Stefan Engstfeld: „Europa muss endlich damit aufhören, den Schutz vor Flüchtlingen wichtiger zu nehmen als den Schutz von Flüchtlingen.“

Antrag der Piraten zur Seenot-Rettung von Flüchtlingen

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Stunde sind weltweit 50 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Sie fliehen vor Krieg, vor Verfolgung, vor Elend. Eines ist ihnen aber gemein: Keiner von ihnen steigt freiwillig in die Boote, Niemand verlässt seine Heimat ohne Not.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es sind Flüchtlinge, die versuchen, aus den Kriegs- und Krisengebieten, aus Syrien, dem Irak, aus Eritrea, Afghanistan und vielen weiteren Staaten, nach Europa zu kommen. Allein im weiteren Umfeld Syriens und Iraks sind heute 11 Millionen Menschen auf der Flucht.
Zehntausende von ihnen wagen sich jedes Jahr in der Hoffnung auf ein besseres und ein sichereres Leben auf die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer nach Europa, oftmals bezahlt vom letzten Hab und Gut.
Tausende Flüchtlinge haben bei diesem verzweifelten Versuch, bei uns in Europa Schutz zu finden, ihr Recht auf internationalen Schutz in Anspruch zu nehmen, ihr Recht darauf, um Asyl zu ersuchen, ihr Leben verloren.
Herr Kern, ich sage Ihnen auch: Wir trauern mit den Angehörigen der vielen Opfer, mit ihren Familien, mit ihren Freunden, mit ihren Freundinnen und mit allen anderen, die ihnen nahestanden. Wir trauern um die, die noch nicht mal einen Ort der Trauer haben, und um die, die irgendwo im Mittelmeer ertrunken sind und deren Namen wir oftmals gar nicht kennen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist leider wahr: Das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden. Europa hat getrauert – meine Vorrednerinnen und Vorredner haben es gesagt –, als vor anderthalb Jahren vor der Insel Lampedusa Hunderte Flüchtlinge ertrunken sind. Vor anderthalb Jahren hat Europa vor den Särgen der Toten in Lampedusa geschworen, dass sich so etwas nie wieder wiederholen darf. Heute, anderthalb Jahre später, stehen wir hier und debattieren anlässlich der großen Tragödie, die sich im Mittelmeer in der Nacht zum 18. April dieses Jahres ereignet hat – mit noch mehr Toten.
Frau von Boeselager, auch an Sie: Die Wahrheit ist, es ist beschämend, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs letzte Woche auf dem EU-Sondergipfel die Chance vertan haben, die bestehende menschenunwürdige Flüchtlingspolitik Europas zu beenden.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Es ist ihnen leider nicht gelungen, den dringend erforderlichen politischen Richtungswechsel einzuleiten. Es ist ihnen nicht gelungen, den Werteverlust, den Europa mittlerweile fast täglich durch die Toten im Mittelmeer erleidet, zu stoppen. Angesichts des großen Leids, das sich im Mittelmeer ereignet, sind wir in Politik und Gesellschaft mehr denn je aufgefordert, alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit dieses tragische Leiden ein Ende hat.
Deswegen appellieren wir, nein: deswegen fordern wir heute aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen heraus die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf: Kein „Weiter so“ in der Flüchtlingspolitik!
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall der SPD)
Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen endlich damit aufhören, Europa muss endlich damit aufhören, den Schutz vor Flüchtlingen wichtiger zu nehmen als den Schutz von Flüchtlingen. Darum geht es.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ja, Herr Yüksel, wir brauchen einen Richtungswechsel hin zu mehr legalen Einreisemöglichkeiten in die Europäische Union. – Ja, Herr Kern, natürlich, wir brauchen Aufnahmeprogramme, wir brauchen humanitäre Visa, und wir brauchen mehr Familienzusammenführung. – Wir brauchen dringend ein ziviles Seenotrettungsprogramm für die Flüchtlinge im Mittelmeer, das aber mindestens auf dem Niveau des ehemaligen italienischen Programms „Mare Nostrum“ steht.
Meine Damen und Herren, an nationalen Egoismen scheitert derzeit – leider! – auch die notwendige Verabredung innerhalb Europas über einen europäischen Verteidigungsschlüssel, mit dem sich alle EU-Staaten an einer fairen und solidarischen Aufnahme von Schutzsuchenden beteiligen. Es kann einfach nicht sein, dass fünf EU-Staaten 80 % der Flüchtlinge aufnehmen. Das muss sich ändern.
(Beifall von den GRÜNEN und Minister Ralf Jäger)
Meine Damen und Herren, Humanität und Solidarität zählen zu den Grundpfeilern des europäischen Projekts. Wenn wir uns selbst und unsere Werte nicht verraten wollen, dann müssen wir jetzt Handlungsfähigkeit und Verantwortung zeigen – das, weswegen wir in Europa ein einzigartiger Kontinent sind.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag und danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Guntram Schneider)