Keine Idee, kein Vorschlag!)

Ich frage mich: Wen hat die SPD-Fraktion hier eigentlich im Blick? Ist es das Wohl der Menschen in Nordrhein-Westfalen?

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Sind es die Genossen in Niedersachsen, wo demnächst eine Landtagswahl ansteht? Sind es die Umfragewerte des Bundeskanzlers?

(Zuruf von der SPD: Was soll das?)

Ich kann für uns als schwarz-grüne Koalition sagen, dass wir im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger, unserer Unternehmen, unserer Kommunen in Nordrhein-Westfalen

(Jochen Ott [SPD]: Keinen Vorschlag machen!)

mit dem Bund verhandeln, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Da ist aber jemand betroffen, weil er immer noch keine Idee hat!)

Eines ist doch klar: Wir werden in Nordrhein-Westfalen unserer Verantwortung gerecht, und wir werden uns selbstverständlich an einer fairen Kostenaufteilung des Entlastungspakets beteiligen.

(Jochen Ott [SPD]: Da sind wir aber mal gespannt!)

Ich bin froh, dass es gelungen ist, unter den 16 Bundesländern eine gemeinsame Position zu finden, auch mit den SPD-geführten Bundesländern. Die MPK hat sich auf wichtige Punkte verständigt:

Es ist richtig, den Fokus der Entlastung auf untere und mittlere Einkommen zu legen.

Es ist richtig, einen Schutzschirm für die kommunalen Stadtwerke zu fordern, denn die Stadtwerke sind als kommunale Dienstleister essenziell wichtig für die Versorgung vor Ort.

Und ja, der Bund muss endlich seiner Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag nachkommen und die Regionalisierungsmittel erhöhen. Es ist klar, dass wir sowohl die Erhöhung der Regionalisierungsmittel als auch einen Ausgleich für die hohen Energiekosten und eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket brauchen. Dann können Bus und Bahn attraktiver werden, damit mehr Leute umsteigen. Das ist gut für das Portemonnaie und für das Klima.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Frank Müller [SPD])

Ich hoffe sehr, dass in der nächsten Woche einiges sehr viel klarer ist, etwa wie das Entlastungspaket konkret ausgestaltet wird oder wer welche Kosten übernimmt. Wenn diese Fragen geklärt sind, werden wir in Nordrhein-Westfalen dort ergänzen, wo Existenzen gefährdet sind. Für uns stehen wirksame Hilfen und ein abgestimmtes Vorgehen im Vordergrund. Wir müssen doch erst einmal sehen und identifizieren,

(Jochen Ott [SPD]: Abwarten statt handeln!)

wo Lücken verbleiben, um sie dann zu füllen. Wir brauchen in dieser Krisenlage keinen Überbietungswettbewerb, wer am schnellsten die größten Entlastungspakete ankündigt.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Was haben die Menschen in diesem Land von Höher-schneller-weiter-Ankündigungen? Man muss klar sagen:

(Jochen Ott [SPD]: Mach doch mal einen Vorschlag! – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Wenn man sich die Entlastungspakete der anderen Länder anschaut, stellt man fest, dass sie sehr viele Ankündigungen enthalten. Sie sind bei Weitem nicht so ausformuliert, wie die SPD das hier gerade behauptet.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich bin froh, dass der Bund gestern weitere Schritte angekündigt hat. Es ist richtig, dass schnellstmöglich eine Gaspreisbremse eingeführt wird, um alle, die mit Gas heizen oder die es für ihre Produktion brauchen, spürbar zu entlasten. Es ist richtig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher und Unternehmen vor hohen Strompreisen geschützt werden sollen. Es ist auch richtig, dass Firmen, die durch den Angriffskrieg in Schwierigkeiten geraten sind und über die Strom- und Gaspreisbremse hinaus Hilfe benötigen, weiter gestützt werden.

Eines will ich deutlich sagen – Robert Habeck hat es gestern gut formuliert –: Putin und sein Regime nutzen unsere bisherige Abhängigkeit von russischem Gas aus.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Die Sie geschaffen haben!)

