Verena Schäffer: „Eine solche aufgeheizte Stimmung, eine solche Gewaltbereitschaft und eine solche Brutalität, wie ich sie da gesehen habe, habe ich bei rechtsextremen Aufmärschen in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen nicht erlebt.“

Aktuelle Stunde auf Antrag von Piraten, FDP und CDU zur Demo der Rechtsextremen/Hooligans in Köln

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

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Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 26. Oktober haben wir in Köln eine der bundesweit größten rechtsgerichteten und muslimfeindlichen Versammlungen seit Langem erleben müssen. Herr Laschet, ich finde, das ist das eigentliche Problem, über das wir diskutieren sollten: Das ist das Thema „Rechtsextremismus“ und wie wir mit menschenfeindlichen Einstellungen in dieser Gesellschaft umgehen. Ich finde es außerordentlich schade und auch peinlich für dieses Parlament, dass das nicht diskutiert wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Natürlich müssen wir auch über den Polizeieinsatz diskutieren. Aber unser eigentliches Anliegen muss doch sein, dass so etwas, wie wir es da am 26. Oktober gesehen haben, nicht noch einmal vorkommt.
(Armin Laschet [CDU]: Dann verbietet es doch!)
Wir müssen über islamfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft diskutieren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das vermisse ich bei Ihnen. Sie müssen bei Wikipedia nachgucken, was Hooligans sind. Das ist doch peinlich. Das kann doch nicht wahr sein!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Drei Tage vor der Versammlung hatten wir eine Innenausschusssitzung, in der unter anderem der Punkt „Salafismus“ auf der Tagesordnung stand. Ich habe dort die Frage gestellt: Wie schätzt denn der Verfassungsschutz diese Versammlung am Sonntag ein? Bei der CDU gab es nur Kopfschütteln: Die Schäffer wieder mit ihren Nazithemen! Da haben Sie sich überhaupt nicht mit dem Thema auseinandergesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Drei Tage später sind Sie plötzlich die Experten dafür. Das ist doch peinlich. Das ist doch beschämend für Sie.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich war an diesem Sonntag auch in Köln. Ich habe mir das auch angeguckt, weil ich häufig Demobegleitung mache und mir häufig Nazidemos angucke, um zu sehen, wie dort die Entwicklungen sind.
Ja, ich war auch schockiert über die Bilder. Bei der Auftaktkundgebung am Breslauer Platz war die Stimmung schon extrem aufgeschaukelt – durch Sprechgesänge, Chorgesänge. Das können die auch alles aus dem Stadion. Auch die rechtsextreme Band „Kategorie C“ hat dort gespielt.
Ich war am Eigelstein dabei, als Neonazis und Hooligans versucht haben, durch die Polizeiabsperrungen durchzubrechen. Als massiv Flaschen geworfen wurden, dachte ich schon: Wenn das so weitergeht, werden wir heute Abend hier viele Verletzte sehen. So massiv war die Gewalt, die dort vonstattengegangen ist. Ich war auch am Ebertplatz dabei, als direkt neben mir ein Übergriff stattgefunden hat und eine Schlägerei losging.
Ja, für mich war das schockierend. Auch für die anwesenden Bürgerinnen und Bürger, für die Anwohnerinnen und Anwohner waren das schockierende Bilder, die wir am 26. Oktober in Köln erleben mussten.
Hier ist den Polizeikräften schon mehrfach gedankt worden. Ich will mich diesem Dank anschließen, weil ich glaube, dass diese Situation vor Ort für die eingesetzten Polizeikräfte alles andere als einfach war. Sie waren einer hohen psychischen, aber auch physischen Belastung ausgesetzt. Ich habe hohen Respekt vor dem, was sie geleistet haben, und ich glaube, dass sie auch Schlimmeres noch verhindern konnten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will Ihnen auch sagen, warum ich hier meine Eindrücke aus Köln schildere. Wie ich gerade schon gesagt habe, bin ich häufig bei Neonazidemos und habe auch schon häufig Polizeieinsätze begleitet. Eine solche aufgeheizte Stimmung, eine solche Gewaltbereitschaft und eine solche Brutalität, wie ich sie da gesehen habe, habe ich bei rechtsextremen Aufmärschen in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen nicht erlebt. Ich glaube, dass ich nicht die Einzige war, die darüber schockiert war, die erschrocken war, die aber auch überrascht war.
