Verena Schäffer: „Ich meine, es ist für so ein reiches Land wie Deutschland und für Nordrhein-Westfalen durchaus zu bewältigen, eine menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen zu gewährleisten.“

Antrag der FDP zur Flüchtlingshilfe

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es richtig, dass wir über dieses Thema anders diskutieren und angemessen, dass wir eine ruhige und auch differenzierte Diskussion zum Thema „Flüchtlingspolitik“ haben. Denn es ist ein wichtiges Thema. 51 Millionen Menschen waren Ende 2013 nach UN-Angaben weltweit auf der Flucht. Das ist ein trauriger Rekord, das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg. Flüchtlinge gerade aus den Ländern Syrien, Afghanistan und Somalia bilden die Hälfte der Flüchtlinge weltweit. Allein aus Syrien sind fast 10 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, vor Not und Verfolgung.
Angesichts dieser humanitären Katastrophe, die wir in den Ländern erleben, ist, meine ich, klar, dass nicht alleine die Nachbarländer dieser betroffenen Krisenregionen Flüchtlinge aufnehmen und die Situation bewältigen können, sondern dass natürlich auch wir als reiches Land Flüchtlinge aufnehmen wollen und aufnehmen müssen.
Angesichts dieser Zahlen finde ich es auch wichtig, auf die Wortwahl zu achten. Ich finde diese Diskussion heute sehr ruhig und angemessen, wobei ich solche Wörter wie „Flüchtlingsproblematik“ schon wieder schwierig finde. In den Medien wird häufig von „Flüchtlingswellen“ und „Flüchtlingsströmen“ gesprochen. Davon sollte man nicht sprechen, wenn in Deutschland in diesem Jahr etwa 175.000 Erstanträge vorliegen und in Nordrhein-Westfalen 37.000. Ich meine, es ist für so ein reiches Land wie Deutschland und für Nordrhein-Westfalen durchaus zu bewältigen, eine menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen zu gewährleisten.
Richtig ist aber – deshalb haben wir ja auch momentan die Diskussion in allen Kommunen –, dass die Zahlen steigen, die Kommunen aber in den letzten Jahren Unterbringungskapazitäten abgebaut haben und sich insofern die Situation vor Ort entsprechend darstellt.
Deshalb ist es auch richtig, dass die Kommunen natürlich bei dieser Herausforderung auch die Unterstützung des Bundes und des Landes benötigen.
Es ist auch richtig, dass es europaweite Anstrengungen geben muss, um die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern jeweils zu verbessern.
Aber absolut falsch ist meiner Meinung nach die Feststellung auch in Ihrem Antrag, dass sich mit der Benennung von Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ tatsächlich etwas verändern wird. Schon heute haben wir beschleunigte Verfahren. Insofern finde ich dieses Anliegen schon problematisch. Denn es suggeriert, dass insbesondere Roma aus diesen Herkunftsländern nach Deutschland kommen würden, um unsere Asylrechte zu missbrauchen. Insofern haben wir als Grüne schon deutliche Probleme mit dem Vorhaben, diese Länder als „sichere Herkunftsstaaten“ zu bezeichnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Richtig ist aber, dass man Schlussfolgerungen ziehen muss und nach vorne gucken muss.
Das Erste ist: Der Einzelfall zählt. Das ist ja gerade schon angeklungen. Es gibt ein Recht auf eine individuelle sorgfältige Prüfung und Bearbeitung der Fluchtgründe eines jeden Flüchtlings hier in Deutschland.
Zweitens ist auch richtig, dass NRW die Kommunen unterstützen muss. NRW tut das ja auch mit dem Flüchtlingsaufnahmegesetz. Wir haben gestern im Rahmen des neuen Gesetzes hier ja auch darüber diskutiert. Die Pauschalen werden noch einmal erhöht, gerade im Zusammenhang mit den Zuwanderungen angesichts der Ausgabensteigerungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes nach der Rechtsprechung, die wir auf Bundesebene haben.
Drittens. Richtig ist auch, dass bei Kommunen, die eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes haben, bei den Flüchtlingszuweisungen die Aufnahmen in den Erstaufnahmeeinrichtungen verrechnet werden.
Viertens. Wir sehen Handlungsbedarf, um eine kommunale Entlastung zu erreichen, insbesondere bei den Krankenkosten. Wir können uns als Grüne gut vorstellen, dass wir mit einem Härtefonds die Kommunen mit überdurchschnittlich hohen Krankenkosten unterstützen könnten und unterstützen sollten.
