Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! Wie viele andere von Ihnen war ich in den letzten Jahren immer wieder einmal auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag 326. Insbesondere im Winter, draußen in der Kälte, auch wenn man einen noch so dicken Wintermantel an hat, aber man trotzdem friert, oder wenn man in dem Gebäude der damaligen Entlausungsstation steht – Sie kennen vielleicht die Fotos mit der riesigen Laus außendran –, dann bekommt man so etwas wie den Hauch einer Ahnung davon, wie grausam und menschenunwürdig mit den Kriegsgefangenen umgegangen wurde.
In den Augen der Nationalsozialisten waren die Kriegsgefangenen, insbesondere die sowjetischen Kriegsgefangenen, minderwertig. Sie wurden wie Tiere behandelt.
Ich habe in einem Onlinebericht des WDR aus dem Jahr 2015 nachlesen können, wie das „Westfälische Volksblatt“ über das Eintreffen der ersten Gefangenen damals am 10. Juli 1941 berichtete. In dem Artikel über – Zitat – „bolschewistisches Untermenschentum in deutscher Gefangenschaft“ werden die Gefangenen – Zitat – als „das Primitivste und Niedrigste, das zur weißen Rasse zählt“ bezeichnet. Ich glaube, dass das schon sehr eindrücklich zeigt, wie das Menschenbild der Nationalsozialisten war, wie menschenverachtend, wie hasserfüllt diesen Personen gegenüber.
In den Anfangsjahren mussten die Kriegsgefangenen auf freier Fläche ohne jeglichen Schutz leben. Sie hatten wirklich nur die Sachen, die sie noch am Körper trugen. Sie haben sich Löcher in die Erde gegraben, um angesichts der eisigen Kälte irgendwie Schutz zu bekommen. Das war nicht ungefährlich, weil der Sandboden so instabil war, dass die Löcher einstürzten. Nicht wenige sind unter der Erde begraben worden und erstickt.
Viele der Gefangenen sind verhungert, erfroren, an Krankheiten gestorben, an Schwäche gestorben, und die Nationalsozialisten haben das billigend in Kauf genommen.
Was mich besonders vor Ort, in den Berichten, in den Gesprächen mit den Ehrenamtlichen, die sich vor Ort engagieren, erschüttert hat, was bei mir besonders hängen geblieben ist, das waren vor allem die Berichte darüber – mich hat sehr viel erschüttert, eigentlich alles an diesem Ort –, dass Menschen aus der Region, Anwohnerinnen und Anwohner, tatsächlich so etwas – man will eigentlich das Wort gar nicht sagen – wie Sonntagsausflüge gemacht haben, um sich diese Kriegsgefangenen anzuschauen.
Die schlimme Situation, in der sich die Gefangenen befanden, dass sie in Mulden schliefen, dass sie das Wenige aßen, das sie auf dem Feld fanden, Baumrinden zum Beispiel, mehrte in der Bevölkerung noch die Erzählung von angeblich minderwertigen Menschen, die sich so verhielten, weil ihnen in dieser Landschaft gar nichts anderes übrig blieb, weil sie überhaupt nichts hatten, nicht genügend zu essen bekommen haben, nichts zum Anziehen hatten und sich diese Löcher graben mussten.
Was ich daran wichtig finde, ist, dass das Lager in der Region bekannt war. Es war bekannt, es war in den Anfangsjahren einsehbar, und die Gefangenen wurden zur Zwangsarbeit in der Region eingesetzt, in der Landwirtschaft, in handwerklichen Betrieben, in der Forstverwaltung.
Vom Stalag 326 wurden die Kriegsgefangenen weiter verteilt im Gebiet des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen. Sie wurden unter anderem im Ruhrgebiet im Bergbau eingesetzt. Nur wenige überlebten diese sehr, sehr harte Arbeit unter den unmenschlichen Bedingungen.
Seit Jahren engagieren sich Ehrenamtliche vor Ort in Schloß Holte-Stukenbrock, um das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes aufrechtzuerhalten. Ich will ihnen meine größte Hochachtung und meinen Dank dafür aussprechen, dass sie in all diesen Jahren genau diese Arbeit geleistet haben, eine so wertvolle Arbeit für die Erinnerungskultur.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Ich finde, das zeigt auch – ich glaube, dass wir das alle in der Erinnerungsarbeit unserer Städte vor Ort erleben –, dass wir in diesem Themenfeld, in der Erinnerung an die Zwangsarbeit in der NS-Zeit, noch sehr viel Arbeit vor uns haben, dass diese Erinnerungsarbeit weiterentwickelt und das Wissen über das menschenverachtende System der Zwangsarbeit und die Situation der Kriegsgefangenen in der NS-Zeit vermittelt werden muss.
Mir geht es hier vor allem um zwei Sachen: Ich finde, es geht in allererster Linie darum, ein würdiges Erinnern und Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus zu schaffen und diese Erinnerung zum Teil unseres kollektiven Erinnerns zu machen.
Das zweite wichtige Ziel ist, dass durch die Weiterentwicklung der Gedenkstätte wichtige Bildungsarbeit und auch die Auseinandersetzung mit der NS-Gewaltherrschaft geleistet werden kann. Es ist so wichtig, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Deshalb bin ich froh, dass es jetzt die Einigung über den Ausbau und die Finanzierung der Gedenkstätte gibt; denn die Erinnerung an die Opfer und die Auseinandersetzung mit dem NS-Terrorregime ist Teil unserer Verantwortung. Wir leisten heute einen Beitrag dazu. Deshalb finde ich, ist das ein sehr, sehr wichtiger Antrag, über den wir heute gemeinsam abstimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)