Das Ziel ist, unsere Volkswirtschaft zu destabilisieren und damit auch eine Destabilisierung der demokratischen Ordnung in Europa und Deutschland zu erreichen. Es ist ein starkes Signal an die Bürgerinnen und Bürger, an die Unternehmen, aber auch an die Menschen in der Ukraine, dass Deutschland das nicht akzeptiert und nicht akzeptieren wird. Der Staat stellt sich schützend vor sie und nimmt jetzt 200 Milliarden Euro dafür auf. Das ist richtig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich will aber auch deutlich sagen: Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner die Schuldenbremse 2023 nur mit einem Rechentrick einhalten will, ist wohl jedem klar.

Ich bin skeptisch – das will ich hier so ehrlich sagen –, ob das reichen wird. Wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts droht, dann doch wohl in dieser Zeit, die von der Coronakrise, der Klimakrise und

(Nadja Lüders [SPD]: Erklären Sie das dann auch hier?)

nun auch vom Krieg in Europa geprägt ist, von einer Gleichzeitigkeit der Krisen. Deshalb kann ich nur sagen, auch in Richtung der FDP: Es ist völlig fehl am Platz, jetzt an ideologischen Grundsätzen festzuhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Nadja Lüders [SPD]: Erklären Sie das dann auch für NRW?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sehen die Gleichzeitigkeit der Krisen, die Gleichzeitigkeit der Energiekrise und der Klimakrise. Ich bin davon überzeugt, dass wir beides gemeinsam angehen müssen. Es geht nicht nur darum, über diesen und über den nächsten Winter zu kommen; es geht darum, dass ein Weiter-so nicht funktionieren wird.

Wir werden aus der Energiekrise nur herauskommen, wenn wir unabhängig von fossilen Energien werden. Wir werden diese Krise nur dann gestärkt hinter uns lassen, wenn wir jetzt die Transformation beschleunigen.

Ich will es noch einmal sehr deutlich sagen: Transformation und Klimaschutz sind kein „nice to have“ in besseren Zeiten, sondern sie sind der Schlüssel für eine bessere Zukunft. Deshalb werden wir als schwarz-grüne Koalition den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen. Wir werden die Transformation der Wirtschaft anpacken.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Das gehen wir mit dem Nachtragshaushalt, den wir am Mittwoch eingebracht haben, jetzt ganz konkret an.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir sagen immer so schön: Wir als Gesellschaft müssen resilienter werden, wir müssen krisenfester werden. Ja, das glaube ich auch. Wir müssen resilienter werden, weil wir gerade mit diesen Krisen konfrontiert sind. Ich glaube, es wird kein Zurückgehen vor diese Zeit geben, sondern wir werden auch in Zukunft weiter mit Krisen umgehen müssen.

Ich bin sehr überzeugt davon, dass wir diesen Krisen nur gut begegnen können, wenn es einen starken Zusammenhalt in der Gesellschaft gibt und wenn wir die soziale Schere wieder schließen können. Denn – daran möchte ich auch noch einmal erinnern – in allen Krisen der vergangenen Zeit haben wir doch erlebt, dass einkommensschwächere Menschen sehr viel stärker von betroffen waren.

Das war in der Coronakrise so, deren Folgen für Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten größer sind als für andere Kinder.

Das war auch in der Hochwasserkatastrophe so. Für sozial benachteiligte Menschen war es sehr viel schwieriger, waren die Hürden sehr viel höher, die Wiederaufbauhilfen zu beantragen.

(Zuruf von Sven W. Tritschler [AfD])

Auch in der aktuellen Energiekrise sind Menschen mit geringem Einkommen sehr viel stärker von den Auswirkungen betroffen.

Wenn wir wirklich gestärkt aus Krisen hervorgehen wollen, dann müssen wir den sozialen Zusammenhalt stärken. Wir müssen für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sorgen.

(Nadja Lüders [SPD]: Wie machen wir das?)

Denn eines ist klar: Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir werden das nicht zulassen. Krisen meistern wir nur zusammen, nicht gegeneinander. Wir bleiben solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, und wir bleiben solidarisch in unserer Gesellschaft. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)