Daher gehört zur Wahrheit auch dazu, dass die NRW-Sicherheitsbehörden vor der Versammlung eine Abfrage bei den Sicherheitsbehörden der anderen Länder und des Bundes durchgeführt haben und Polizei und Verfassungsschutz gefragt haben: Wie schätzt ihr das ein? Habt ihr Erkenntnisse? Die haben zurückgemeldet: Ja, punktuell kann etwas passieren. – Dass von dieser gesamten Gruppe dermaßen viel Gewalt ausgehen würde, hat aber vorher keiner eingeschätzt.
Insofern dürfen Sie die Kritik nicht nur an die NRW-Behörden richten. Vielmehr müssen wir diesen Einsatz meines Erachtens auch bundesweit nachbereiten, was die Einschätzungen angeht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
– Das gehört zur Wahrheit dazu, Herr Sieveke, auch wenn Ihnen das nicht passen mag.
(Widerspruch von der CDU)
Das mag Ihnen nicht ins politische Konzept passen. Es gehört aber dazu, wenn Sie differenziert darüber diskutieren wollen, was vor Ort passiert ist und wie die Einschätzung vorher war.
(Zurufe von der CDU)
Die Polizei ist von 4.000 Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgegangen – und auch davon, dass es Gewalt durch Einzelne geben würde. Sonst hätte die Polizei nicht mit vier Wasserwerfern da gestanden. Ich war schon auf vielen Demos. Dass Wasserwerfer in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden, passiert extrem selten. Hier sind sie zum Einsatz gekommen. Die Polizei hatte sie vor Ort.
Man muss aber auch sagen: Die Polizei hat zwar mit Gewalt gerechnet, aber eben nicht mit dieser massiven Gewaltanwendung, nicht mit dieser Qualität von Gewalt. Ja, es stimmt; sowohl bei Hooligans als auch bei Rechtsextremen wissen wir, dass Gewaltbereitschaft ein zentrales Element in diesem Phänomen ist. Das ist bekannt. Aber diese breite Mobilisierung von rechten Hooligans, von gewaltbereiten Neonazis gegen Musliminnen und Muslime in diesem Land und diese massive Gewaltanwendung haben offensichtlich auch die Behörden überrascht.
Die Frage, warum das nicht vorher gesehen wurde, gehört jetzt mit in die Nachbereitung, finde ich.
Ich will aber auch noch etwas zum Komplex „Neonazis und Hooligans“ sagen, weil ich das wichtig finde und weil es mir hier in der Auseinandersetzung gerade mit der CDU fehlt. Sie müssen auf die Inhalte gucken. Sie müssen auf die Phänomene gucken, damit so etwas nicht noch einmal passiert.
(Zurufe von der CDU)
Dass sich Althooligans reorganisieren, ist bekannt. Das wissen wir schon länger. Zum Beispiel in Aachen haben wir das gesehen. Dort wurden die Aachener Ultras, die eher antirassistisch orientiert sind, aus dem Stadion gedrängt – auch durch die Althooligans, beispielsweise durch die Supporters. Das haben wir dort in den letzten Jahren erlebt.
