Stefan Engstfeld: „Für uns ist die Bilanz eher ernüchternd“

Gesetz zur Änderung der Verfassung

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Lienenkämper, ich habe es Ihnen schon bei der Aussprache zur Arbeit der Verfassungskommission gesagt und sage es jetzt noch einmal: Falsches wird nicht richtiger, indem man es ständig wiederholt.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ihre Behauptung, dass wir heute nicht die große Lösung diskutieren, weil diese an der Blockade von Rot-Grün gescheitert ist, ist nicht richtig. Sie waren es!
(Beifall von den GRÜNEN)
Ihre Fraktion hat es zu verantworten, dass wir heute keine große Lösung verabschieden, sondern nur das kleine Paket. Das wissen Sie ganz genau!
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Eine moderne Landesverfassung, die von den Bürgerinnen und Bürgern gebilligt wird, ermöglicht in der Gegenwart wie auch in der Zukunft, die rechtlichen Grundlagen eines Landes allgemein akzeptiert und respektiert sowie entsprechend den neuen Gegebenheiten festzulegen.
Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen hat eine positive Rolle bei der Entwicklung des demokratischen Nordrhein-Westfalen gespielt. Sie hat auch dazu beigetragen, dass sich eine nordrhein-westfälische Identität entwickeln konnte. Diese Rolle gebietet es, an wesentlichen überlieferten Werteentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers festzuhalten, die sich in der Verfassungswirklichkeit bewährt haben. Allerdings sollen überkommene, der heutigen Zeit nicht mehr entsprechende Regelungen verändert beziehungsweise gestrichen und damit eine Aufwertung der Verfassung des Landes NRW ermöglicht werden.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das alles, was ich gerade vorgetragen habe, war der Begründungstext eines Antrages von Bündnis 90/Die Grünen vom 23. Juni 2005 in diesem Haus.
Schon 2005 haben wir Grüne gefordert, dass diese Verfassung, die sich in der Tat bewährt hat, modernisiert und überarbeitet wird. Das ist jetzt elf Jahre her. Acht Jahre, nachdem wir diesen Antrag ins Parlament eingebracht haben, kam dann endlich diese Verfassungskommission zustande. Es ist notwendig, dass wir heutzutage diese Verfassung demokratisieren, dass wir mehr Partizipation zulassen und dass wir auf gewisse gesellschaftliche Realitäten reagieren, auch auf die Digitalisierung.
Ich bin sehr froh und dankbar. Wir haben da einen langen Atem gehabt. Das ist manchmal notwendig. Wir haben es heute Morgen auch in der Festansprache beim Festakt vom Bundestagspräsidenten Lammert gehört, der noch einmal darauf hingewiesen hat, wie lange es damals gedauert hat, bis in Nordrhein-Westfalen diese Verfassung zustande gekommen ist.
Wir haben von 2005 bis 2013 diesen langen Atem gehabt und sind jetzt endlich an der Stelle, dass wir arbeiten konnten. Heute haben wir ein Ergebnis, was uns aber nicht zufriedenstellt. Für uns ist die Bilanz – und das ist Ihnen nicht neu – eher ernüchternd. Es wäre viel mehr drin gewesen, hätte sich diese Seite des Hohen Hauses ein bisschen bewegt.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Langen Atem haben wir auch bei einer Sache bewiesen, die wir heute verabschieden – das haben meine Vorredner, Herr Körfges und Herr Lienenkämper, schon erwähnt –, und das ist das Thema „Eidesformel“. Wir haben das Thema „Veränderung der Eidesformel“ in diesem Haus jeweils zur Konstituierenden Sitzung dieses Parlamentes angesprochen. Ich erinnere mich noch – es war meine erste Legislaturperiode –: Im Juni 2010 hat der Kollege Arif Ünal eine Erklärung vorgelesen und dringend darum gebeten, dass sich alle Fraktionen daran machen, diese Formel zu ändern, weil sie nicht die Lebenswirklichkeit in diesem Land abbildet.
Herr Lienenkämper, Sie haben sich sehr bemüht, das aus Ihrer Perspektive zu legitimieren. Ich möchte noch eines aus unserer Perspektive hinzufügen, warum wir diese Eidesformel ändern. Für uns ist es vor allen Dingen ein wichtiges integrationspolitisches Signal, was wir heute hier tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dass die Mitglieder der Landesregierung in Zukunft schwören, ihre ganze Kraft dem Wohle des Landes Nordrhein-Westfalen zu widmen, spiegelt nur die heutige gelebte Realität in diesem Land wider. Und dieses Land – das wissen Sie – ist wie kein anderes Bundesland von der Einwanderung geprägt, gerade auch das Ruhrgebiet. Diese alte Formulierung, die wir bisher hatten, „zum Wohle des deutschen Volkes“, schloss all die Menschen, die keinen deutschen Pass haben, aber seit Jahrzehnten hier leben, unser Land mitprägen, aus. Diese Leute waren ausgeschlossen. Die integrieren wir jetzt.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Ich bin sehr froh und dankbar, dass uns dieser Schritt gemeinsam mit CDU, FDP und SPD gelingt. Es hat sich gelohnt, auch da einen langen Atem zu haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte nicht die Punkte wiederholen, die meine Vorredner gesagt haben, die heute hier zur Abstimmung stehen, Verfassungsgerichtshof, Alterspräsident, Einführung, alles gute Sachen, die wir mittragen. Es ist richtig, die parlamentslose Zeit überwinden wir zukünftig. Das ist alles gut.
