Stefan Engstfeld: „Ich kann Ihnen das einfach nicht glauben“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Vorwürfen gegen Minister Biesenbach

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde im Landtag beantragt, weil ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum steht. Es steht nämlich der Verdacht im Raum, dass ein Regierungsmitglied im Zeugenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hackerangriff/Stabsstelle“ die Unwahrheit gesagt hat.
Wir erwarten, dass der Justizminister heute zu diesen schwerwiegenden Vorwürfen im Parlament eindeutig Stellung bezieht und heute hier aufklärt. Denn sollte sich bestätigen, dass der Minister im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gelogen hat, ist er als Justizminister nicht mehr tragbar.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im März 2018 gibt die Staatskanzlei bekannt, dass die damals amtierende Umwelt- und Landwirtschaftsministerin, Frau Schulze Föcking, Opfer eines Hackerangriffs geworden sei. Wie sich später herausstellt, handelt es sich lediglich um einen Bedienfehler eines Familienmitglieds – ebenso wie beim zweiten gemeldeten Hackerangriff.
Am Abend des 29. März 2018 ist der ermittelnde Oberstaatsanwalt auf dem Hof der Familie Schulze Föcking, um ihr dies mitzuteilen. Genau zu diesem Zeitpunkt ruft Justizminister Biesenbach auf dem Handy des Oberstaatsanwaltes an, um sich, wie er später im Untersuchungsausschuss aussagt, einfach erklären zu lassen, wie der vermutete Bedienfehler technisch möglich gewesen sei.
Ich zitiere aus dem öffentlichen Protokoll, Herr Präsident, des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Herr Biesenbach hat damals zu Protokoll gegeben: Ich wusste nicht, dass er – also der Oberstaatsanwalt – zu dem Zeitpunkt auf dem Hof von Frau Schulze Föcking war.
Der Minister versicherte im Untersuchungsausschuss, er habe in diesem Telefonat keinen Einfluss auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen zum vermeintlichen Cyberangriff auf das Privathaus von Frau Schulze Föcking genommen.
Das Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt dauert sieben Minuten, von 19:06 Uhr bis 19:13 Uhr.
Um 19:14 Uhr, exakt eine Minute später, ruft der Minister seine damalige Kabinettskollegin, Frau Schulze Föcking, auf deren Handy an. Dieses Telefonat zwischen den beiden Kabinettskollegen dauert eine Minute.
Auf die Frage des Vorsitzenden im Untersuchungsausschuss im Juli dieses Jahres – ich zitiere den Kollegen Körfges; er hat den Zeugen Biesenbach befragt – „Über diesen, ich sage mal, Termin vor Ort haben Sie mit der Frau Schulze Föcking persönlich nie gesprochen, auch im Nachhinein nicht?“ antwortet der Zeuge Peter Biesenbach wörtlich – klar und deutlich und kurz – mit: Nein.
Frau Schulze Föcking gibt im Untersuchungsausschuss an, sich an kein Telefonat über das seinerzeit anhängige Ermittlungsverfahren mit Minister Biesenbach erinnern zu können.
Minister Biesenbach erklärt am 24. November 2019 in der WDR-Sendung „Westpol“, sich ebenfalls nicht an diesen Anruf und dessen Inhalt erinnern zu können, führt dann aber weiter aus, dass er sich aber ganz genau erinnern kann, niemals über das Ermittlungsverfahren mit der damaligen Kabinettskollegin gesprochen zu haben.
Ich fasse zusammen: Der Justizminister ruft den ermittelnden Oberstaatsanwalt zufällig dann an, als dieser sich auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet. Im direkten Anschluss daran, eine Minute später, ruft der Minister Frau Schulze Föcking an. Beide Teilnehmer des Gespräches geben an, sich nicht an das Gespräch und dessen Inhalt zu erinnern. Herr Minister Biesenbach ist sich aber sicher, zu wissen, dass er niemals mit Frau Schulze Föcking über das Ermittlungsverfahren gesprochen hat.
(Heiterkeit von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Christian Dahm [SPD]: So!)
Lieber Herr Minister Biesenbach, wer soll Ihnen das glauben? Wer soll Ihnen diese Geschichte glauben?
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wer soll Ihnen glauben, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem siebenminütigen Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt, der sich zufälligerweise auf dem Hof von Frau Schulze Föcking befindet, und dem direkt anschließenden Telefonat mit Frau Schulze Föcking selbst, bei dem es zufälligerweise dann ja um etwas anderes ging, gibt und dass Sie sich beide zufälligerweise nicht mehr erinnern können? Erinnerungslücke bei beiden Beteiligten im Kollektiv!
Das kennen wir ja von dieser Landesregierung – Kabinettsamnesie. Herr Reul hatte auch so einen Amnesieanfall, als es beim Hambacher Wald darum ging, ob er mit Vertretern von RWE mal über die geplante Rodung gesprochen hat.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Das scheint ja fast ein Virus im Kabinett Laschet zu sein.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Den gibt es nicht! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Zu Ihnen kommen wir auch noch, Herr Laschet!)
