Tim Achtermeyer: „Wir müssen die Menschen befähigen, auch arbeiten zu dürfen“

Zu Anträgen der Fraktionen von SPD, FDP und "AfD" zu kommunalen Flüchtlingsunterkünften

Portrait Tim Achtermeyer

Tim Achtermeyer (GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von Christof Rasche [FDP] – Gegenruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

– Jungs, kriegt ihr das hin oder soll ich dazu kommen?

(Heiterkeit)

Gerade wurde sehr viel über Ideologie geredet und darüber, dass die Ideologie die treibende Kraft sei. Ich nenne Ihnen mal die Ideologie, auf der unser Rechtssystem in dieser Frage fußt, nämlich die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.

(Christian Dahm [SPD]: Mit einer vernünftigen Begrüßung erst mal anfangen!)

Das ist die Rechtsgrundlage. Der Geist dieser Konvention war der Gedanke: „Vielleicht könnte ich es sein, der fliehen muss, und vielleicht sollte ich deshalb den Rechtsanspruch so fassen, dass ich mir auch vorstellen könnte, ihn erfüllen zu müssen.“ – Es täte uns bei dieser Debatte sehr gut – gerade bei der Debatte über Menschen aus Syrien und aus Afghanistan –, wenn uns dieser Geist innewohnen würde. Diesen vermisse ich allerdings.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Jetzt zu den Zahlen: Es stimmt, dass 2015 85.000 Plätze vorhanden waren. Es waren nicht alles Turnhallen – auch das ist richtig –, aber es waren 69.000 Plätze in Notunterkünften: Schützenheime, Turnhallen, Gemeindesäle, Zeltstädte. – Ich will nicht, dass wir wieder diesen Zustand erreichen. Das ist nicht unser Plan. Wir wollen gute Unterkünfte haben. Deswegen zählt die Zahl auch nicht.

(Beifall von den Grünen und der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Was ist denn Ihr Plan?)

Den Kommunen wirklich helfen würde – es tut mir leid, das zu sagen –, wären vernünftige Abkommen, die Joachim Stamp irgendwann auch mal auf den Tisch legen muss. Das ist der Fall. Da kommt einfach zu wenig

(Marc Lürbke [FDP]: Dann dürfen Sie nicht so lange warten! – Gegenruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Belege, Herr Kollege! Belege bringen!)

Was den Kommunen wirklich helfen würde, ist zum Beispiel der erste Punkt aus dem Sechspunkteplan: die Eins-zu-eins-Anrechnung von Geflüchteten in Landesunterkünften für Kommunen. Das hilft. Deswegen kommen wir der Verantwortung – diese haben wir natürlich –, konkrete Maßnahmen auf den Tisch zu legen, sehr wohl nach, und zwar jeden Tag. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich daran beteiligen würden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es ist absolut richtig, dass es eine riesige Herausforderung ist. Ich finde aber: Wir müssen als Demokrat*innen auch ein bisschen aufpassen, dass wir die Organisationunfähigkeit des Staates nicht selbst herbeireden. Das habe ich vorhin bemerkt. Am Ende hilft es nur den Falschen. Mein Appell ist deswegen: Lassen Sie uns das nicht tun. Dieser Staat ist stark in dem, was er zu können vermag.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Darüber hinaus plädiere ich dafür, dass wir verschiedene Probleme, die wir gerade haben, zusammen diskutieren. Wir haben den größten Arbeits- und Fachkräftemangel aller Zeiten in dieser Republik. Ich bin kein Sozialromantiker; ich weiß, dass es schwierig ist, Integration zum Gelingen zu bringen. Aber wenn man zwei Jahre lang nicht weiß, was passiert, nicht weiß, ob man bleiben darf oder nicht, nicht arbeiten darf, das Prüfverfahren nicht vorankommt, keine Praktika machen darf, dann dürfen wir uns nicht beschweren, dass die Menschen in Sozialsystemen sind. Das ist dann scheinheilig. Wir müssen die Menschen befähigen, auch arbeiten zu dürfen,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

und dazu braucht es auch die Bundesarbeitsagentur mit Sozialdemokraten an der Spitze.

Überall hängt es doch aus: „Aushilfe gesucht“, „Praktikum gesucht“, „Teilzeit gesucht“. Lassen Sie uns gucken, dass wir das ein Stück weit nutzen. Das ist nicht die Lösung für alles, aber ein elementarer Schritt, den wir gehen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniel Scheen-Pauls [CDU])

Meine Damen und Herren, ich mache mir gerade Sorgen. Ich habe den AfD-Bundesparteitag gesehen, wo jemand gesagt hat: Mein Name ist Arnold, das A steht für „Abschieben“. – Ich nehme wahr, dass dieser Diskurs – ich will niemandem vorwerfen, dass er so denkt – langsam ins bürgerliche Milieu und auch darüber hinaus einsickert.

Es braucht dann und immer in herausfordernden Zeiten ein Unterhaken von Demokrat*innen: dass das keine Haltung ist, dass das unmenschlich ist und dass wir damit nichts zu tun haben, dass unsere Haltung Humanität, Pragmatismus und lösungsorientiert ist – Chancen sehen und gemeinsam heben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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