Verena Schäffer: „Ihre Hilfe, Ihr Engagement für die schutzsuchenden Menschen ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation der Geflüchteten aus der Ukraine

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern begegnete mir in meiner Timeline bei Twitter das Foto eines Kleinkindes. Auf seinem nackten Rücken waren mit Edding sein Name und sein Geburtsdatum sowie die Namen seiner Eltern geschrieben. Die Mutter musste mit ihrem Kind aus der Ukraine fliehen, und sie wollte sichergehen, dass ihr Kind identifiziert werden kann, falls sie selbst auf der Flucht getötet würde.

Genau das sind die Berichte aus der Ukraine, die uns die Tränen in die Augen steigen lassen und uns fassungslos machen. Es sind die Berichte vom Leben und von der Flucht aus der Hölle.

Russische Soldaten haben die Vororte von Kiew und weitere Städte und Dörfer in der Ukraine längst zur Hölle gemacht. Das haben uns die Berichte vom Wochenende grausam gezeigt. Was wir in Butscha sehen, sind gezielte Tötungen, Folter und Vergewaltigungen, auch als Teil der psychologischen Kriegsführung.

Auch wenn es die Gräueltaten nicht ungeschehen machen kann: Die Täter müssen vor Gericht gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir haben uns vor zwei Wochen mit der Resolution der demokratischen Fraktionen dazu bekannt, Geflüchteten aus der Ukraine Zuflucht zu bieten. Wir haben eine sichere Ankunft, Unterbringung und Versorgung versprochen. Dieses Versprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erneuern wir mit der heutigen Debatte. Alle Menschen, die aus der Ukraine fliehen müssen, sind bei uns willkommen.

Auch ich möchte mich ganz ausdrücklich bei den vielen engagierten Ehren- und Hauptamtlichen in den Hilfsorganisationen, in den Gemeinden, in den Flüchtlingsinitiativen und auch in den Kommunalverwaltungen bedanken. Ihre Hilfe, Ihr Engagement für die schutzsuchenden Menschen ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar. Vielen herzlichen Dank dafür! Wir sehen das, und wir wertschätzen das auch.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Aber Wertschätzung allein ist nicht ausreichend. Die Kommunen müssen seit inzwischen fünf Wochen wieder in Vorleistung gehen. Sie müssen in dieser Situation flexibel agieren können. Sie sind auf die Unterstützung des Landes angewiesen.

Der Krieg in der Ukraine hat die Kommunen vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt. Wir erleben die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. In Nordrhein-Westfalen kommen täglich Tausende Schutzsuchende an. Es sind vor allem vulnerable Personengruppen: kranke, alte und behinderte Menschen. Es sind vor allem Frauen mit ihren Kindern, häufig noch Babys oder Kleinkindern. Es sind Menschen wie die Mutter und ihr Kind, dem sie seinen Namen mit Edding auf den Rücken schreiben musste. Diese Menschen müssen bedarfsgerecht untergebracht werden: in Hotelzimmern, in wirklich gut ausgestatteten Messehallen.

Diese Kapazitäten jetzt bereitzustellen, ist für die Kommunen nur mit enormer finanzieller Belastung möglich. Deshalb brauchen die Kommunen endlich die Planungssicherheit, welche Kosten in welcher Höhe konkret übernommen werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das alles trifft die Kommunen in einer Zeit, in der sie ohnehin massiv belastet sind: von der Coronapandemie und zum Teil von den Hochwasserschäden. Ein Altschuldenfonds lässt trotz der eigentlichen Zusage, die es einmal gab, immer noch auf sich warten.

Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, wenn Herr Wüst oder Herr Stamp immer wieder mit warmen Worten ankündigen, die Kommunen müssten sich keine Sorgen machen. Die Kommen brauchen jetzt konkrete Finanzzusagen, um sich voll und ganz auf die Aufnahme von Geflüchteten konzentrieren zu können.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Da die Menschen aus der Ukraine gemäß der EU-Richtlinie einen vorübergehenden Schutz und einen Aufenthaltstitel inklusive Arbeitsgenehmigung erhalten, sollten sie aus unserer Sicht den anerkannten Geflüchteten sozialrechtlich gleichgestellt werden. Mit der Aufnahme einer Ausnahme in die Sozialgesetzbücher hätten die Menschen aus der Ukraine einen schnellen Zugang zu Integration auf dem Arbeitsmarkt. Die Gesundheitsversorgung wäre geklärt. Die Grundversorgung für Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen wäre besser geregelt. Außerdem wäre dann die Finanzierung größtenteils über den Bund gesichert. Das ist eine entscheidende Frage für die Kommunen und für die Geflüchteten.