Ich möchte aber zum Schluss noch einen Punkt erwähnen, der nicht drinsteht und der letztendlich Grund war, warum diese Verfassungskommission nicht den großen Schritt wagen konnte, nämlich das Wahlalter 16.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht ist klar: Auch 16- und 17-Jährige müssen bei der Landtagswahl das aktive Wahlrecht erhalten. Das steht für uns außer Frage. Denn Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung, und Wahlen sind die originäre Form der Beteiligung. Jugendliche müssen am längsten mit den politischen Entscheidungen, die von Parlamenten getroffen werden, leben. Durch das Herabsenken des Wahlalters würden die Interessen der Jugendlichen stärker in den Blick aller Parteien und der Fraktionen hier auf der Landesebene gelangen.
(Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet [CDU]: Aber doch nicht 14-, 15-Jährige!)
Dies ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels umso wichtiger, denn die Gruppe der jungen Menschen ist im Vergleich zur Gesamtheit der Wahlberechtigten deutlich unterrepräsentiert. Doch beim Thema „Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre“ wollte sich die CDU um keinen Millimeter bewegen. Den Konsens für die größte Lösung haben wir deswegen nicht, denn plötzlich haben Sie, Herr Laschet, Sie auch persönlich, auf Stur geschaltet und haben aus Angst vor 300.000 Jugendlichen,
(Armin Laschet [CDU]: Die wählen doch alle uns!)
die eventuell hier mitreden könnten, eine große Lösung verweigert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Warum haben Sie denn so viel Angst? Trauen Sie sich etwas, Herr Laschet! Trauen Sie sich!
(Armin Laschet [CDU]: Junge Leute wählen CDU!)
Festgefahren, einbetoniert, alternativlos – entgegen der Wissenschaft – gucken Sie sich doch die Bertelsmann Studie an; Sie haben sie doch gelesen –, entgegen der Experten, die überwiegend wohlbegründet und abgewogen die Auffassung vertreten haben, dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für unsere Demokratie vielerlei Vorteile mit sich bringt, aber eigentlich keine Nachteile.
Nicht ein einziger Sachverständiger – ich war ja in der Anhörung –, den die Kommission angehört hat, hat Bedenken hinsichtlich einer Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre geäußert. Ich kenne ihn nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Hört! Hört!)
Meine Damen und Herren, Sie haben leider diesen jungen Menschen in unserem Land in letzter Konsequenz die demokratische Mitbestimmung für die folgenden fünf Jahre nicht ermöglicht. Belastbare Argumente finde ich bei Ihnen leider nicht. Wir sind enttäuscht. Wir hätten uns etwas anderes gewünscht.
Ich interpretiere, Herr Laschet, die von Ihnen und Ihrer Fraktion vertretene Auffassung, das Wahlalter nicht zu senken, als klare Misstrauensbekundung gegenüber den Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Anders kann man das einfach nicht werten.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
– Entschuldigung, wir hatten Ihnen das Angebot gemacht – das wissen Sie sehr genau –. Wir haben gesagt, wenn Sie den Schritt nicht mitgehen können,
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
dann lassen Sie uns doch folgenden Weg gehen: Wir nehmen die Festlegung des Wahlalters aus der Verfassung. Dann gibt es eine einfachgesetzliche Regelung. Das haben wir doch schon in vielen anderen Bundesländern.
(Armin Laschet [CDU]: Klar!)
In den Ländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen regeln alle das Wahlalter durch ein Gesetz. Ich bin echt fasziniert gewesen, wie Sie dann gesagt haben: ja, im Prinzip schon, aber dann bitte erst der nächste Landtag. – Diesem Landtag, einem amtierenden und funktionsfähigen Landtag, wollten Sie vorschreiben, nach der Herausnahme des Wahlalters aus der Verfassung nicht gesetzgeberisch tätig werden zu dürfen.
(Zurufe von der CDU)
Das ist nicht akzeptabel, Herr Laschet. Das war keine Lösung.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Wir sind ein amtierendes und funktionierendes Parlament, wir können dann einfachgesetzlich die Mehrheiten herstellen. Das wollten Sie nicht. Und deswegen bleibe ich dabei: Das ist ein Misstrauensantrag an alle Jugendlichen für mehr Partizipation. Da haben Sie sich einfach verweigert.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Abschließend bleibt mir nur festzustellen: Wir werden natürlich weiter an dem Thema dranbleiben. Wir werden immer wieder versuchen, Sie bei dieser Fragestellung zu stellen. Wir werden versuchen, Sie zu überzeugen. Wir hoffen, dass dann irgendwann ein Erkenntnisgewinn bei Ihnen eintritt. Wir werden auf jeden Fall immer weiter in dieser Legislaturperiode und auch nach dem 14. Mai 2017 für das aktive Wahlalter 16 in diesem Parlament und im Land Nordrhein-Westfalen eintreten. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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