Verena Schäffer: „…dass wir hier schon lange nicht mehr über Einzelfälle reden“

Eilantrag der GRÜNEN im Landtag zum Rechtsterrorismus

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 2. Juni 2019 wurde Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke grausam ermordet.
Wir können uns nicht vorstellen, wie unfassbar das für seine Familie sein muss, wie furchtbar dies für seinen Sohn ist, der den Vater schwer verletzt auf der Terrasse des Hauses fand.
Der Mord erschüttert aber auch deshalb unsere Gesellschaft, weil es sich um eine rechtsterroristische Tat handelt – im Übrigen nur wenige Tage nach dem 70. Jahrestag unseres Grundgesetzes. Für diese Verfassung und die Werte dieser freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie stand auch Walter Lübcke. Deshalb ist der Mord an Walter Lübcke ein direkter Angriff auf diese Demokratie und auf diese Gesellschaft.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Dass die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Altenaer Bürgermeister Andreas Hollstein nach der Tat Morddrohungen erhielten, ist zutiefst erschreckend, zumal beide bereits von Rechtsextremen attackiert worden waren. Das zeigt, dass wir nicht von Einzelfällen sprechen können.
Die Angriffe auf Henriette Reker 2015 und Andreas Hollstein im Jahr 2017, den rechtsterroristischen Anschlag in der letzten Silvesternacht im Ruhrgebiet, aber auch über 200 politisch rechts motivierte Gewaltdelikte alleine im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen zeigen, dass wir hier schon lange nicht mehr über Einzelfälle reden.
Wir reden über ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus und – ich finde, man muss auch sagen – mit Rechtsterrorismus in diesem Land. Das muss man erkennen, um wirksam dagegen vorgehen zu können.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Der Anschlag auch Walter Lübcke ist auch deshalb so besorgniserregend und furchtbar, weil er so deutliche Parallelen zu den NSU-Morden aufweist: der grausame Mord aus nächster Nähe, der einer Hinrichtung gleichkommt und das fehlende Bekennerschreiben, denn wir wissen, dass auch der NSU keine Bekennerschreiben brauchte, weil im Rechtsextremismus die Tat schon die Botschaft ist.
Eine weitere Parallele ist der Einschüchterungsversuch. Auch der NSU hat versucht, in den migrantischen Communitys Angst zu schüren. Der Mord an Walter Lübcke soll offenbar auch ein Einschüchterungsversuch sein, um Angst bei demokratischen Politikerinnen und Politikern zu erreichen.
Auch der Tatort und die Neonazistrukturen sind von hoher Relevanz. Es bestehen engste Verbindungen der rechtsextremen Szenen in Dortmund und Kassel, die über die Neonazi-Band „Oidoxie“ und offenbar auch über „Combat 18“ zusammenlaufen.
Wir konnten hier in NRW im NSU-Untersuchungsausschuss zwar nicht nachweisen, dass es ein Unterstützernetzwerk des NSU gab; wir konnten aber sehr wohl und sehr dezidiert nachweisen, dass es Waffen, dass es Ideologie und dass es die Gewaltbereitschaft bei den Neonazis in Dortmund und Kassel gibt.
Deshalb fände ich es fatal, wenn sich die Sicherheitsbehörden jetzt nur auf den sehr eng gefassten Begriff der strafrechtlichen Mittäterschaft beziehen würden.
Nein, ich finde es total wichtig und relevant, dass es die Aufklärung von rechtsextremen Netzwerken gibt, um in Zukunft Taten hoffentlich zu verhindern.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ein Schlüssel ist aber aus meiner Sicht die Organisation „Combat 18“, der sogenannte bewaffnete Arm des verbotenen Blood-and-Honour-Netzwerkes, eine Organisation, die klandestin ist, die Schießtrainings abhält und deren zwölf Mitglieder in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren 84 Straftaten begangen haben.
Mir ist völlig unverständlich, warum „Combat 18“ nicht im Jahr 2000 als Teilorganisation von „Blood and Honour“ verboten wurde.
Ich weiß, Herr Reul: Über Verbote redet man nicht; man erlässt sie. Deshalb fordere ich Sie heute auch gar nicht auf, hierzu etwas zu sagen. Aber ich fordere Sie auf zu handeln. Herr Reul, sorgen Sie bitte dafür, dass der Bundesinnenminister im Verbund der Sicherheitsbehörden die rechtsterroristische Organisation „Combat 18“ verbietet und ihre Strukturen zerschlägt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Klar ist aber auch – das möchte ich nochmals in aller Deutlichkeit sagen –, dass Repression nur ein Teil der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ist. Ich sehe – ausgehend von dem Fall Lübcke – besonders die Politik in der Verantwortung, ich sehe uns in der Verantwortung.
Wir als Politikerinnen und Politiker sind dafür verantwortlich, wie wir über Themen diskutieren und ob sich demokratische Parteien vom parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus treiben lassen.
Schon die Täter des Anschlags auf das Haus der Familie Genç im Jahr 1993 sahen sich als legitime Vollstrecker eines vermeintlichen Volkswillens – übrigens, und das ist wichtig, nur drei Tage nach der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl im Grundgesetz.