Herr Biesenbach, ich frage Sie noch einmal. Denn ich halte mir immer die konkrete Situation vor Augen. Sie beenden das Telefonat mit dem ermittelnden Oberstaatsanwalt und rufen direkt danach die damalige Ministerin an, die ja im laufenden Ermittlungsverfahren Zeugin ist. Ich frage Sie: Wie realistisch ist das im Leben? Wie realistisch ist man, wenn man glaubt, dass es nichts miteinander zu tun hat, wenn man erst sieben Minuten mit dem Oberstaatsanwalt telefoniert und sich dann umdreht und die Kabinettskollegin anruft? Ich kann das einfach nicht glauben. Ich kann das nicht glauben!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Bitte kommen Sie mir gleich nicht mit der Theorie, die ich gestern schon auf den Fluren des Landtags gehört habe, dass Ihr Handy sich einfach selbstständig gemacht hat, quasi in der Hosentasche.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Dietmar Bell [SPD]: Bedienfehler! – Christian Dahm [SPD]: Ein Hackerangriff!)
Das haben gestern ein paar Leute erzählt. Sie haben gar nicht aktiv Frau Schulze Föcking angerufen. Das lag nur an der nicht aktivierten Tastensperre Ihres Handys. Das Handy hat also automatisch die Nummer Ihrer damaligen Kabinettskollegin gewählt.
Ganz ehrlich: Diese Theorie ist doch so etwas von albern. Ich gehe darauf nicht weiter ein. Wer es glaubt, wird selig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein anderer Punkt, der mich in dieser Geschichte beschäftigt, ist folgender: Hat der Justizminister wirklich in seinem Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt keinen Einfluss auf die Ermittlungen genommen? Oder haben wir es bei Peter Biesenbach hier nicht mit einem Wiederholungstäter zu tun?
Ich erinnere an das Jahr 2003. Damals ging es darum, dass ein Schöffe von seiner Tätigkeit entbunden werden wollte.
Präsident André Kuper: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Da haben Sie zum Telefon gegriffen und den Richter angerufen. Sie haben nachher gesagt, Sie wollten nur einem Freund helfen. Verteidigung und Staatsanwaltschaft sprachen im Anschluss von einem unsäglichen und skandalösen Vorgang.
Ich frage Sie heute – damit komme ich zum Schluss –: Kann es sein, dass Peter Biesenbach als Minister versucht hat, seine Kabinettskollegin zu schützen, indem er in einem Telefonat mit dem Oberstaatsanwalt wieder einmal auf die Justiz Einfluss nehmen wollte?
Ich frage Sie: Kann es sein, dass er die Kabinettskollegin genau darüber informiert hat und nun versucht, mit Verweis auf Gedächtnisschwund sein politisches Überleben zu sichern? Oder kann es sein, dass das alles nur ganz großer Zufall war?
Ich finde, dass das Parlament und die Öffentlichkeit hier und heute ein Recht auf umfassende Aufklärung dieser Geschichte haben. Ich habe mich selber gefragt, ob das glaubwürdig ist.
Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit ist deutlich überschritten. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ich kann Ihnen das einfach nicht glauben. Meine Fraktion kann Ihnen das auch nicht glauben. Für uns, lieber Herr Minister Biesenbach, haben Sie an dieser Stelle eindeutig Ihre Glaubwürdigkeit verspielt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Biesenbach, ich hätte heute gerne Antworten und nicht noch mehr Fragen gehört. Das war aus meiner Sicht eine vertane Chance, hier heute Klarheit zu schaffen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich möchte auf meine beiden Vorredner aus den Koalitionsfraktionen eingehen. Sie haben gesagt, die Staatsanwaltschaft sehe keinen Anfangsverdacht und nehme keine Ermittlungen auf, und damit habe sich die Frage der Lüge quasi erledigt.
(Christian Mangen [FDP]: Nein, so ist die Rechtslage!)
Also, ich sage es mal so: Die strafrechtliche Dimension ist das eine; wir sind hier aber nicht vor Gericht, sondern im Parlament. Die politische Dimension ist das andere.
Nur weil die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnimmt, sind nicht merkwürdige Erinnerungslücken beim Minister und bei der ehemaligen Ministerin legitimiert und auch nicht merkwürdige Zufälle erklärt, warum der Justizminister während laufender Ermittlungen den ermittelnden Staatsanwalt anruft, die Betroffene anruft, aber sagt, mit ihr niemals über die Ermittlungen gesprochen zu haben. Hier hat sich ein Justizminister einfach rauszuhalten. Das ist der Punkt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie sagen, das müsse man alles im Untersuchungsausschuss regeln. Ich sage Ihnen: Ein Justizminister in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist nicht irgendein Zeuge. Eine mögliche Falschaussage eines Kabinettsmitglieds gegenüber dem Parlament hat das Parlament zu interessieren. Das gehört hier ins Plenum. Wohin denn sonst?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Abschließend: Sie haben den Sinn dieses Untersuchungsausschusses infrage gestellt und gesagt, es sei doch nur ein Bedienfehler eines Familienmitglieds gewesen. Ich sage es Ihnen noch einmal – wir haben es Ihnen schon so oft gesagt –: Es geht in diesem Untersuchungsausschuss nicht nur um irgendwelche technischen Bedienfehler. Es geht vor allen Dingen darum, dass sich das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land darauf verlassen können müssen, dass alles, was die Regierung sagt, den Tatsachen entspricht. Ob das in diesem Fall so war
(Beifall von den GRÜNEN)
und ob das auch für den Regierungssprecher gilt, ist auch Gegenstand des PUA. Da bestehen zu Recht Zweifel. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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