Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe schon einige eumelige Anträge der AfD gelesen. Aber dieser Antrag ist wirklich die Krönung. Sie versuchen nichts anderes, als sich in das Erbe der DDR-Bürgerrechtsbewegung zu stellen. Ich muss wirklich sagen, dass das an Absurdität, an Dreistigkeit und, ehrlich gesagt, auch an Respektlosigkeit gegenüber den Opfern der DDR eigentlich nicht zu überbieten ist.
Die Wahrheit ist doch, dass es die AfD ist, die sich insgeheim nach der Einheitlichkeit in der DDR sehnt und sie eigentlich will, weil sie eigentlich ihr Gesellschaftsmodell ist. Sie wollen doch eine Gesellschaft, in der alle nach Ihren Vorstellungen denken. Früher hat die SED bestimmt, was richtig und was falsch ist. Heute will das Ihr Vorfeld entscheiden. Wie Frauen sich zu kleiden haben,
(Dr. Christian Blex [AfD]: Das machen Ihre Einwanderer!)
wie das Familienbild sein soll, wer zu uns gehört: Was in der DDR früher der Klassenstandpunkt war, ist für die AfD heute der deutsche Patriotismus. Wer nicht mitzieht, wird als „Schlafschaf“ oder als „Handpumpe“ abgestempelt.
Ihre Angriffe auf die Meinungsvielfalt verhöhnen alles, was die Bürgerrechtsbewegung in der DDR friedlich erkämpft hat.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Sie schreiben – das ist wirklich der Gipfel –, Sie seien die Verteidiger der Freiheit. Da muss man einmal in die Außenpolitik gucken. In der DDR haben sich Menschen auf den Weg gemacht, weil sie für Eigenständigkeit gekämpft haben – übrigens vor dem Kreml –, und heute ist es Ihre Fraktion, die die Ukraine Putin sofort vor den Bus schubsen würde, weil Ihnen die Freiheit der Menschen dort nämlich egal ist.
Ihnen ist Freiheit nur dann wichtig, wenn es Ihre Freiheit ist. Es ist ein absolut egoistisches Freiheitsbild, das Sie haben.
Noch nie haben Sie sich für die Freiheit von Frauen, über ihren Körper zu entscheiden, die Freiheit von Männern, die zusammen einen CSD organisieren wollen, und die Freiheit von Menschen, nicht aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert zu werden, interessiert. Diese Freiheit bekämpfen Sie doch jeden Tag.
Deswegen sollten Sie von Freiheit nie wieder reden; denn Sie haben ein egoistisches Freiheitsbild.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Ihre Inszenierung als Erben der DDR-Bürgerrechtsbewegung ist wirklich die größte Geschichtsklitterung, die ich jemals gesehen habe. Ich finde es auch absurd. Es ist absurd. Sie stellen sich in das Erbe derjenigen, die für Pressefreiheit gekämpft haben, und argumentieren bei jeder kritischen Berichterstattung, es handele sich um Lügenpresse. Sie stellen sich in das Erbe derjenigen, die gefordert haben: „Wir wollen frei forschen können“, und diskreditieren diejenigen, die sagen: Es gibt einen menschgemachten Klimawandel.
(Lachen von Christian Loose [AfD])
Sie stellen sich in das Erbe derjenigen, die Freiheit für Kunst und Wissenschaft erkämpft haben, und wollten – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – in Thüringen 2018 Schulbücher von sogenannten linken Tendenzen befreien. Sie wollten in Dessau ein Theaterstück verbieten, weil es angeblich linksextrem war. Wenn Sie statt „linksextrem“ „konterrevolutionär“ gesagt hätten, hätte Margot Honecker eine Freudenträne verdrückt; denn das ist die Tradition, in der Sie sich befinden.
Was Sie jeden Tag machen, ist alles andere als die Verteidigung der Erfolge der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Es ist ein Angriff auf diese Erfolge.
Sie stehen auch nicht in einer Reihe mit den Opfern der DDR, weil sie gar keine Opfer sein wollten. Sie wollten Demokratie erkämpfen. Und Sie wollen die Opferrolle einnehmen, um Demokratie von innen zu bekämpfen. Das ist der Kernunterschied.
Wolf Biermann sagt richtigerweise: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie.“ „Die“ sitzen da. Da haben Sie sie. Dieser Antrag ist Ausdruck dessen.
Sie missbrauchen die Freiheit, die die Demokratie Ihnen gibt. Sie sprechen von Meinungsdiktatur und Zensur. Sie stehen doch hier. Sie können doch all Ihre Reden, Ihre plumpen Rhetoriken, Ihre auswendig gelernten TikTok-Phrasen und Telegram-Chats hier von sich geben.
(Markus Wagner [AfD]: Nur kein Neid!)
Mit einem müssen Sie aber rechnen; denn auch das ist Kern von Demokratie. Man kann in der Demokratie vieles sagen, muss aber damit leben, dass Leute widersprechen. Ich jedenfalls werde das immer wieder tun. Es macht mir auch eine gewisse Freude.
In einer Demokratie gehört auch dazu, dass Sie damit leben müssen, wenn Menschen Nein zu Ihren Vorschlägen sagen. Auch das mache ich mit großer Freude. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)