Verena Schäffer: „Ich habe gerade noch einmal verdeutlicht, was wir von der Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßigen Eingriff in unsere Freiheitsrechte halten.“

Antrag der Piraten zur Vorratsdatenspeicherung

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede gern mit einem Zitat beginnen:
„Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss.“
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Bravo!)
Wer jetzt meint, dieses Zitat wäre im Zusammenhang mit der anlasslosen und massenhaften Überwachung durch die NSA und den britischen Geheimdienst gefallen, der irrt sich. Denn dieses Zitat stammt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 zur Vorratsdatenspeicherung.
Gegen das Gesetz hat es eine breite Bürgerbewegung gegeben. Es hat 34.000 Menschen gegeben, die Verfassungsbeschwerde genau gegen dieses Gesetz eingelegt und letztendlich auch Recht bekommen haben.
(Zuruf von den PIRATEN)
Denn die anlasslose und massenhafte Vorratsdatenspeicherung stellt einen tiefen Eingriff in unsere Privatsphäre dar.
(Daniel Düngel [PIRATEN]: Eben!)
Mit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung werden alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht gestellt, obwohl sie zu dem Zeitpunkt der Datenerhebung und Datenspeicherung keine Straftaten begangen haben. Das heißt, unsere Daten werden letztendlich präventiv erhoben, präventiv gespeichert, weil es sein könnte, dass wir alle Kriminelle oder Terroristinnen und Terroristen sind. Das heißt, die Unschuldsvermutung wird damit praktisch ausgehebelt, und das halten wir als Grüne – das haben wir immer deutlich gemacht – nicht für verhältnismäßig. Deshalb sprechen wir uns auch gegen eine anlasslose Bevorratung von Daten aus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was durchaus stimmt – das gestehen wir auch zu –, ist, dass keine Daten über den Inhalt der Kommunikation gespeichert werden, sondern „nur“ die Verkehrsdaten. Aber allein mit den Verkehrsdaten kann schon rekonstruiert werden, wer wie lange mit wem und wann von wo aus kommuniziert hat. Damit lassen sich Bewegungsprofile darstellen, weil wir alle – auch alle, die wir hier sitzen – ständig kommunizieren und Daten produzieren.
Deshalb finde ich diesen Satz „Ich habe nichts zu verbergen“ so fatal. Denn schon mit der Speicherung der Verkehrsdaten und der potenziellen Möglichkeit, Bewegungsprofile erstellen zu können, können wir in der Ausübung unserer Freiheitsrechte beeinträchtigt werden.
Oder um mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen – Zitat –:
„ (…) ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“
Diesem Satz des Bundesverfassungsgerichts möchte ich nichts mehr hinzufügen, weil er stimmt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Wir wissen, dass die schrecklichen Anschläge vom 11. September 2001 eine ganze Reihe von Verschärfungen in der Sicherheitsgesetzgebung ausgelöst haben. Dazu gehört auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die eine konkrete Reaktion auf die Terroranschläge in Madrid im März 2004 war.
Allerdings – auch das gehört zur Wahrheit – kann eine Vorratsdatenspeicherung, eine Bevorratung von Daten, keine Terroranschläge verhindern genauso wie eine Videoüberwachung des öffentlichen Raums – das haben wir hier häufig diskutiert – keine Straftaten verhindern kann, sondern allenfalls Informationen für Ermittlungsverfahren liefern kann.
Deshalb finde ich, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht vorgaukeln können, dass es eine Sicherheit gäbe, die es letztendlich nicht gibt, und mit dieser Begründung nicht Bürgerrechte einschränken können.
Derzeit sind – das ist gerade schon angesprochen worden – noch zwei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, in denen die Vereinbarkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit den Grundrechten der Europäischen Union überprüft wird. Wir sind sehr gespannt auf die Entscheidung des Gerichtshofs, die sehr wahrscheinlich schon bald anstehen wird.
Ich meine, dass man, bevor dieses Urteil da ist, vor dieser Entscheidung des Gerichtshofs keine neuen Pläne zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland machen sollte.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Sowohl Vorratsdatenspeicherung als auch Videoüberwachung haben wir hier im Parlament schon diskutiert und werden es wahrscheinlich noch häufig diskutieren. Der Standpunkt der Grünen ist klar. Ich denke, ich habe gerade noch einmal verdeutlicht, was wir von der Vorratsdatenspeicherung als unverhältnismäßigen Eingriff in unsere Freiheitsrechte halten.
Klar ist aber auch – ich denke, das wissen auch alle –, dass wir insofern einen Dissens mit unserem Koalitionspartner haben.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Aha!)
Bekannt ist auch, wie man in entsprechenden Fällen, wenn man in der Koalition zu keinem Konsens kommt, abstimmt. Entsprechend werden wir uns verhalten.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich komme zum Ende. – Ich möchte auch noch etwas in Richtung Piraten sagen, weil es wichtig ist. Sie haben hier einen sehr verkürzten Antrag – zwei Sätze – gestellt. Sie wollten hier offensichtlich nicht wirklich eine qualitativ gute inhaltliche Debatte über dieses Thema führen. Das finde ich sehr schade.
Offensichtlich haben Sie diesen Antrag gestellt, um uns über ein Bundesthema als Koalition zu spalten. Auch das finde ich ehrlich gesagt der Debatte und des Themas nicht angemessen und auch für ein Stück weit populistisch.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von den PIRATEN: Oh!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Schäffer. Es gab noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schwerd, aber Ihre Redezeit ist abgelaufen. Wollen Sie die Zwischenfrage noch zulassen?
Verena Schäffer (GRÜNE): Klar. Bitte.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage noch zulassen. – Die Frage lautet: Wie wollen Sie diskutieren, was eine Vorratsdatenspeicherung ist und was nicht? Was hindert Sie daran, sich jetzt darauf festzulegen oder zu entscheiden, was eine Vorratsdatenspeicherung ist?
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.
Verena Schäffer (GRÜNE): Wir haben momentan keinen Anlass.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Doch, einen Antrag!)
Uns liegt kein Gesetzesvorschlag darüber vor, wie eine Vorratsdatenspeicherung ausgestaltet werden soll. Beim Europäischen Gerichtshof sind zwei Verfahren anhängig. Ich halte es für sinnvoll und notwendig, abzuwarten, wie der Gerichtshof entscheidet. Zum Abstimmungsverhalten hier im Parlament habe ich mich gerade sehr deutlich ausgedrückt.
(Beifall von den GRÜNEN)