Stefan Engstfeld: „Es gibt bereits heute intensive und funktionierende Handels- und Investitionsbeziehungen, auch ohne Investoren-Privilegien“

Antrag der Piraten gegen das Freihandelsabkommen CETA

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen setzen uns seit vielen Jahren für eine gerechte Handelspolitik ein. Handel kann den Wohlstand aller Menschen befördern und die friedliche Kooperation der Staaten unterstützen. Das kann aber nur gelingen, wenn dabei die ökologischen Grenzen unseres Planeten geachtet werden und die Handelspolitik einen Beitrag dazu leistet, Ungleichheit und Armut weltweit zu mindern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zudem muss es grundsätzlich das Ziel sein, Handelspolitik im Rahmen eines multilateralen Ansatzes zu gestalten.
Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA steht jetzt nach fünfjähriger Beratungszeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor seinem Abschluss. CETA ist eine Handelsvereinbarung der nächsten Generation und deckt eine Vielzahl von Bereichen ab, die üblicherweise nicht Thema von Handelsgesprächen sind. Es ist ein komplexes Dokument, dessen Regelungen stark ineinandergreifen; daher müssen immer mehrere Kapitel parallel gelesen werden.
Die Frage, ob es sich bei CETA um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handelt, ob also neben der Europäischen Union auch die einzelnen Mitgliedsstaaten Vertragspartner sind, ist für uns keine Frage. Wir sind wie der Bundeswirtschaftsminister Gabriel oder die bayrische Staatsregierung der Auffassung, dass CETA ein gemischtes Abkommen ist und der Ratifizierung in Deutschland durch Bundestag und Bundesrat bedarf.
(Beifall von den GRÜNEN)
An CETA ist vielfach Kritik laut geworden. Uns bereiten mehrere Bereiche große Sorge.
Erstens stimmen uns die CETA-Regelungen zum Investorenschutz Investor-State Dispute Settlement, kurz ISDS, bedenklich. Diese Klauseln erlauben es Unternehmen, Schadensersatz und andere Ansprüche gegen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten einzuklagen, die außerhalb der Rechtssysteme Kanadas und der EU angesiedelt sind. Das ISDS-Kapitel berührt in hohem Maße das Verständnis darüber, wie in der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten sowie den Ländern und Kommunen Politik gemacht wird und künftig vor allem gemacht werden kann.
ISDS schürt die berechtigte Sorge, Unternehmen könnten staatliche Gesetze oder auch Vorschriften anfechten, weil sie ihrer Meinung nach ihren Gewinninteressen oder Erwartungen zuwiderlaufen. Auch wenn diese Versuche nicht zum Erfolg führen sollten, so steht doch zu befürchten, dass schon die Androhung eines solchen Vorgehens einer Regierung oder einem Parlament, die ein bestimmtes Gesetz, eine Richtlinie oder eine Verordnung planen, von einer Verabschiedung abschrecken könnte.
Es gibt bereits heute intensive und funktionierende Handels- und Investitionsbeziehungen, auch ohne Investoren-Privilegien. Das zeigt, dass die Investoren den vorhandenen rechtlichen und demokratischen Rahmenbedingungen für Investitionen vertrauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sagen: Investitionsschutzregelungen und Regelungen für ein Investor-Staats-Schiedsverfahren sind weder im Verhältnis zu den USA noch zu Kanada für einen wirksamen Schutz von Investitionen erforderlich. Investoren sind grundsätzlich bei G8-Staaten auf den Rechtsweg vor nationalen staatlichen Gerichten zu verweisen. Für uns ist klar: Diese Regelungen müssen raus aus CETA, einfach weg damit!
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Herrmann?
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Bitte!
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett. Herr Herrmann, bitte.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Engstfeld, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie scheinen sich ja sehr intensiv mit CETA beschäftigt zu haben. Das ist gut.
Ist Ihnen bekannt, dass anders als bei TTIP Herauslösungen zum Beispiel vom Investorenschutzabkommen aus dem Vertragswerk nicht möglich sind, vom Verhandlungsmandat eindeutig ausgeschlossen sind, also dass der Vertrag nur so angenommen werden kann, wie er ist, ohne Änderungen?
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank für die Frage. – Ich habe wahrgenommen, dass es den Wunsch für Nachverhandlungen gibt, gerade bezüglich dieses ISDS-Schiedsgerichtsverfahren. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Kommission die Position vertritt, dass Nachverhandlungen nicht möglich sind. Ich habe aber auch den Bundeswirtschaftsminister so verstanden, dass er allen politischen Druck auch innerhalb der EU noch einmal zusammenbringen möchte, um diese Möglichkeit der Nachverhandlungen gangbar zu machen. Insofern werden wir absehen, ob das wirklich das letzte Wort war.
Zweitens legen wir bei CETA ein besonderes Augenmerk auf die Errungenschaften in der Europäischen Union im Bereich der Sozial-Umwelt-, Lebensmittel-, Gesundheits- und Datenschutzstandards sowie der Verbraucherrechte. Das Vorsorgeprinzip der Europäischen Union darf bei CETA nicht abgeschwächt werden. Wir werden darauf achten, ob für den Agrarsektor im Vertragstext besondere Regelungen vorgesehen werden. Denn aus gutem Grund haben sich die Europäische Union und die Mitgliedstaaten entschieden, in Europa bestimmte Produkte nicht zuzulassen und entsprechende Importverbote erlassen.
Dies betrifft vor allem Produkte, die nicht der EU-Kennzeichnungsrichtlinie entsprechen, also zum Beispiel Produkte, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder daraus hergestellt werden, oder Tiere, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden, und das Inverkehrbringen von Lebensmitteln von geklonten Tieren. Gleiches gilt für Lebensmittel, die mit Substanzen behandelt wurden, die in der EU verboten sind.
Meine Damen und Herren, es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass Grüne, egal ob sie in Brüssel, Berlin oder Düsseldorf sind, die Hand für einen Vertrag heben werden, der diese von mir genannten Inhalte nicht berücksichtigt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im vorliegenden Antrag der Piraten wird das alles nur im Zusammenhang mit Schiedsgerichtsverfahren betrachtet. Aber das reicht natürlich nicht aus. Es geht grundsätzlich um weitergehende Entscheidungen hinsichtlich der Liberalisierung, der Anerkennung und Weiterentwicklung von Standards auf beiden Seiten, die ebenfalls zentrale Probleme darstellen.
Nur die Negativlisten zu kritisieren, Herr Schwerd, wie Sie das in Ihrem Antrag gemacht haben, greift aus unserer Sicht zu kurz, weil für unsere Kommunen, Länder und auch den Bund die Stillstands- und Ratchet-Klauseln ebenso problematisch sind. Solche Klauseln verhindern beispielsweise die Rekommunalisierung von Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge. Das darf aber nicht so sein.
Meine Redezeit ist leider zu Ende, sonst hätte ich Ihnen noch ein paar Kritikpunkte zu Ihrem Antrag gesagt, vor allem das, was uns fehlt. Wir werden den Antrag heute ablehnen, weil zwar einige richtige Punkte drin sind, aber viele Bereiche, die uns wichtig sind, fehlen und weil eine Grün- pur-Haltung auch nicht immer eine rot-grüne Haltung ist, noch nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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