Fünftens. Herr Stamp, Sie hatten gerade gesagt, wir hielten den Kommunen immer eine Mohrrübe vor, wenn es um das Asylbewerberleistungsgesetz und unsere Forderungen zu seiner Abschaffung gehe. Da möchte ich klar sagen, dass ich das für eine wichtige Forderung halte, weil es bedeuten würde, dass die Flüchtlinge ins SGB II kommen und damit das menschenunwürdige Sachleistungsprinzip und eine reduzierte Gesundheitsversorgung abgeschafft würden. Auch – das muss man hier klar sagen – die Kommunen sind dafür. Der Städte- und Gemeindebund erhebt ebenfalls die Forderung nach der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, weil auch die Kommunen in Nordrhein-Westfalen um ungefähr 50 % der derzeitigen Kosten entlastet würden. Insofern ist das eine absolut richtige Forderung.
Ich würde mir wünschen, dass diese Forderung vom nordrhein-westfälischen Landtag nach Berlin getragen wird, damit wir an dieser Stelle schon einmal weiterkommen. Dafür würde ich mir auch die Unterstützung der FDP erhoffen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Bitte seien Sie so nett und bleiben Sie noch einen Moment am Redepult. Denn Herr Kollege Stamp hat sich für eine Kurzintervention gemeldet und erhält jetzt für 90 Sekunden das Wort.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Kollegin, ich wollte eigentlich eine Zwischenfrage stellen. Aber Sie waren mit Ihren Ausführungen fortgeschritten, und ich wollte, dass Sie vernünftig am Stück reden können.
Deswegen möchte ich für mich klarstellen: Ich habe in keiner Form von „Asylmissbrauch“ gesprochen.
(Verena Schäffer [GRÜNE]: Nee, nee, nee!)
Weil Missbrauchsvorwürfe gegenüber Roma usw. im Raum stehen, möchte ich ausweislich des Protokolls betonen, dass das nicht mit meiner Person und unserer Fraktion in Verbindung gebracht wird.
Uns geht es um die Frage, ob mit Blick auf die Minderheiten vom Balkan das individuelle Recht auf Asyl das richtige Instrument ist. Wir sind der Meinung: Das ist es eben nicht. Denn hier geht es darum, dass Gruppen diskriminiert werden. Das ist etwas völlig anderes. Das ist auch eine Problematik, der man sich annehmen muss. Aber das ist über das Asylrecht nicht zu regeln.
Sie von den Piraten können gern den Kopf darüber schütteln. Sie nehmen das alles immer nicht so ganz genau. Aber man muss eben auch, wenn man schwierigen Dingen gerecht werden will, genau sein. Deswegen halten wir diese Diskussion für richtig, wichtig und notwendig. Wir würden uns freuen, wenn sich die Grünen an dieser Stelle auch anschließen würden. – Danke schön.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich will noch einmal klar sagen, dass ich Ihnen nicht unterstellen wollte, dass Sie gesagt hätten, es gebe einen Asylmissbrauch. Aber das klingt in der Debatte insgesamt an. Das war nicht auf Sie gerichtet, sondern das muss man schon klar benennen, dass dieser Vorwurf immer in der Diskussion darüber mitschwingt, ob wir sichere Herkunftsstaaten haben und ob die Menschen, die aus diesen Staaten kommen, die ich gerade genannt habe, hier ein Recht auf Asyl haben oder nicht.
Ganz klar muss in dieser Debatte sein, dass jeder einzelne Fall danach geprüft werden muss, ob wirklich Gründe vorliegen, die für die Gewährung von Asyl ausreichen, und ob eine Verfolgung vorliegt.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das bleibt ja!)
Das stellt auch unser Problem als grüne Fraktion dar. Wir sehen ein Problem darin, dass vorgegaukelt wird, mit den sicheren Herkunftsstaaten würden Menschen schneller abgeschoben. Das stimmt insofern überhaupt nicht. Denn schon heute ist es der Fall, dass bei Menschen, die aus diesen Staaten kommen, vorrangig geprüft wird, ob die Asylgründe vorliegen oder nicht. Insofern würde sich für diese Menschen gar nicht so viel ändern.
Stattdessen nutzt man dieses Argument als billigen Populismus, um zu sagen, man würde die Kommunen entlasten. Das, finde ich, geht zulasten der Menschen, die hierhin kommen und Asyl beantragen. Denn der Vorwurf des Missbrauchs schwingt immer mit.
Ich unterstelle nicht Ihnen, dass Sie das gesagt haben, aber das schwingt in der Debatte mit. Deshalb will ich das so klar benennen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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