Stefan Engstfeld: „Gewalt gegen Beschäftigte unseres Staates darf auf keinen Fall tabuisiert werden“

Antrag der "AfD"-Fraktion zu Gewalt in Gefängnissen

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt ist unserer Gesellschaft leider ein alltägliches Phänomen. Sie kann uns überall begegnen – am Kiosk um die Ecke, am Arbeitsplatz oder sogar in der eigenen Wohnung.
Wir müssen bedauerlicherweise auch feststellen, dass Gewalt gegen Bedienstete im öffentlichen Dienst keine Ausnahme mehr bildet, sondern mittlerweile regelmäßig vorkommt. In unserem Land wird beleidigt und bedroht. Es kommt zu Rangeleien und in Ausnahmefällen auch zu gezielten Angriffen. Das passiert in Sozialämtern, in Jobcentern, in Klassenzimmern, in Krankenhäusern sowie in Bussen und Bahnen.
Ausgerechnet diejenigen, die kommen, um zu helfen, also Menschen bei der Feuerwehr oder den Rettungsdiensten, machen immer wieder Gewalterfahrungen.
Wir müssen leider ebenso feststellen, dass Uniformträgerinnen und Uniformträger in unserem Land – also diejenigen, die unseren Staat und unsere Ordnung repräsentieren; ich meine Polizistinnen und Polizisten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ordnungsdiensten sowie Justizvollzugsbedienstete – oft im Fokus von Übergriffen stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewalt gegenüber unseren Justizvollzugsbediensteten, gegen jede und jeden, die und der im öffentlichen Dienst arbeitet, verurteilen wir auf das Schärfste.
(Beifall von den GRÜNEN und Angela Freimuth [FDP] – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Gewalt gegen Beschäftigte unseres Staates muss aber auch offen thematisiert werden und darf auf keinen Fall tabuisiert werden.
Wie stellt sich also die Gewaltsituation im Strafvollzug dar? Einen Bericht dazu – das haben wir jetzt mehrfach gehört – gab es seitens des Justizministeriums in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses am 19. Juni 2019.
Ich will gar nicht so sehr auf diesen Bericht und die Kritik an der Art, wie die Statistik geführt wird, was also erfasst wird und was nicht, eingehen. Ich glaube auch nicht, dass ein neues Lagebild „JVA NRW“ zwingend notwendig ist, um bei dieser Fragestellung weiterzukommen.
Ich würde lieber darüber sprechen, was aus grüner Sicht zu tun ist, um die – in der Tat seit Jahren bekannten – Probleme mit gewalttätigen Übergriffen im Strafvollzug in den Griff zu bekommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, generell muss die erste Antwort auf Übergriffe und Gewalt gegenüber Justizvollzugsbediensteten und Gewalt in Gefängnissen immer die der Prävention sein. Ziel sollte es sein, Übergriffe so gut wie möglich zu verhindern.
Dazu einige Punkte:
Erstens: Übervolle Justizvollzugsanstalten befördern die Gewaltproblematik. Deswegen muss gelten: keine Überbelegung der Justizvollzugsanstalten mehr. Wie soll das gehen? Zum Bei- spiel durch die massive Einschränkung der Ersatzfreiheitsstrafen und durch eine bessere Nut- zung der vorhandenen Kapazitäten des offenen Vollzugs.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zweitens: Wir haben zu wenig Personal für zu viele Gefangene. Das führt zu unterbesetzten Abteilungen, Anhäufungen von Überstunden und Überlastung bei den Bediensteten. Außer- dem müssen viele Bedienstete viel zu oft alleine ihren Dienst tun, auch in Situationen, in de- nen man eigentlich als Team arbeiten sollte. Das muss sich spürbar ändern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Drittens: Zu wenig Personal bedeutet gleichzeitig auch weniger Zeit für ein kurzes Gespräch oder ein nettes Wort für die Gefangenen oder für mehr Freizeitangebote für die Inhaftierten.
Dieser Personal- und Zeitmangel kann wiederum zu gesteigerter Frustration und zum Teil zu offener Aggression bei einigen Gefangenen führen.
Viertens: Abbau von Sprachbarrieren durch Deutschkurse, aber möglicherweise auch durch verstärkte Einstellung von Bediensteten mit Fremdsprachenkenntnissen.
(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])
Fünftens: Therapie- und Substitutionsangebote ausweiten.
Sechstens: Anti-Gewalt-Trainings, Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Gefangene. Gefangene bringen häufig Defizite in der verbalen Konfliktlösung und eine erhöhte Gewaltbereitschaft mit. Deswegen sitzen sie ja auch in den Justizvollzugsanstalten.
Siebtens: verbesserte Ausbildungs- und Arbeitssituation für Gefangene. Das baut das Gefühl der Nutzlosigkeit und Frustration ab und sorgt für Erfolgserlebnisse durch Bildung oder Arbeit. Man erreicht dadurch vielleicht ein weniger aggressives Verhalten.
Achtens: Ausbildungs- und Fortbildungsangebote für die Justizvollzugsbediensteten ausweiten, mehr Deeskalation, interkulturelle Kompetenz- und Sicherheitstrainings.
Neuntens: verbesserte Ausrüstung zur Eigensicherung unseres Personals in den Justizvollzugsanstalten. Wir brauchen viel mehr Personennotrufgeräte für die Bediensteten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das waren einige Punkte, mit deren Hilfe man das Problem aus unserer Sicht angehen sollte.
Ihr Antrag, lieber Kollege Wagner, greift aus unserer Sicht viel zu kurz. Wir werden ihn deswegen ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])

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