Wir hören aus den Kommunen, dass die Bearbeitung der Anträge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aktuell ein echtes Nadelöhr darstellt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Arbeitsagenturen und die Jobcenter könnten mit ihren Ressourcen die Anträge deutlich schneller abarbeiten. Das würde die Kommunen entlasten und dafür sorgen, dass die Geflüchteten schneller und einfacher die dringend nötige Unterstützung erhalten. Herr Wüst, wenn Sie sagen, Sie wollen Anwalt der Kommunen sein, dann kann ich Ihnen nur mitgeben: Gehen Sie diesen Weg! – Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg.

Ich hätte mir bei der Unterrichtung heute auch eine Information darüber gewünscht, wie und mit welcher Position das Land in die Bund-Länder-Verhandlung geht, denn das ist sowohl für die Menschen, die hierherkommen, als auch für die Kommunen entscheidend.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vor allem ist wichtig, dass die MPK unter Ihrem Vorsitz, Herr Wüst, morgen zu einem Ergebnis kommt und Bund und Länder den Kommunen morgen die klare Kostenzusage machen.

(Beifall von den GRÜNEN und Karl Schultheis [SPD])

Die Kriegsverbrechen in Butscha und an anderen Orten sind unerträglich. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter. Deshalb ist es richtig, dass weitere Sanktionen in Kraft treten werden.

Wir müssen die fatale Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland in kürzester Zeit beenden, in die uns die Politik Angela Merkels und die unkritische und naive Haltung der SPD zu Putin gebracht haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Robert Habeck arbeitet als Bundeswirtschaftsminister jeden Tag daran, dass wir unabhängiger von Russland werden. Das schaffen wir natürlich durch den Kauf fossiler Rohstoffe aus anderen Regionen der Welt. Vor allem schaffen wir das durch den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Wüst, da muss Nordrhein-Westfalen seinen Anteil leisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schaffen Sie die Abstandsregel ab und lösen Sie Ihre selbst geschaffenen Bremsen bei den Erneuerbaren! Es reicht nicht, auch da immer nur auf Berlin zu zeigen und schlaue Tipps zu geben. Werden Sie endlich hier in Nordrhein-Westfalen aktiv! Auch Sie tragen Verantwortung dafür, die Abhängigkeit von Putins Ressourcen zu lösen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben anfangs auch hier in unseren Resolutionen, in unseren gemeinsamen Anträgen sehr, sehr bewusst von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine gesprochen. Ich finde das nicht mehr ganz zeitgemäß. Dieser Krieg wird nicht nur von Putin geführt. Er hat ein Unterstützernetzwerk.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Es sind seine Soldaten, die diese furchtbaren Kriegsverbrechen begehen. Es sind auch Demonstranten auch hier in Deutschland,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

die mit Pro-Krieg-Symbolik auf die Straße gehen und damit die öffentliche Stimmung beeinflussen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU –Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die russische Regierung missachtet und verletzt bewusst und systematisch Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Genau dafür und für die Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Krieges steht das weiße Z. Deshalb muss auch hier in Nordrhein-Westfalen das öffentliche Tragen dieses Symbols verboten und geahndet werden. Wir können eine Symbolik, die für Menschenrechtsverbrechen steht, hier in Nordrhein-Westfalen nicht dulden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unsere Gesellschaft steht für die Werte Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Deshalb ist es die Verantwortung aller Demokratinnen und Demokraten, selbstverständlich weiterhin an der Seite der Ukraine und der Menschen in der Ukraine zu stehen. Wir werden alles dafür tun, dass geflüchtete Menschen aus der Ukraine gut und sicher bei uns aufgenommen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Hovenjürgen [CDU] – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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