Meines Erachtens hat man viel zu lange davon gesprochen, dass der Sport vermeintlich unpolitisch sei. Er ist nicht unpolitisch. Fangruppierungen sind nicht unpolitisch. Die Hooligans haben schon lange immer wieder auch rechte Symbolik genutzt und sind damit aufgetreten. Gerade die HoGeSa-Bewegung macht doch deutlich, was für rassistische, muslimfeindliche Personen hier zusammenkommen. Von Anfang an waren Neonazis mit dabei – Siegfried Borchardt wurde hier schon genannt, aber auch andere.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu betonen, dass das verbindende Element ja nicht nur die Gewalt ist. Das verbindende ideologische Element ist das Thema „antimuslimischer Rassismus“. Darüber wird mobilisiert. Und darüber müssen wir sprechen; denn der Aufruf gegen den Salafismus ist eigentlich nur ein Deckmantel dafür.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Eigentlich geht es um Rassismus. Es geht um Islamfeindlichkeit. Es geht auch um Hetze gegen hier lebende Musliminnen und Muslime. Das müssen wir aufdecken. Diese Mischung von Hooligans und Rechtsextremen müssen wir entlarven; denn sie versuchen, an gesellschaftliche Einstellungen anzuknüpfen. Hier müssen wir klar und deutlich machen: Sie sind islamfeindlich, sie sind rassistisch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was den konkreten Polizeieinsatz angeht, brauchen wir natürlich eine kritische Nachbereitung. Das machen wir bei solchen großen Demonstrationen immer. Das machen wir auch am 20. November 2014 ausführlich im Innenausschuss. Dazu werden wir ja noch einen ausführlichen Bericht vom Innenministerium bekommen. Dann müssen wir das diskutieren, weil wir – das finde ich wichtig – daraus auch lernen müssen.
Insofern ist es auch für die Polizei wichtig, Nachbereitung zu betreiben. Das schwächt sie nicht, sondern stärkt sie, weil wir damit verhindern können, dass so etwas noch einmal passiert, und weil wir dabei eventuell auch Anhaltspunkte finden werden, warum wir vielleicht in Zukunft solche Demonstrationen, solche Versammlungen verbieten können. Diese Anhaltspunkte brauchen wir.
Insofern müssen wir in die Auseinandersetzung über die Inhalte gehen. Das ist die gemeinsame Aufgabe, der wir uns hier zu stellen haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)


2. Runde:
Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu einer Nachbereitung bin ich aufgrund der Zeit gerade nicht mehr gekommen. Aber eine Nachbereitung eines Polizeieinsatzes ist richtig und wichtig. Das tun wir bei größeren Polizeieinsätzen in der Regel immer im Innenausschuss. Leider beteiligen sich in der Regel weder die CDU noch die FDP an diesen Diskussionen. Das vermisse ich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich bin gespannt auf die Diskussion im Innenausschuss und darauf, ob Sie die Fragen und Vorwürfe, die Sie hier formulieren, dort mit uns ausdiskutieren werden.
Ja, es stimmt, es gibt Fragen. Ich finde es legitim, dass Bürgerinnen und Bürger zum Versammlungsort, zu den Auflagen etc. Fragen haben und diese auch stellen.
Es hat übrigens Auflagen gegeben. Zu behaupten, es gäbe keine Auflagen, ist schlicht falsch. Natürlich hat es Auflagen gegeben. Sie standen vorher im Internet. Man hätte sich darüber informieren können. Die gab es.
Dass es Fragen zum Polizeieinsatz gibt, finde ich legitim. Dass wir diese nachbereiten und beantworten müssen, finde ich richtig. Es geht auch darum, das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Polizei zu stärken. Dazu gehört auch die Nachbereitung eines Polizeieinsatzes.
Ich will noch etwas zum Thema „Verbote“ sagen – Herr Laschet hat zu Beginn angeführt, man hätte im Vorfeld verbieten müssen –: Natürlich ist es für Demokratinnen und Demokraten nur schwer auszuhalten, solche Demonstrationen erleben zu müssen. Das betrifft nicht nur die Demonstration in Köln, sondern auch Demonstrationen in vielen anderen Orten in Nordrhein-Westfalen. In Dortmund haben wir häufig diese Aufmärsche. Es ist schwer zu ertragen, wenn solche Gestalten, solche Rechtsextremisten durch unsere Innenstädte laufen. Ich denke, darüber sind wir uns einig.