Rechtsextreme Straftaten – das muss man erkennen – passieren ja nicht im luftleeren Raum. Sie passieren nicht einfach so, sondern sie finden immer in einem gesellschaftlichen Kontext statt. Rechtsextreme nehmen gesellschaftliche und politische Stimmungen als Legitimation für ihre Taten. Das ist wichtig, um zu verstehen, worauf es ankommt.
Wir Demokratinnen und Demokraten sind in der Pflicht, der Verrohung der Sprache und einer weiteren Diskursverschiebung nach rechts Einhalt zu gebieten. Nur so können wir gemeinsam den Neonazis den Boden für ihre vermeintliche Legitimation ihrer menschenverachtenden Taten entziehen, und ich glaube, dass die Taten in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich gezeigt haben, wie notwendig es ist, dass wir dies tun. – Vielen Dank.
 (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch bezeichnend, dass die AfD die einzige Fraktion ist, die zum Mord an Walter Lübcke heute keinen Tagesordnungspunkt beantragt hat.
(Helmut Seifen [AfD]: Ach!)
Und es ist gekommen wie befürchtet: Die Tat wurde verharmlost.
Der politische Hintergrund der Tat hat durchaus eine sehr hohe Relevanz; denn Walter Lübcke ist aufgrund seiner Haltung ermordet worden. Deshalb muss man hier auch so deutlich benennen: Rechtsextremismus und Rassismus können tödlich sein. Es ist die Ideologie des Rechtsextremismus, dazu aufzurufen, Gewalt zu begehen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Ich möchte Herrn Kutschaty und viele andere, die es ebenso gesagt haben, unterstützen: Wir sprechen heute auch über die Morddrohungen gegenüber Henriette Reker und gegenüber Andreas Hollstein. Ich finde es aber ebenso wichtig, zu sagen, dass auch Menschen aus der Zivilgesellschaft angegriffen werden.
Hier in Nordrhein-Westfalen gab es im Jahr 2018 über 200 Gewaltdelikte: An mehr als jedem zweiten Tag wird in NRW ein Mensch Opfer rechter Gewalt. Es werden Menschen aufgrund ihres Migrationshintergrundes, aufgrund ihrer Religion, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen. Ich finde es wichtig – so verstehe ich auch die heutige Debatte –, dass alle Opfer rechter Gewalt die Solidarität der demokratischen Gesellschaft erfahren.
(Beifall von den GRÜNEN und Henning Höne [FDP] – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ein Baustein fehlt mir in der heutigen Debatte aber noch, und deshalb habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Der NSU und der NSU-Untersuchungsausschuss sind bereits benannt worden. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass wir im NSU-Untersuchungsausschuss eine wirklich sehr gute und breite, fraktionsübergreifende Zusammenarbeit hier im Landtag hatten. Ich bin der Meinung, dass man daraus noch viel ziehen kann.
Wir haben gemeinsam einen ganzen Katalog von Handlungsempfehlungen für die Sicherheitsbehörden, für den Umgang mit Rechtsextremismus und für die Unterstützung von Opfern rechter Gewalt aufgestellt. Diese müssen jetzt umgesetzt werden.
Ich weiß, dass das Innenministerium und Herr Reul davon ausgehen, sie seien bereits umgesetzt. Das ist aber nicht der Fall. Ich kann an mehreren Stellen deutlich machen, dass nicht alle Handlungsempfehlungen umgesetzt worden sind. Ich nenne Ihnen ein Beispiel.
Wir haben gesagt, dass Opfer rechter Gewalt unterstützt werden müssen. Wir haben dafür schon im Jahr 2011 zwei Opferberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen eingerichtet, und wir haben immer gesagt – auch im NSU-Untersuchungsausschuss –, dass wir wollen, dass Polizeibehörden Opfer rechter Gewalt proaktiv auf diese Stellen aufmerksam machen. Das geschieht bis heute immer noch nicht.
Das war nur ein Beispiel, und ich will Sie, Herr Reul, und die Landesregierung bitten: Setzen Sie diese Handlungsempfehlungen um. Wir haben sie gemeinsam mit CDU, FDP, SPD, Piraten und uns Grünen erarbeitet. Ich meine, darin steckt viel Gutes. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie umgesetzt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und Andreas Kossiski [SPD])
Herr Laschet, Sie haben zu Recht gesagt, dass es sich um den ersten politischen Mord an einem Staatsvertreter handelt. Das ist von hoher Relevanz. Natürlich sollte dieser Mord dazu dienen, dass all diejenigen, die auf den verschiedenen staatlichen Ebenen Politik betreiben – viele von ihnen auf ehrenamtlicher Basis –, eingeschüchtert werden, wenn sie eine klare Haltung zeigen und klar die Werte unseres Staates vertreten. Deshalb ist es wichtig zu benennen: Das war der erste politische Mord an einem Staatsvertreter.
Wenn wir über den Rechtsextremismus diskutieren, kommt mir immer ein Zitat von Jens Stoltenberg in den Sinn. Er hat nach diesen furchtbaren Anschlägen im Jahr 2011 in Norwegen auf ein politisches Jugendcamp auf der Insel Utøya und in Oslo gesagt: „Unsere Antwort lautet: Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“
Für mich ist das keine Floskel – ganz im Gegenteil. Für mich ist dieses Zitat ein Handlungsauftrag, den wir alle zu erfüllen haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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