Stefan Engstfeld: „Statt einer Nulltoleranzstrategie fordern wir eine Vielzahl von auf den Einzelfall angepassten Maßnahmen“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Jugendkriminalität

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir einmal positiv an: Liebe Koalitionsfraktionen, der Änderungsantrag, den Sie zu Ihrem eigenen Ursprungsantrag gestellt haben, ist schon einmal eine Verbesserung.
Das sehen wir zwar, wundern uns allerdings nicht wirklich, weil Sie dankenswerter- und sinnvollerweise einiges aus unserem grünen Entschließungsantrag in Ihren Änderungsantrag haben einfließen lassen.
Aber ich muss Sie direkt enttäuschen: Es reicht dann doch nicht für eine Zustimmung zum Änderungsantrag oder zum Ursprungsantrag. Warum? Uns fehlen wichtige Punkte.
Ich schließe einmal bei der Kritik der sozialdemokratischen Kollegin Kapteinat an. Das Thema „Warnschussarrest“ fehlt bei Ihnen eigentlich völlig, respektive es fehlt eine kritische Auseinandersetzung oder Beschäftigung mit diesem Thema. Eine politische Forderung in Richtung wenigstens einer Verbesserung des Warnschussarrestes oder gar einer Abschaffung fehlt bei Ihnen komplett.
Wir Grünen hingegen hinterfragen, wie auch die SPD, den Warnschussarrest; denn dieser hat keinen wissenschaftlich erwiesenen Nutzen. So hat unter anderem eine Studie, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben wurde, klar gezeigt, dass der Warnschussarrest keinerlei positive Auswirkungen auf die Rückfallwahrscheinlichkeit hat. Deswegen sind wir dafür, ihn wegen Unwirksamkeit abzuschaffen.
Fast alle Expertinnen und Experten waren sich zudem in Sachen Nulltoleranzstrategie einig. Frau Kollegin Erwin, Sie haben hier gerade eine interessante Variante der Nulltoleranzstrategie definiert. Aber in Ihren bisherigen Argumentationen gehört natürlich immer auch die Härte des Gesetzes mit dazu. Diesbezüglich haben wir in der Anhörung im Juli dieses Jahres noch einmal etwas gehört. Fast alle Expertinnen und Experten waren sich einig, dass es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass härtere Strafen der Abschreckung dienen oder die Rückfallwahrscheinlichkeit senken.
Uns fehlen in Ihrem Antrag konkrete Maßnahmen. Das, was Sie hinten in Ihrem Beschlussteil vorlegen, ist eigentlich ein Prüfauftrag. Das sind zehn Positionen mit zehn Prüffragen. Ansonsten fordern Sie nichts wirklich Konkretes. Das ist uns auch ein bisschen zu dünn.
Wir fordern dagegen in unserem Entschließungsantrag, anders als die Regierungskoalition, konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Statt einer Nulltoleranzstrategie fordern wir aber eine Vielzahl von auf den Einzelfall angepassten Maßnahmen.
Gerade die wichtige Rolle von Familie, Schule und Umfeld wurde in der Anhörung noch einmal deutlich hervorgehoben. Hier fordern wir im Beschlussteil unseres Entschließungsantrags eine bessere und breitere Unterstützung der Erziehungsberechtigten, um Jugendkriminalität im besten Fall schon vor ihrer Entstehung zu verhindern.
Wir legen auch auf die Jugendlichen selbst einen Fokus, indem wir eine bessere Einbeziehung der Jugendlichen in Strafprozesse oder in Prozesse und Verfahrensabläufe fordern.
Außerdem sind wir der Auffassung, dass Jugendkriminalität durch einen Dreiklang aus Prävention, Hilfe und Sanktionen bestmöglich verhindert werden kann. Dabei kommt übrigens Prävention vor Repression. Wir meinen, dass eine nachhaltige und integrative Jugendpolitik die vernünftigste Form von Prävention ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Worte zu dem heute von der SPD-Fraktion vorgelegten Entschließungsantrag. Aus unserer Sicht ist das ein guter Antrag, der noch einmal darauf hinweist, dass der Großteil der Jugendkriminalität ein gewöhnliches Phänomen ist, das tatsächlich meist ohne Sanktionen oder andere Maßnahmen, Frau Kollegin Erwin, vorübergeht. Positiv ist auch die Aufforderung, sich stärker an empirischen Untersuchungen und Erkenntnissen zu orientieren. Ebenfalls positiv sind aus unserer Sicht die Forderungen, die Trennung zwischen Jugendhilfe und Strafverfolgung stets zu beachten, die Zeitspanne zwischen Urteil und Umsetzung der Rechtsfolge zu verkürzen und den Warnschussarrest letztendlich – da sind wir uns einig – abzuschaffen. Deswegen werden wir diesem Entschließungsantrag heute zustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einem gut vernetzten, koordinierten Dreiklang aus Prävention, Hilfe und Sanktionen sowie individuell angepassten Maßnahmen kann Jugendkriminalität bekämpft und teilweise auch verhindert werden. Dadurch wird Nordrhein-Westfalen auf Dauer noch sicherer und zudem dem übergeordneten Ziel des Jugendstrafrechts, der Erziehung und Förderung junger Menschen, gerecht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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