Aber ich finde diese Forderung nach Verboten immer etwas zu einfach. Es gibt eine hohe rechtliche Hürde für das Verbot von Versammlungen. Die Versammlungsfreiheit hat Verfassungsrang in unserem Lande. Das ist auch gut so. Versammlungen können nur verboten werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Wir dürfen unsere eigenen Grundrechte auch nicht aufgrund solcher Gruppierungen einschränken. Ganz im Gegenteil: Wir müssen unsere Grundrechte verteidigen.
Ich habe gerade schon gesagt, wenn uns Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer zukünftige Versammlungen dieser Gruppierungen verboten werden können, müssen wir diese konsequent nutzen, damit wir solche Bilder nicht noch einmal erleben müssen.
Herr Lohn, Sie hatten mehrere Vorwürfe angesprochen, auf die ich gerne eingehen möchte.
Ich finde es ziemlich billig, zu sagen, das SEK oder die Reiterstaffel hätten kommen müssen, dann wäre das so nicht passiert. Das SEK gehört fachlich nicht auf eine Demonstration. Das SEK wird bei polizeilichen Sonderlagen wie Geisellagen, bei Entführungen und Erpressungen eingesetzt, aber doch nicht bei Demonstrationen.
Herr Lürbke, zum Thema Eingreiftrupps: Ja, in Bayern gibt es so etwas. Da gibt es die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten. So etwas haben wir aus gutem Grund, wie ich finde, in Nordrhein-Westfalen nicht. In Nordrhein-Westfalen setzen wir auf eine deeskalierende Lage und setzen solche Gruppen nicht ein. Unsere Hundertschaften sind für Demonstrationslagen aus- und fortgebildet. Deshalb sind sie die richtigen Ansprechpartner.
Herr Lohn, ich komme zum Thema „Verfassungsschutz und V-Leute“. Wir hätten seit Inkrafttreten unseres neuen Verfassungsschutzgesetzes keine V-Leute mehr in der rechtsextremen Szene, sagen Sie. – Entschuldigung, aber es ist wirklich ziemlicher Humbug, den Sie hier verbreiten. Aufgrund des NPD-Verbotsverfahrens gibt es keine V-Leute mehr in den NPD-Führungsetagen. Sie sind dort abgeschaltet worden, damit wir das Verbot durchbekommen. Aber das gilt doch nicht für die gesamte rechtsextreme Szene.
Zur Erläuterung muss man zum Verfassungsschutz vielleicht noch einmal sagen: Der Verfassungsschutz darf zu Recht nicht jeden Gewaltbereiten in diesem Land beobachten. Das darf er nur dann, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für die Gefährdung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorliegen, wenn eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegt, aber nicht, wenn Menschen einfach „nur“ gewaltbereit sind. Das ist auch richtig so. Das hat sich durch unser neues Verfassungsschutzgesetz überhaupt nicht geändert. Insofern sind Sie da auf der völlig falschen Spur, wenn ich das einmal so sagen darf.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir diskutieren auch über den FDP-Antrag. Ich habe leider wieder zu wenig Zeit. Aber ich will dazu sagen: Es werden zwei unterschiedliche Sachen miteinander vermengt. Sie führen in Ihrem Antrag aus, auf der einen Seite müssen wir gegen Salafismus vorgehen, auf der anderen Seite gegen die Ho.Ge.Sa. Mit beidem haben Sie recht. Aber Sie können nicht beides miteinander vermengen. Beides sind unterschiedliche Phänomene.
Sie können diese Ausschreitungen von Hooligans und diesen Rechtsextremen gegen Salafismus nicht damit rechtfertigen, dass es den Salafismus gibt. Sie müssen beides voneinander trennen. Das gebietet eigentlich auch die fachliche Auseinandersetzung, dass wir beides entsprechend beurteilen.
(Zuruf von Dr. Robert Orth [FDP])
– Und Sie reden kein Wort über das eigentliche Problem, was wir in diesem Land haben. Das finde ich beschämend, wenn ich das einmal so sagen darf.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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