Tim Achtermeyer: „Das Fundament unserer Werte steht“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zu den Konsequenzen des Anschlags von Solingen

Portrait Tim Achtermeyer

Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Terroranschlag in Solingen wurde von einem Mörder ausgeführt, aber er hatte nicht nur einen Täter. Hinter jedem islamistischen Täter und jeder verachtenswerten islamistischen Tat stehen Hintermänner; Menschen, die den Islam zum Islamismus pervertieren, die radikalisieren, die menschenverachtende Hetze verbreiten. Genauso klar, wie man die Terroristen bekämpfen muss, müssen wir auch endlich die Hintermänner, die Radikalisierer und die Hetzer in den Fokus nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie sind überall auf dem ganzen Globus verteilt. Sie radikalisieren jeden, der ihnen in die Finger kommt, übrigens völlig unabhängig von Nationalität und Hautfarbe. Sie radikalisieren in unseren Geflüchtetenunterkünften, sie radikalisieren unsere Kinder – der Ministerpräsident hat das zu Recht gesagt –, und sie radikalisieren unsere Nachbarn. Deswegen müssen wir uns vor unsere Kinder und Nachbarn stellen und nicht zulassen, dass sie in diese Radikalisierungsfalle geraten.

(Beifall von Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im Geschäftsbereich der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, aus den Reihen der Abgeordneten)

Die Radikalisierung funktioniert nicht mehr wie noch vor zehn Jahren über den persönlichen Kontakt, sondern sie funktioniert mittlerweile über TikTok. Dort werden in 30 Sekunden scheinbar harmlose Fragen, die Jugendliche umtreiben, beantwortet. Zum Beispiel: Ich bin verliebt. Darf ich ein Mädchen küssen, obwohl ich nicht verheiratet bin? Darf ich als gläubiger Muslim beim Ordnungsamt arbeiten, obwohl ich Schanklizenzen kontrollieren muss? Darf ich Freunde haben, die nicht gläubig sind? – Die Antworten – ich rate Ihnen allen, es sich mal anzugucken – sind immer ein sehr verständnisvolles, aber klares Nein. Die Antwort dieser offenen Gesellschaft muss aber „Ja“ lauten. Ja!

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Wir müssen an mehreren Fronten ansetzen. Es darf nicht sein, dass islamistische Influencer ungestört menschenfeindlichen Hass und Propaganda unter unseren Kindern und Nachbarn verbreiten. Der Staat muss eingreifen. Wer unsere Freiheit missbraucht, um sie zu zerstören, muss mit unserem erbitterten Widerstand rechnen.

Plattformen wie TikTok fördern durch ihre Algorithmen die Verbreitung extremer Inhalte. Wer das ignoriert oder wie TikTok diese sogar indirekt unterstützt, mit dem müssen der Gesetzgeber und vor allem die europäische Ebene in den Konflikt gehen.

Wo Unsicherheit und Perspektivlosigkeit herrschen und man nicht weiß, was mit einem passiert, da setzen diese Radikalisierer an und bringen das Gift und den Hass zu den Menschen. Auch deswegen ist es wichtig, dass da, wo das passiert und wo Unsicherheit entsteht – das passiert auch im Asylverfahren – schnell Klarheit herrscht. Perspektivlosigkeit und Unsicherheit sind das Gift bei Radikalisierungen.

Deswegen braucht es in jeder Hinsicht ein funktionsfähiges Asylsystem, und zwar im Hinblick auf Personal und Unterkunft. Es ist gut, dass Josefine Paul hierbei bedacht und durchdacht vorgeht und nicht nur bereits Sachen umgesetzt hat, sondern weiterhin Punkte auf den Tisch legt, die zeigen, wie es gehen kann. Dafür erneut vielen Dank!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir müssen unsere Kinder und unsere Nachbarn gegen diese islamistische bzw. gegen jede radikale, menschenfeindliche Propaganda resilient machen. Junge Menschen müssen erkennen, dass ihre Stärke in ihrer Individualität liegt.

In den Schulen müssen wir klarstellen, dass der Islam eine Religion, aber Islamismus Terror ist. Da gibt es einen Unterschied, und den benennen wir. Wenn islamophobe Sachen in die Schulen gebracht werden, widersprechen wir dem. Wir stellen uns vor unsere Nachbarn, denn der Kampf gegen den Terror darf nicht zu Islamophobie führen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Viele Muslime hier im Land, aber auch junge Menschen zweifeln gerade, wenn sie nach Gaza schauen oder die eine oder andere AfD-Rede hören, ob sie noch ein Teil dieser Gesellschaft sind. Die demokratische Mitte muss deshalb sagen: Ja, ihr seid ein Teil dieser demokratischen Gesellschaft. Wir kämpfen um euch, und wir verteidigen euch vor Radikalen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es gilt, nach außen hart entschlossen zu handeln und unsere Freiheit mit einem klaren Kopf und starken Strukturen zu verteidigen. Nach innen gilt es, aufeinander achtzugeben und das zu schützen, was uns zusammenhält. Solingen hat uns als Einzelne und als Gesellschaft tief erschüttert, aber das Fundament unserer Werte steht.

Wir werden den Islamismus nur dann hart, mit Entschlossenheit und kühlem Kopf bekämpfen können, wenn wir das hochhalten, was er im Kern bekämpft: unsere Wertegrundlagen. Denn aus dem, was Islamisten am meisten verabscheuen – unsere Humanität, unsere Freiheit und unseren Individualismus –, kann erwachsen, was die Islamisten am meisten fürchten: unsere Entschlossenheit, diese Werte gemeinsam zu verteidigen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Tim Achtermeyer (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil die Kollegin Zacharias von der AfD suggeriert hat, der Islam sei das Problem.

Mein Opa kam in den 1960er-Jahren nach Deutschland. Er hat sich hier den Arsch abgearbeitet. Er hat eine Christin geheiratet, hat Kinder in die Welt gesetzt, hat dieses Land lieben gelernt und das Land ihn. Ich lasse es nicht zu, denn er war Moslem, dass Sie seine Lebensleistung und die von Millionen anderen in diesem Land derart diskreditieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wer die Komplexität von großen Problemen auf eine Personengruppe oder sogar eine Religion reduziert, der ist im Kern menschenfeindlich. Das ist das Problem. Da werde ich immer widersprechen und die Demokraten auch, egal, von wem es kommt, egal, ob es mittlerweile aus diesem Parlament von ganz rechts kommt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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