Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir stehen stabil. Gleichzeitig muss man sagen: Der Streik nervt. Dieser Streik nervt jeden Einzelnen – auch mich.
(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das ist das Ziel vom Streik! – Rodion Bakum [SPD]: Dann ist der Streik gut!)
– Ich komme ja dazu. Beruhigen Sie sich.
Streik muss auch nerven. Streik ist ein bisschen wie Medizin. In homöopathischen Dosen funktioniert es nicht. Ein Streik, der nicht nervt, funktioniert nicht. – Das ist erst mal der grundsätzliche Gedanke.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Rodion Bakum [SPD])
Die FDP fordert jetzt eine Optimierung. Ich habe bei der FDP immer im Ohr: Bevor man ein neues Gesetz macht, muss man erst mal überlegen, ob es nicht mildere Mittel gibt, die zu demselben Ergebnis führen – Hashtag „Bürokratie“.
Wenn ich mir anschaue, was Sie fordern, dann glaube ich, dass es andere Mittel gibt.
Erstens. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Das Bundesarbeitsgericht sagt in höchstrichterlichen Entscheidungen, auch mit Bezug auf das Verfassungsgericht: Die Verhältnismäßigkeit gilt sowieso und es ist theoretisch eine Möglichkeit für Arbeitgeber, sich darauf zu berufen und dann zu klagen. – Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt schon jetzt, deswegen muss man es nicht rechtlich noch mal neu einordnen.
Zweitens. Ist nicht beispielsweise eine gesellschaftliche Debatte mindestens genauso sinnvoll wie der Hammer des Gesetzes? Wenn man sich ansieht, dass auch Robert Habeck, auf den Sie sich bezogen haben, gesagt hat, es müsse wieder geredet werden, und dass viele andere Akteure das überparteilich getan haben – es wird wieder geredet, GDL und Deutsche Bahn –, dann ist, glaube ich, das Ergebnis erreicht. Dann braucht es kein neues Gesetz.
Dass mal ein Grüner der FDP sagen muss: „bitte keine neuen Gesetze, sondern auf die bestehenden Möglichkeiten achten“, hat eine gewisse Komik. Aber ich glaube, es trifft den Punkt, dass wir die neuen, von Ihnen vorgeschlagenen Gesetze nicht brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Der Eindruck ist: In Deutschland wird jede Woche gestreikt. Aus diesem Eindruck entspringt der Bedarf, das Ganze besonders hart rechtlich anzugehen. Manchmal hilft es aber, alles ein bisschen ins Verhältnis zu setzen.
Schauen wir uns die Streiks in Deutschland und in anderen Ländern an: Deutschland im Jahr 3 Wochen, Frankreich und Belgien 13 Wochen, Kanada 11 Wochen, Dänemark 7 Wochen. Auch Finnland, Spanien, Norwegen und die Niederlande haben mehr Streiktage als Deutschland. Wir sind also mit dem aktuellen Streikrecht ganz gut beraten und sollten es nicht weiter einschränken, weil wir ohnehin im Vergleich zu anderen Ländern ein relativ restriktives Streikrecht haben. Das stellt sich beispielsweise auch nach den von mir zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen so dar.
Was mich drei Wochen nervt, ist Streik. Was mich aber jeden Tag nervt – und ich bin Grüner, ich verbringe quasi die Hälfte meiner Zeit in Zügen –, ist eine zerbröselnde Infrastruktur, sind Züge, die nicht kommen, ist Personalausfall.
Es macht viel mehr Sinn, darauf zu gucken und das zu lösen. Dazu würde ich mir mehr Initiativen vom Bundesverkehrsminister wünschen, denn das nervt alle hart arbeitenden Menschen in Deutschland jeden Tag.
(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Schnelle [CDU] – Zurufe von Dietmar Brockes [FDP] und Franziska Müller-Rech [FDP])
– Die CSU hat da einiges mitzuverantworten, das ist wahr. An der Stelle haben Sie absolut recht.
(Kirsten Stich [SPD]: Aha!)
Im Übrigen gilt: Das beste Mittel gegen Streiks sind gute Tarifverträge. Davon brauchen wir in Nordrhein-Westfalen mehr und nicht weniger.
Es braucht eine Kultur im Betrieb, bei der man auch als Arbeitnehmer das Gefühl hat: Es geht gerecht zu. – Wenn man dann sieht, dass bei der Bahn die Infrastruktur zerbröckelt und gleichzeitig Millionenboni gezahlt werden, dann entsteht zu Recht ein Ungerechtigkeitsgefühl. Das muss beendet werden.
Es braucht mehr gute Tarifverträge, mehr Gerechtigkeit im Unternehmen und eine bessere Infrastruktur. Das sind die Themen, um die es gehen sollte. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)